Freitags 5nach6 - Andacht: Erntedank mit Matthias Claudius

15. Oktober 2021

5nach6_08.10.21_Erntedank mit Matthias Claudius    Ps 104

Eltern und Großeltern kennen das: „Warum?“ Kinder können einen ein Loch in den Bauch fragen! Dabei hat die Sesamstraße ja Recht: „Wer nicht fragt, bleibt dumm!“ Fragen sind Motoren der Erkenntnis und der Entwicklung.       

Der Mensch tut sich schwer damit, sein Dasein und das Dasein der anderen und der Dinge dieser Welt einfach hinzunehmen. Zum Menschsein gehört es, nach Erklärungen zu fragen und nach dem Sinn „des Ganzen“ zu forschen. Drei Fragen beschäftigen den Menschen dabei immer wieder, sie betreffen Ursprung (Woher komme ich? Woher kommt die Welt um mich herum?), Identität (Wer bin ich?) und Tod (Wohin gehe ich?)

(Der Philosoph Immanuel Kant meinte, es gäbe in der Philosophie im Grunde genommen nur vier Fragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?)

Wir befinden uns im Kirchenjahr in einer Zeit, in der auch diese Fragen bedacht werden, speziell zu Erntedank, Reformationstag, Buß- und Bettag, Ewigkeitssonntag.

Woher komme ich? Woher kommt die Welt um mich herum?

Kommen Sie mit auf eine kleine Zeitreise! Wir sind … weit weg …  vielleicht 900 v.Chr. … irgendwo am Rande der Wüste zwischen dem heutigen Israel und Ägypten. Heiß war der Tag, bis in die Kühle des Abends hinein ist die Sippe mit ihren Tieren unterwegs zu einem neuen Weideplatz gewesen. Wie gut, dass sie dieses Fleckchen mit dem spärlichen Grasbewuchs und dem kleinen Wasserrinnsal endlich gefunden haben. Die Tiere sind gut behütet, die Zelte stehen, das Abendessen liegt hinter ihnen. Entspannt sitzen Kinder, Frauen und Männer um das lodernde Feuer herum. Sterne sind am Abendhimmel zu erkennen und die Scheibe des Mondes schiebt sich hinter einigen Wolken hervor.

Mirjam: Guck mal, da, (zeigt mit dem Finger) der Stern ist der schönste!

Raphael: Aber der Mond ist viel schöner, weil er größer ist!

Mutter: Am schönsten ist es, dass wir endlich frisches Wasser gefunden haben und …

Vater (ergänzt): … das frische Gras für unsere Schafe.

Mirjam: Ist mein Stern eine Goldscheibe oder warum glänzt der so?

Raphael: Quatsch, das ist überhaupt nicht dein Stern, der gehört Gott.

Mutter (beruhigend): Und der hat ihn, den Mond und die Sonne an den Himmel gehängt.

Vater: … und zwar für uns alle.

Mirjam: Warum?

Mutter: Weil er uns Menschen so lieb hat, wie … wie ich und Papa euch.

Mirjam: Dann muss Gott aber eine große Leiter haben, dass er so weit hinauf reicht.

Raphael: Bist du blöd! Der muss gar nicht dahin reichen, der wohnt doch da im Himmel.

Mirjam: Und warum wohnt er da und nicht hier bei uns. Hier ist es doch auch schön mit dem Gras und dem Wasser. Oder - warum sind wir nicht bei ihm, dann gäbe es die blöde Wüste nicht und warum …

Raphael: Du immer mit deinem dummen „Warum“ - darum, eh!

Mirjam: Sei nicht so gemein, ich bin gar nicht dumm! Ich will es bloß wissen!

Vater: Und das ist auch gut so.

Mutter: Alles kommt von Gott …

Vater: … und richtig gut hat er das für uns gemacht, auch mit der Wüste. Sah diese Düne heute Nachmittag nicht wunderbar aus? Und wie weit wir von dort gucken konnten! Bis zu dieser Wasserstelle!

Raphael: Und wie hat Gott das alles gemacht?

Vater: Es ist so, wie die Priester es immer wieder erzählen und erklären: (erzählt wie auswendig gelernt.) Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war noch leer und öde, Dunkel bedeckte sie und wogendes Wasser, und über den Fluten schwebte Gottes Geist. Da sprach Gott: »Licht entstehe!«, und das Licht strahlte auf. Und Gott sah das Licht an: Es war gut. Dann trennte Gott das Licht von der Dunkelheit und nannte das Licht Tag, die Dunkelheit Nacht. Dann sprach Gott: »Im Wasser soll ein Gewölbe entstehen, eine Wand zwischen den Wassermassen!« Gott machte ein Gewölbe und trennte so das Wasser unter dem Gewölbe von dem Wasser, das darüber war. Und Gott nannte das Gewölbe Himmel. Dann sprach Gott: »Das Wasser unter dem Himmelsgewölbe soll sich alles an einer Stelle sammeln, damit das Land hervortritt.« Gott nannte das Land Erde, die Sammlung des Wassers nannte er Meer.

Mutter: Und Gott sah das alles an: Es war gut. Dann sprach Gott: »Am Himmel sollen Lichter entstehen, die Tag und Nacht voneinander trennen, leuchtende Zeichen, um die Zeiten zu bestimmen: Tage und Feste und Jahre. Sie sollen am Himmel leuchten, damit sie der Erde Licht geben.« So geschah es: Gott machte zwei große Lichter, ein größeres, das den Tag beherrscht, und ein kleineres für die Nacht, dazu auch das ganze Heer der Sterne.

Mirjam: Und meinen Stern auch!

Raphael: Du schon wieder!

Vater: Streitet euch nicht. Freut euch, dass es so ist, wie der Priester immer wieder singt. Gott hat alles für uns gemacht.

Biblische Erzählungen wollen oft Antworten geben – im Gewand ihrer Zeit für ihre Zeit, z.B. für Situationen wie diese. Und andere Zeiten erfordern andere Antworten, andere Formen. Das ist notwendig, damit die Antworten verstanden werden. Wichtig ist nur, dass der Glaubenskern der Antwort nicht verloren geht auf diesem weiten Weg.

Zeitsprung ins 18. Jahrhundert. 1783 - der Dichter Matthias Claudius veröffentlicht die Erzählung „Paul Erdmanns Fest“.

Darin beschreibt er ein Erntedankfest auf dem Lande. Claudius stellt den etwas arroganten adeligen Herrschaften den menschlichen Adel der Landarbeiter gegenüber. Am Höhepunkt des Festes fragt der Sprecher der Bauern den Herrn, ob sie ihr Bauernlied singen dürften. Dies ist als Wechselgesang gestaltet zwischen dem Vorsänger und dem Chor aller Bauern. Am Ende stoßen alle auf den Grundherrn an.

Vorsänger:

„Am Anfang war’s auf Erden noch finster, wüst und leer;
und sollt was sein und werden, mußt es woanders her.
So ist es zugegangen im Anfang, als Gott sprach;
und wie es angefangen, so geht’s noch diesen Tag.

Das kommt Ihnen bekannt vor? Kein Wunder, das ist der Beginn der Schöpfungserzählung des Alten Testaments – unsere kleine Oasen-Szene hat sie eben ins Spiel gebracht. Und auch der Refrain wird Ihnen bekannt vorkommen:

Und damit sind wir im Heute angekommen. Über verschiedene Stationen – u.a. in Schulliederbüchern - hat das Lied seinen Weg in unser Gesangbuch gefunden. Dieses beliebte Erntedank-Lied verbindet Großes und Kleines – Meer, Sterne, Jahreszeiten mit dem Strohhalm, dem Sperling, den Sträuchern und den Früchten. All das kommt letztlich von Gott, entspringt seinem guten Willen für uns. Das Lied will unseren Blick weiten, den Blick auf uns und unsere Arbeit. Es will uns erkennen helfen: So viel bekommen wir geschenkt, jeden Tag – Gott sei Dank! (vgl. F.Baltruweit u.a., Ich singe dir mit Herz und Mund, Hannover, 2014, S.62).

Wie lebendig unser Lied ist, zeigt sich darin, dass es unterschiedliche Melodien bekommen hat – und dass andere neue Verse geschrieben haben, z.B. Karl-Heinz Geil:

Geräte und Arzneien:
Dafür gab Gott Verstand,
zum Helfen und zum Heilen
im ganzen weiten Land
und viele andre Dinge,
die nützlich sind und gut;
er hilft, dass stets gelinge,
wenn jemand Gutes tut.

Erinnern wir uns noch einmal an die Schöpfungserzählung. Dort bekommt der Mensch einen Auftrag:

15Gott der Herr nahm den Menschen und brachte ihn in den Garten Eden. Er sollte ihn bearbeiten und bewahren. (1.Mose 2).

Auch das ist in einen neuen Vers gefasst worden:

Die Erde und ihr Leben,
die sind uns anvertraut.
Gott hat sie uns gegeben,
dass sie von uns bebaut,
dass sie von uns erhalten
für Kind und Kindeskind,
dass wir sie recht verwalten,
weil sie Geschenke sind.  
                                                
(Baltruweit, a.a.O., S.65)

Und damit sind wir von der Frage „Woher komme ich? Woher kommt die Welt mit ihren Möglichkeiten für mich?“ schon gelandet bei Kants Frage „Was soll ich tun?“ oder „Wie soll ich leben?“