Freitags 5nach6 - Andacht: Engel

01. Oktober 2021

5nach6_01.10.21_Engel                         Ps 91
Quelle: G.Spallek, Lockvögel eines guten Lebens, in: Andere Zeiten e.V. (Hg.), andere zeiten – das Magazin zum Kirchenjahr 3/2021, Hamburg, 2021, S.6f – Zitate kursiv.

Am dritten Oktober feiern wir in unserer St.Johanniskirche Erntedank. Und wenn wir im Anschluss an diese Andacht den Altarraum mit den Erntegaben schmücken, die Sie heute mitgebracht haben, dann hat das seinen ganz eigenen Wert, den ich heute nicht noch mit Worten besonders würdigen oder gar „zerreden“ muss.

Stattdessen möchte ich auf den letzten Mittwoch eingehen, den 29. September. Das ist der Michaelistag, der den Engeln, speziell dem Erzengel, dem Engelsfürsten Michael gewidmet ist. Der Michaelistag ist genau eine Woche nach … dem Termin, ab dem die Nächte wieder länger als die Tage sind. Deshalb sagte man früher: „Der Michel zündets Licht an“ Bis Lichtmess (2. Februar) wurde von da an öfter bei künstlichem Licht gearbeitet. Als Lichtbringer in der Dunkelheit beschreibt ihn auch Phil Bosmans: „Ein Engel ist jemand, den Gott dir ins Leben schickt, unerwartet und unverdient, damit er dir, wenn es ganz dunkel ist, ein paar Sterne anzündet.“

Und vielleicht ist es ja auch mal ganz gut, unabhängig von Weihnachten über Engel nachzudenken und den Blick zu weiten – hinaus über die weiblichen Nachthemdträgerinnen mit goldenen Flügeln. Diese Vorstellung engt ja auch ein.

Ich vermute, dass sie zusammenhängt mit dem antiken Weltbild, das man gut mit einer Käseglocke vergleichen kann: Die Erde ist eine Scheibe. An einem himmlischen, durchsichtigen, daher gläsernen Gewölbe darüber hängen die Gestirne. Und darüber schließlich ist der Wohnsitz Gottes, „unseres Vaters im Himmel“. Dieser ferne Gott weckte vermutlich die Sehnsucht nach einer spürbaren Verbindung zwischen Himmel und Erde, nach Boten zwischen Gott und Mensch. Und ähnlich wie die anderen Wesen zwischen Himmel und Erde, die Vögel, mussten natürlich auch diese Boten Flügel haben.

Gibt es Engel, gibt es diese weihnachtlichen Engel? Diese Frage spielte für mich keine große Rolle, bis eine gute Freundin meiner Frau vor einer schweren Operation eine hölzerne Engelfigur schenkte. Da fing ich an zu grübeln und stellte mir u.a. die Frage: „Um welchen Engel geht es hier eigentlich? Um die Holzfigur? Oder um die Freundin mit ihrer Besorgtheit, ihrer Zuneigung und ihrer Hilfsbereitschaft für meine Frau und mich?“

Die modernen Engel sind die fliegenden Supermänner und -frauen, die - mit übernatürlichen Kräften und Fähigkeiten ausgestattet - dem Guten zum Durchbruch verhelfen. Was haben diese Wesen mit den Engeln gemeinsam?

Gleichsam von außen, von oben schauen sie auf uns Menschen und sprengen deshalb den vergleichsweise engen Horizont unseres Denkens. Engel wollen unseren Blick weiten, uns ermuntern, die die Lebewesen und die Dinge dieser Welt auch mal aus einer anderen Perspektive zu sehen – und uns selbst vielleicht auch mal anders zu betrachten.

Gerrit Spallek, Seelsorger aus Hamburg, schreibt: Deshalb ist Engeln auch zuzutrauen, dass sie noch auf Wege … aufmerksam machen können, wo wir angesichts vermeintlicher Alternativlosigkeit und Ausweglosigkeit bereits aufgegeben haben.

Der Engel-Rap von Werner Küstenmacher besingt das so:

Einen Engel, einen Engel, Gott, den brauch ich jetzt,
einen Engel, einen Engel, der so richtig fetzt.
Lieber Gott, ich muss schon sagen, deine Welt hat viele Mängel,
darum gib dir einen Ruck, schick ihn runter, deinen Engel…
Einen, der mir, wenn ich penne,
einen Tritt gibt, dass ich renne.
Einen, der mich, wenn ich fies bin,
dran erinnert, dass ich mies bin.
Einen, der mich an der Hand fasst
Und im Chaos auf mich aufpasst.
Einen, der mit aller Kraft,
da, wo Krieg ist, Frieden schafft ...

(Werner Tiki Küstenmacher, in: Das Kindergesangbuch, hg. v. Andreas Ebert in Gemeinschaft mit Ulrike Aldebert, Johannes Blohm, Kirsten Fiedler, Werner Küstenmacher und Karl Mehl, München (Claudius Verlag), 2007, Lied 117)

 

Der Theologe Spallek sieht Engel nicht als Wesen, die uns im letzten Moment von einem Abgrund wegreißen. Für ihn haben sie vielmehr ihre Finger im Spiel wie eine Art „Flüsterer“. Sie ermutigen, den eigenen und fremden Möglichkeiten mehr zuzutrauen. Und sie erinnern uns daran, dass wir fehleranfällig, begrenzt … sind - wie in dem Gedicht von Rudolf Otto Wiemer „Es müssen nicht Engel mit Flügeln sein“.

 

Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein,
die Engel.
Sie gehen leise, sie müssen nicht schrei‘n,
oft sind sie alt und hässlich und klein,
die Engel.

Sie haben kein Schwert, kein weißes Gewand,
die Engel.
Vielleicht ist einer, der gibt dir die Hand,
oder er wohnt neben dir, Wand an Wand,
der Engel.

Dem Hungernden hat er das Brot gebracht,
der Engel.
Dem Kranken hat er das Bett gemacht,
und hört, wenn du ihn rufst, in der Nacht,
der Engel.

Er steht im Weg und er sagt: Nein,
der Engel.
Groß wie ein Pfahl und hart wie ein Stein –
Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein,
die Engel.

 

In den biblischen Geschichten werden Engel häufig als ‚nachtaktiv‘ dargestellt. Sie erscheinen in Träumen: dort, wo die Dinge rückblickend und unterbewusst verarbeitet werden und an Klarheit gewinnen. Aber eben auch dort, wo die Visionen einer verheißungsvollen und gerechten Welt geboren werden.

Lukas erzählt in seiner „Vor-Weihnachtsgeschichte“ von so einer bewegenden, ja, in Bewegung setzenden Vision. Maria besucht ihre Verwandte Elisabeth, nachdem sie noch ganz erfüllt ist von der Ankündigung der Geburt ihres Kindes durch einen Engel. Ganz visionär, hell- und klarsichtig sagt sie nach der Engelsbegegnung über ihr noch ungeborenes Kind: Lk 1, 46 Da sagte Maria: »Ich lobe den Herrn aus tiefstem Herzen. 47Alles in mir jubelt vor Freude über Gott, meinen Retter. 48Denn er wendet sich mir zu, obwohl ich nur seine unbedeutende Dienerin bin. Von jetzt an werden mich alle Generationen glückselig preisen. 49Denn Gott, der mächtig ist, hat Großes an mir getan. … 50Er ist barmherzig zu denen, die ihm Ehre erweisen – von Generation zu Generation. 51Er hebt seinen starken Arm und fegt die Überheblichen hinweg. 52Er stürzt die Machthaber vom Thron und hebt die Unbedeutenden empor. 53Er füllt den Hungernden die Hände mit guten Gaben und schickt die Reichen mit leeren Händen fort.

      Solche Visionen können Folgen haben! Im Nicaragua der 70er Jahre, einer üblen Diktatur, spricht der Priester Ernesto Cardenal mit unterdrückten Kleinbauern in dem Dorf So-lentiname über diesen Lobgesang der Maria.

Andrea, Oscars Frau fragt: „Dieses Versprechen, dass die Armen alle diese Güter haben sollen, ist das für damals gemeint … oder soll das heute geschehen? … Einer der jungen Männer antwortet: Maria sprach für die Zukunft, …, denn wir fangen ja gerade erst an, diese Befreiung zu sehen, die sie ankündigt. Das letzte Wort spricht Marita: Maria hat hier die Gleichheit besungen. Eine Gesellschaft ohne soziale Klassen. Alle ganz gleich.    
(Ernesto Cardenal, Das Evangelium der Bauern von Solentiname, Wuppertal, 1976, S.33)

      Der damalige nicaraguanische Diktator Somoza wurde gestürzt, Cardenal wurde Kulturminister in der neuen sozialistischen Regierung, die für eine gewisse Zeit tatsächlich die Verhältnisse spürbar verbesserte …

Wenn jenseits von Träumen am helllichten Tage in unserem Alltag etwas Außergewöhnliches plötzlich offensichtlich wird … was wir zuvor unzählige Male links liegen gelassen haben, lässt sich vom Wirken eines Engels sprechen. Wer auf eine solche Weise Einfluss auf mein Leben hat, kann frei übersetzt als Engel bezeichnet werden. Sie sind so etwas wie die Lockvögel eines guten (gelingenden, U.G.) Lebens. Sie wecken die Lust auf mehr, über unsere Alltagsgewohnheiten hinaus. Um einem solchen Engel zu begegnen, muss ich es allerdings nicht mit einem übernatürlichen Wesen zu tun bekommen. Auch recht irdische Zeitgenossen oder ganz einfache Dinge können mich damit beschenken. Detlev Jöckel hat das in seinem Lied „Der Engel“ so besungen:

Hände wie deine, wie du sein Gesicht,
und blickt er dich an, dann erkennst du ihn nicht.
Viel später fällt dir ein:
Das kann ein Engel, wirklich ein Engel gewesen sein.
Hände wie deine. Er tut was für dich.
Und du fragst: "Warum tut er so was für mich?"
Und du sagst entschieden: Nein!
Das kann kein Engel, wirklich kein Engel gewesen sein.
Hände wie deine, wie du sein Gesicht.
Und er kommt von Gott und du weißt es noch nicht
und wirst nie sicher sein:
Das kann ein Engel, wirklich ein Engel gewesen sein!

 

Ein bedeutender Mann – der israelische Staatsmann David Ben Gurion - hat einmal gesagt: »Wer nicht mit Wundern rechnet, der ist kein Realist.« In diesem Sinne: Bleiben Sie realistisch, rechnen Sie mit Engeln!

Gebet: Luthers Abendsegen

Ich danke dir, mein himmlischer Vater, durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn,

daß du mich diesen Tag gnädiglich behütet hast,

und bitte dich,

du wollest mir vergeben alle meine Sünde,

wo ich Unrecht getan habe,

und mich diese Nacht auch gnädiglich behüten.

Denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele und alles in deine Hände.

Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde.

Amen