408_27.12.24_Weihnachten Ps 43
Weihnachten ist vorüber. Was bleibt davon?
Bevor wir vielleicht Antworten finden können, müssten wir zunächst noch etwas grundsätzlicher fragen. Warum gibt es Weihnachten? Warum gibt es überhaupt Religionen?
Die Forscher/innen, die sich mit der Geschichte und der Entwicklung des Menschen befassen, die Anthropologen, sind sich weitgehend einig: Die Sache mit der Religion begann, als die Menschen anfingen, ihre Toten zu bestatten. In Beerdigungszeremonien und Grabstätten drückten sie ihre Dankbarkeit gegenüber den Verstorbenen aus und hielten die Erinnerung an sie wach.
Doch irgendwann reichte das nicht mehr. Grabmale trösteten nur begrenzt über den Verlust der Mitmenschen hinweg, die sich in einem Nichts bzw. der Natur auflösten, vergingen. Mit Blick auf die Verstorbenen und mit Blick auf den eigenen Tod wünschten sich Menschen, dass es nach dem Tod irgendwie, anders, aber in jedem Fall weiter ging. Für die Fortsetzung des Lebens in einem anderen Leben, in einem anderen Sein, begann man, die Verstorbenen auszurüsten: Lebensmittel, Waffen, Kleidung, Schmuck, ja sogar Sklaven und Tiere, die man tötete, gab man ihnen in ihre Gräber mit.
Die Vorstellung von einer – wie auch immer gearteten – möglichen guten Zukunft nennt man Hoffnung. Und wenn man sich auf etwas vertrauensvoll verlässt, dann glaubt man. Das Wort glauben kommt aus dem mittelhochdeutschen Wort für ‚für lieb halten‘, ‚gutheißen‘ … In aller Regel bedeutet glauben, etwas Fürwahrhalten auf Grund eines glaubwürdigen Zeugen oder einer glaubwürdigen Informationsquelle. … Glauben in diesem Sinne schließt stets ein das Fehlen … eines Beweises … Im philosophischen … Sinn bedeutet Glauben ein Fürwahrhalten eigener Wahrnehmungen, Überzeugungen …, die jedoch nicht zwingend logisch sein müssen. Dieses Fürwahrhalten braucht nicht zwingend eine objektive Begründung und kann ganz subjektiv, ganz persönlich sein. (nach: Wikipedia)
Der Glaube an ein irgendwie geartetes Leben nach dem Tod ist im Zusammenspiel mit der Hoffnung eine Wurzel jeder Religion.
… die amerikanische Anthropologin Margaret Mead wurde … gefragt, welcher Gegenstand ihrer Meinung nach als erstes Anzeichen unserer Zivilisation gewertet werden kann. Der Frager hatte wahrscheinlich erwartet, dass sie über einen Tontopf oder eine Speerspitze, …, irgendetwas Handfestes spricht, doch Margret Mead antwortete nach kurzem Überlegen kryptisch (geheimnisvoll): "Ein verheilter Knochen."
Wenn ein Tier sich in der Natur etwas breche, so ihre Argumentation, dann seien seine Überlebenschancen gleich null. Es dauere mehrere Wochen, bis so ein Bruch wieder zusammenwachse. In dieser Zeit könne es sich weder zu einer Wasserquelle bewegen noch jagen, es würde also verhungern, verdursten oder anderen Tieren zum Opfer fallen. Knochenfunde, die beweisen, dass ein Mensch viele Jahrtausende vor Christus mit einem gebrochenen Oberschenkelknochen überlebt hatte, sprechen dafür, dass jemand da gewesen war, um sich dieser Person anzunehmen. Jemand, der ihr zu essen und zu trinken brachte, der bei ihr blieb und ihr somit die Möglichkeit gab, in Ruhe gesund zu werden. Das erste Anzeichen unserer Zivilisation sei demnach … unsere Fähigkeit, uns nicht mehr nur um uns selbst, sondern auch um andere zu sorgen. (Andere Zeiten e.V., Der Andere Advent, Hamburg, 2024, Seite für den 12.12.24)
Zivilisation – und damit auch Religion - beginnt also mit der Liebe, der Nächstenliebe, der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod und den vertrauensvollen Glauben daran.
Uups, und damit sind wir unversehens bei dem christlichen Dreiklang von Glauben, Hoffnung und Liebe (1.Kor 13, 13), wobei die Liebe das Größte ist.
Und was bedeutet das nun für die Frage, was von Weihnachten bleibt?
Aus der Erzählung von Weihnachten hallt in mir in diesem sorgenvollen, unfriedlichen Jahr 2024 besonders nach die Botschaft der Engel an die Hirten auf dem Felde:
10Der Engel sagte zu ihnen: »Fürchtet euch nicht! Hört doch: Ich bringe euch eine gute Nachricht, die dem ganzen Volk große Freude bereiten wird. 11Denn heute ist in der Stadt Davids für euch der Retter geboren worden: Er ist Christus, der Herr. … 13Plötzlich war der Engel umgeben vom ganzen himmlischen Heer der Engel. Die lobten Gott und riefen: 14»Gottes Herrlichkeit erfüllt die Himmelshöhe! Sein Frieden kommt auf die Erde zu den Menschen, denen er sich in Liebe zuwendet!« (Lk 2, 10 – 14 i.A.)
Es gibt einen Retter, es gibt Rettung, es gibt eine Zukunft in allem und gegen allen Unfrieden und Unheil, in und gegen alle Not und Sorge, in und gegen alle Lieblosigkeit und Lebensfeindlichkeit - und jenseits davon (also auch nach dem Tod), weil Gott sich den Menschen in Jesus liebevoll zuwendet. Diese vertrauensvoll geglaubte Hoffnung darauf, dass Liebe wahr wird, das ist für mich die bleibende Botschaft von Weihnachten.
Da kann es einem schon gehen wie dem Jakob, von dem Susanne Niemeyer erzählt (Engel gesucht, in: dies., Der Stolperengel, Freiburg, 2024, S. 67 – 71 bearbeitet):
Die Luft ist klar, bald wird es Frost geben. Die Lichterketten sind aufgehängt. Zimtgeruch liegt über der Stadt. Es dämmert bereits, als Jakob aus dem Haus tritt. Er seufzt. Früher liebte er diese Zeit vor Weihnachten, als Kind. Überall warteten Geheimnisse. Jeden Tag konnte ein Wunder geschehen. „Ach“, murmelt Jakob, „das war noch schön:“ Dann zieht er den Mantel fester um die Schultern und geht los, um seine tägliche Zeitung zu kaufen.
Auf der Straße ist es voll. Irgendwo dudelt „Jingle Bells“. Die Menschen haben die Kragen hochgeschlagen und hasten an ihm vorbei. An der Bushaltestelle läuft eine Eilmeldung über die Werbetafel. Er achtet nicht weiter darauf …
Als er am Kiosk ankommt, ruft ihm Heike, die Verkäuferin, schon von weitem entgegen: „Hast du gehört? Ein Engel soll gelandet sein! … Ein echter Engel! Hier irgendwo bei uns! Nu stell dir das mal vor, Jakob!“
Jakob glaubt nicht, dass es Engel gibt. … „Wie soll er denn aussehen, dein Engel?“
Heike zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung. Wahrscheinlich hat er Flügel. So einen kann man nicht übersehen … Halt die Augen offen!“, sagt sie
Jakob schüttelt den Kopf. Engel gibt es nur in Geschichten. … Aber Heike lässt nicht locker. „Mensch, Jakob, so ein Engel kann bestimmt was ändern! Die ganzen Krisen und das alles.“
Jakob seufzt. „Wenn das so einfach wäre … Wie soll das denn gehen?“ Er nimmt seine Zeitung, nickt Heike zu … und geht in die Dunkelheit davon.
Aber Heikes leuchtende Augen kann er nicht vergessen. Ein Engel! Hier in der Stadt!
Dabei gibt es dauernd solche Meldungen: Ein UFO ist gelandet! Der Garten Eden ist gefunden … Und jetzt eben ein Engel. Jakob versucht, an etwas anderes zu denken. Aber es geht nicht. Und wenn es doch stimmt? Was wäre, wenn wirklich ein Engel auftaucht?
Er spürt den Hauch einer Sehnsucht in sich, die er längst vergessen hatte. Plötzlich will er nicht mehr zurück in die Stille seiner Wohnung. Er beschließt, eine Extrarunde zu drehen. Das kann schließlich nicht schaden und der Gesundheit tut es sowieso gut.
Jetzt, wo er ohne Ziel durch die Straßen geht, fallen ihm Kleinigkeiten auf.
Eine flackernde Kerze in einem Fenster. Ein Geigenspieler vor einem Schuhladen. Jakob bleibt stehen und wirft eine Münze in den Geigenkasten. Sogar den Geruch der gebrannten Mandeln genießt er auf einmal. Ihm ist, als läge plötzlich ein Zauber über der Stadt. Eine Art freudige Erwartung, die ansteckt.
Jakob bemerkt, dass wildfremde Leute ihn anlächeln. Verunsichert lächelt er zurück. Türen werden aufgehalten. Er sieht, wie eine Frau einem Taxifahrer frischen Kaffee bringt. Als Jakob nach zweieinhalb Stunden beschließt, den Bus nach Hause zu nehmen, beantwortet der Fahrer seine Fragen nach dem passenden Tarif mit einer Engelsgeduld. Er wundert sich. Was ist geschehen?
„Das ist wegen dem Engel“, sagt eine Frau, die seine Gedanken zu erraten scheint. „Wenn Sie einen Engel suchen, dürfen Sie nicht auf Flügel achten. Dann werden Sie merken, er ist längst unterwegs.“
Jakob stutzt. Wer ist diese Frau? Aber bevor er sie genauer ansehen kann, steigt sie aus und verschwindet im Gewühl der Weihnachtseinkäufer.
Erstaunt spürt Jakob in sich selbst ein unbekanntes Gefühl. Er beginnt, fremde Menschen neugierig anzugucken …
In den nächsten Tagen scheint sich etwas zu ändern in der Stadt. Überall wird über den Engel geredet. Jeder scheint ihn finden zu wollen. In den Nachrichten werden immer neue Engelsbegegnungen gemeldet.
Ein Kunde meint, den Engel in einem Kaufhaus gesichtet zu haben. Eine Frau ist sicher, ihn an der Tankstelle erkannt zu haben. … Auf einmal scheint es überall Engel zu geben.
Das ist der Moment, in dem Jakob begreift. Sein Herz pocht, wie schon lange nicht mehr.
… Schnell zieht er seinen Mantel an und verheddert sich mit den Ärmeln, weil er so aufgeregt ist. Den Weg zum Kiosk legt er im Laufschritt zurück. Heike hat die Ellenbogen auf ihren Verkaufstresen gestützt.
„Und?“, fragt sie ungeduldig. „Hast du einen Engel gefunden?“
Jakob strahlt: „Einen? Tausende! Die Stadt ist voll davon. Wie konnten wir das nur übersehen?!“
Menschen sind verwandelt. Sie öffnen sich. Sie lächeln mehr. Sie behandeln einander mit Respekt. Ein Engel mit Flügeln wird nie gesichtet. Aber Frieden und Freundlichkeit breiten sich weit über die Stadtgrenzen hinaus aus. Denn wer weiß? Schließlich könnte jeder, könnte wirklich jede ein Engel sein.
Ja, das ist es, was von Weihnachten bleiben könnte. Ein Nachhall der Botschaft von Frieden und Liebe, der die Menschen voller Hoffnung vertrauen und die sie im Kleinen wie im Großen liebevoll leben.