Freitags 5nach6 - Bußtag Entschuldigung

13. November 2024

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Quellen: (1) Matthias Pankau, Entschuldigung! Warum uns Verzeihen schwerfällt EZ-Newsletter 21.10.24 (Zitate kursiv)
(2) R.Grote, Schuld ist kein echtes Gefühl, in Ev. Zeitung 19.11.1923, S. 4f (Zitate kursiv)

Und schon ist es passiert! Ich merke es ganz genau. Das war falsch. Ich habe etwas getan bzw. gesagt (oder nicht getan bzw. nicht gesagt), das nicht in Ordnung war. Wenn es nur „nicht in Ordnung war“, mag es noch gehen. Aber was ist, wenn es richtig übel, verletzend, schlimm war? Ich weiß ganz genau, dass ich schuldig geworden bin. Und nun?  

“Es tut mir leid” – vier kleine Worte, die vielen Menschen schwer über die Lippen kommen. …

Anfang der 1980er rief der US-amerikanische Künstler Allan Bridge die sogenannte „Apology Line“ (Entschuldigungsfenster) ins Leben. Bei der telefonischen Hotline konnte man anrufen und anonym für begangenes Unrecht gegenüber Mitmenschen um Verzeihung bitten. Wie sehr Bridge damit einen Nerv traf, hatte er wohl selbst nicht für möglich gehalten: Tausende riefen an, um ihr Gewissen zu erleichtern.

Um Entschuldigung zu bitten, könne befreiend wirken, sagt Manfred Lütz ... Der 70-jährige Bestsellerautor ist Theologe und Psychologe. Das von Angesicht zu Angesicht zu tun, setzt allerdings ein gewisses Selbstbewusstsein voraus, „die innere Gewissheit, dass der eigene Wert nicht davon abhängt, dass man alles richtig macht“. Ein solches Selbstbewusstsein kann etwa der christliche Glaube bewirken, ist der Katholik überzeugt, „wenn man darauf vertraut, dass nur Gott perfekt ist und dass er mit unseren Fehlern und Sünden barmherzig umgeht“. Das bleibt ja die Botschaft Martin Luthers. Wir haben sie anlässlich des gerade hinter uns liegenden Reformationstages bedacht.

Nach Lütz‘ Beobachtung wirkt sich eine schwindende Bereitschaft, Fehler einzugestehen und dafür um Verzeihung zu bitten, auch auf das gesamtgesellschaftliche Miteinander aus. Eine Gesellschaft, in der die Bereitschaft zur Bitte um Vergebung fehlt, spaltet sich und werde kälter: „In Wahrheit sind wir alle Menschen, die Fehler machen können und der Barmherzigkeit bedürfen.“ Besonders gut lässt sich das in der Politik beobachten, findet Lütz: „Die unsägliche Rechthaberei von Politikern wirkt künstlich und nicht überzeugend.“ … Nach seiner Überzeugung würde es das Vertrauen in die Politik stärken, wenn Politiker offener zu ihren Fehlern stünden und diese auch bekennen würden.

Es war deshalb schon erstaunlich und vorbildlich, dass der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sagte: „Wir werden einander viel verzeihen müssen!“

Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler aus Tübingen, stimmt dem zu, warnt aber … Eine allzu theatralische, auf öffentliche Wirksamkeit abgestellte Bitte um Vergebung … macht ihn ebenso misstrauisch wie ein lapidares, gedankenlos daher gemurmeltes „Sorry“, erklärt Pörksen. Oft geht es dann nicht in erster Linie um tatsächliche Reue, sondern lediglich darum, das eigene Ansehen zu retten. …

Aber warum tun sich einige Menschen überhaupt so schwer, andere um Verzeihung zu bitten? Psychologen … machen dafür ein komplexes Zusammenspiel aus Ego, Angst, Unverständnis, Stolz und Scham verantwortlich.

Oft liegen die Ursachen in der Kindheit, sagt die psychologische Beraterin Stephanie Hollstein …. Wer etwa als Kind immer Recht bekommen hat, hat nicht gelernt, mit anderen Meinungen umzugehen. Aber auch, wer in der Kindheit keine guten Bedingungen vorgefunden hat, um ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln, oder schlechte Erfahrungen gemacht hat, wird als Erwachsener damit zu kämpfen haben. In leistungsorientierten Gesellschaften kommt zudem eine problematische Fehlerkultur dazu: Viele Menschen empfänden die Bitte um Entschuldigung als Niederlage, ...

Das Gegenteil ist der Fall, urteilt Manfred Lütz: Wer um Entschuldigung bittet, zeigt Größe. Und er warnt zugleich vor einem Missverständnis: Es kann sich niemand selbst entschuldigen, wie das umgangssprachlich meist formuliert wird. Man kann stets nur um Entschuldigung bitten. (1)

Dem Bedürfnis, um Entschuldigung zu bitten (und es dann auch zu tun), geht einiges voraus. Da ist zunächst die Erkenntnis, dass ich etwas falsch gemacht, einen Fehler, ein Unrecht begangen habe. Daraus entstehen Scham und Reue.

Wer sich schämt, hat oft das Gefühl: In mir stimmt etwas nicht. Das kann zu einer totalen Abwertung der eigenen Person führen. Das hilft nicht weiter.

Reue dagegen ermöglicht eine sinnvolle Korrektur. … Die Reue beruht auf Einsicht, zeigt, dass ich Verantwortung für mein Handeln übernehme und ist verbunden mit einer Abmachung (mit mir selbst und/oder meinen Opfern), meinen Fehler, mein Unrecht nicht zu wiederholen und etwas wieder gutzumachen.

Es ist sehr heilsam, wenn der oder die andere hört und merkt, dass ich Fehler zugebe … Wenn ich erfasse (spürbar zu erfassen versuche), was ich in dem Anderen vermutlich angerichtet habe, dann ist eine Grundlage geschaffen für Versöhnung.

Damit wechseln wir die Blickrichtung vom Täter auf das Opfer. Beim Opfer gibt es die Unterscheidung zwischen Versöhnen und Verzeihen.

Zum Versöhnen gehe ich als Schuldiger und vielleicht auch als Opfer auf den anderen zu und bitte darum, dass wir wieder gut sind. Beim Verzeihen brauche ich als Opfer das Gegenüber nicht. Da steckt das Wort „Verzicht“ drin. Ich verzichte darauf, dass der andere mir entgegenkommt. Ich verzichte sogar darauf, dass er versteht, was das Vorgefallene für mich bedeutet. Verzeihen heißt aber nicht, dass ich das Geschehene gutheiße ...

Wer verzeiht, löst sich, entbindet sich aus der Verstrickung zwischen Täter und Opfer. Dabei ist es wichtig, dass ich als Opfer erkenne, dass ich gelitten habe. Erst dann kann ich mich bewusst und nachhaltig dafür entscheiden, dass ich innerlich loslasse, dass ich dem Täter nicht länger Macht über mich lassen will. Verzeihen ist ein Akt der Selbstbefreiung aus der Opferrolle – ich bin mehr und etwas anderes als nur Opfer.

Vergeben trägt das Wort „geben“ in sich. Ich gebe etwas auf, wenn ich vergebe. Vielleicht gebe ich auch etwas weg, so dass die Bedeutung dessen, was man mir angetan hat, schwindet. Ich gebe es zu Gott mit der Bitte um Verwandlung, … um Heilung.

Buß- und Bettag erinnert uns an unsere Fähigkeit zur Umkehr, zur Veränderung. … Wir können unsere Fehler, unser Versagen als Schuldig-Gewordene, aber auch unser Leid als Opfer auf den Altar legen, in die allumfassende Liebe Gottes. So könnten wir vom Kreuz der Schuld und des Leids in die Auferstehung der Liebe geraten – der Liebe, die den Schuldig-Gewordenen verändert, der Liebe, die das Leid des Opfers auffängt, mitträgt, das Opfer von der Konzentration auf sein Leid und auf den Schuldigen befreit. (2)

Der Kabarettist Karl Valentin hat einmal gesagt: "Wer am Ende ist, kann von vorne anfangen, denn das Ende ist der Anfang von der anderen Seite."

Ans Ende können beide zum neuen Anfang kommen: Der Schuldige kann durch Erkenntnis, Übernahme von Verantwortung, Reue, Bitte um Entschuldigung, Buße – also Umkehr im Verhalten – und Wiedergutmachung (soweit sie möglich ist) ans Ende seiner Rolle als Schuldiger kommen. Das Opfer kann durch Annahme einer Bitte um Entschuldigung, Vergebung und vielleicht sogar Versöhnung seine Opferrolle überwinden und – durchaus mit den Narben erlittenen Unrechts - neu leben.

Am Sonntag ist erst noch Volkstrauertag, bevor am kommenden Mittwoch der Buß- und Bettag ansteht. Wir denken an die Opfer von Kriegen, Gewaltherrschaft, Terrorismus. Wir denken an die Opfer der Menschen, die den Weg zur Umkehr nicht mehr rechtzeitig gefunden haben und so zu Tätern/innen geworden sind.

Vermutlich müsste der Buß- und Bettag früher stattfinden, besser noch: Jeder Tag wäre ein Buß- und Bettag. Dann würden die Kriegsherren unserer Tage, Politiker und Rüstungsfanatiker, Gewalttäter und hasserfüllten Hetzer vielleicht umkehren von ihrem Weg, der immer neue Opfer produziert, und zwar nicht nur bei den Feinden, sondern auch in den eigenen Reihen. Die wutverzerrten oder mitleidlosen Gesichter der Täter zeigen, dass sie selber etwas von ihrem Menschsein verlieren …

Die künstliche Intelligenz unserer Navigationssysteme sagt uns so oft: „Drehen Sie, wenn möglich, um!“ Wir überhören es, wissen es angeblich besser – die Folgen können fatal sein. Die natürliche Intelligenz sagt uns das auch – wir überhören, übertönen sie nur viel zu oft. Die Folgen sind weitaus schlimmer als bei einem Umweg im Straßenverkehr.

Und Gott sagt es: Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein. (Weltkirchenrat 1948) – Liebe deine Feinde. Mt 5, 43ff) – Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst. (Mt 22, 37ff) – Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen. (Mt 26, 52). Das Navi haben wir. Hören wir darauf – und treten wir für diese Botschaft ein.

Gebet:

Gott,
mein Herz ist schwer
und mein Lebensmut sinkt,
wenn alles aus dem Ruder läuft.
Ich sehe, 
wie ich andere verletze.
Ich sehe, wie
ich von anderen verletzt werde.
Du siehst das alles
Und du siehst mich an.
Es ist nicht zu spät,
bei dir niemals.
Zieh mich an dich, Gott,
Erbarme dich

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St. Johannis Königsdahlum