404_5nach6_29.11.24_Advent 1_Licht
Quelle: (1) wichern.pdf
(2) T.Willms, Zwischen Stern und Stall, Neukirchen-Vluyn, 2026, S. 52f
Heute brennt die erste Kerze an unserem Adventskranz – und wie wichtig ist das in dieser dunklen Zeit. Das meine ich nicht nur im übertragenen Sinne, das meine ich auch ganz konkret: Sonnenaufgang erst nach 8 Uhr, Sonnenuntergang schon gegen 16 Uhr! Wir sehnen uns nach Licht. Und wie mag es erst unseren Vorfahren ergangen sein, die noch viel mehr als wir heute tatsächlich vom Sonnenlicht abhängig waren!
Kein Wunder, dass „Licht“ im Glauben und in der Bibel so eine wichtige Rolle spielt!
Das Volk, das im Dunkel lebt, / sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf. (Jes 9,2) Mach dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir. (Jesaja 60,1)
Sonntagmorgen am Frühstückstisch (gekürzt und bearbeitet)
Verschlafen schleicht Timo aus seinem Zimmer. Marie, seine kleine Schwester – gerade mal vier Jahre alt – hat ihn mit ihrer Lebhaftigkeit aus den schönsten Träumen gerissen. Denn Marie springt schon seit einer halben Stunde ganz aufgeregt in der Wohnung herum. Vater und Mutter sitzen bereits am Frühstückstisch und warten auf den neunjährigen Timo. ” Da kommst du ja endlich, du alter Langschläfer“ neckt ihn Vater. …
Marie ist ganz aufgeregt: ”Timo, Timo, schau mal, was da auf dem Tisch steht!“ Timo blinzelt … zum Tisch, auf dem ein wunderschön geschmückter Adventskranz liegt.” Ah, haben wir schon Advent?“ ¨ Nun meldet sich Mutter: ” Guten Morgen, Timo. Ja, stell’ dir vor, wir haben schon Advent. … Hättest du nun Lust, die erste Kerze anzuzünden?“
So langsam kehrt Leben in den trägen Timo. … Timo gefällt es, wenn Kerzen brennen. Er liebt den Duft des Adventskranzes und er liebt die vier Wochen bis zum Heiligen Abend, auch wenn ihm das Warten manchmal schwer fällt … Schon eilt Timo an den Schrank und holt eine Schachtel Streichhölzer heraus.
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Marie ist ganz nervös. Für sie ist noch alles so neu, so besonders. Während Timo das Streichholz vorsichtig an der Schachtel reibt, fragt Marie plötzlich in die Runde: ” Warum zünden wir eigentlich die Kerze am Adventskranz an?“ ¨
Timo hält inne, noch bevor sich das Streichholz entzündet hat. ”Na, du stellst Fragen! Weil heute der erste Advent ist“, antwortet Vati. Marie verzieht ihr Gesicht, so wie sie es immer macht, wenn sie nachdenkt. Timo ist auch ins Grübeln gekommen und mit der Antwort des Vaters noch nicht zufrieden: ”Stimmt, warum zünden wir eigentlich Kerzen am Adventskranz an? Ich meine, warum gibt’s überhaupt einen Adventskranz, wer hat denn den erfunden?“
… Da hat Mutter eine prima Idee: ”Ich hab‘ irgendwo ein altes Buch über Advents-bräuche. Da könnte etwas drinstehen.“ Und schon kramt sie unter den vielen Büchern im Schrank, bis sie ein großes Buch im braunen Umschlag hervorzieht und ihr Gesicht hinter den großen Seiten des Buchs verschwindet.
Vater, Timo und Marie schauen gespannt zu Mutter. …”Was steht denn da nun?“ platzt schließlich Marie heraus. … Mutter legt das Buch zur Seite: ”Das ist ja total interessant!“ … Da steht, dass vor rund 150 Jahren ein Mann namens Johann Hinrich Wichern lebte. Der hat den Adventskranz sozusagen erfunden!“ ”Einfach so?“, bohrt Timo nach.
”Nein, natürlich nicht“, antwortet die Mutter. … Nun, Johann Hinrich Wichern wurde (1808) in Hamburg geboren. Er war der Älteste …Und als sein Vater starb, musste dieser Johann Wichern nicht nur auf seine Geschwister aufpassen, sondern sie auch noch versorgen. Er musste arbeiten gehen, …
Timo schluckt und meint: ” Da geht’s mir aber gut! …
Mutter erzählt weiter: ” Ja, … Tagsüber arbeitete er und abends machte er Schulaufgaben, damit er einmal etwas Ordentliches werden könnte. Denn im Moment war er immer nur irgendwo ein Gehilfe, der viel zu wenig verdiente, … Und hätte es nicht noch ein paar Freunde gegeben, die die Familie Wichern unterstützten, hätte Johann nie studieren können, …Johann Wichern studierte Theologie. Als Wichern (1832) fertig war, wurde er Lehrer an einer Sonntagsschule.“
”Wie, musste man damals auch sonntags in die Schule?“, will Timo wissen.
”Mmh, das war eher so,“ mischte sich jetzt der Vater ein ” dass die Kinder der Ärmsten die ganze Woche schuften mussten. Wenigstens am Sonntag sollten sie ein wenig Lesen und Schreiben lernen, indem man mit ihnen in der Bibel las … Ja, und eines Tages hat Wichern einmal die Kinder zu Hause besucht und als er dann sah, aus welch ärmlichen …Verhältnissen seine Kinder aus der Sonntagsschule kommen, wusste er, dass er mehr tun musste, als nur sonntags für die Kids da zu sein.
Und so bettelte Wichern bei den Reichen Hamburgs und erzählte ihnen von den Armen, bis man ihm schließlich ein altes Bauernhaus überließ, das sogenannte Raue Haus. Bald zog Wichern mit seiner Mutter, zwei Geschwistern und drei armen Kindern dort ein. Zwei Monate später waren es 14 Kinder. Wichern wollte für die Kinder da sein. Er wollte, dass die Kinder wieder ein Zuhause hatten, dass sie Geschichten von Gott hörten, dass sie Lesen und Schreiben und später einen Beruf lernen konnten.
Das war nicht so einfach. Die Kinder hatten keine Manieren, sie logen und betrogen, weil sie es zuhause nie anders gelernt hatten. Manchmal hauten sie auch einfach ab. Aber Wichern wollte ihnen dennoch zeigen: Hier habt ihr ein Zuhause und Gott hat euch lieb.
Und dann hatte er an einem Novembertag einen genialen Einfall. Er besorgte sich ein hölzernes Wagenrad und setzte vier dicke, weiße Kerzen auf das Rad und dazwischen setzte er noch weitere 19 rote, kleinere Kerzen.
Am ersten Advent ließ er das Rad von der Decke in den Raum herabhängen. Natürlich war die Überraschung der Kids am Abend des ersten Advents riesengroß, als sie den Raum betraten und dieses neue Ding von der Decke herabhing, an dem eine der dicken, weißen Kerzen brannte. Und an jedem Wochentag wurde eine der kleinen, roten Kerzen angezündet. Jeden Tag eine mehr bis zum Heiligen Abend!“
”Das ist ja fast so wie bei unserem Adventskalender, Mama?,“ mischte sich jetzt Marie ein. ”Genau! Du hast Recht, das war damals der Adventskranz und der Adventskalender dieser armen Kinder. Und die freuten sich! Denn Kerzen waren für sie noch etwas Besonderes. Und an jedem Abend versammelten sie sich unter ihrem Adventskranz, sangen Adventslieder und Wichern erzählte ihnen Geschichten aus der Bibel!“
”Das ist ja fast so wie in der Kinderkirche. Da singen wir auch und hören Geschichten aus der Bibel“, bemerkte Marie.
Die Mutter schaut erschrocken auf die Uhr. ” Ach du liebe Zeit. Jetzt hab ich euch so viel erzählt, dass ihr euch beeilen musst, um noch rechtzeitig in die Kinderkirche zu kommen.“ ”Eins muss ich aber schon noch wissen“, sagt Timo ” warum haben wir kein hölzernes Wagenrad, sondern einen Kranz aus Tannenzweigen?“
”Oh, das hätte ich jetzt doch fast vergessen“, antwortet Mutter. ” Einige Jahre später erst haben sie in diesem Rauen Haus auch den ganzen Raum geschmückt mit grünen Tan- nenzweigen, damit alles noch festlicher aussah und die Kinder sich noch wohler fühlten. Und wieder einige Jahre später, kam irgendjemand auf die Idee, man könnte doch auch um das Rad Tannenzweige binden. Und Besucher vom Rauen Haus fanden diese Idee so toll, dass sie zu Hause auch so einen Kranz wollten. Und so wurde das überall bekannt und jetzt haben auch wir so einen Kranz.“
”Nur wir haben vor lauter Erzählen ganz vergessen, unseren Kranz anzuzünden!“ meldet sich Vater zu Wort. ” Oh ja, das ist meine Aufgabe“, sagt Timo … Ganz feierlich zündet Timo jetzt das erste Licht am Kranz an. ¨ ” Und haben der Kranz und die Kerzen auch eine Bedeutung?“ will Timo noch wissen.
”Natürlich, das Grün der Tannenzweige ist nicht nur ein Zeichen der Hoffnung, sondern steht für das Leben. Die immergrünen Tannenzweige sind ein Zeichen der Hoffnung auf das ewige Leben, das wir in Jesus Christus geschenkt bekommen. …
Kränze gelten seit alters her … als Zeichen des Sieges. Auch der Grabkranz will nichts anderes als ein Zeichen des Sieges Jesu Christi über die Macht des Todes sein. Und der Adventskranz bringt dieses Siegeszeichen in unsere Häuser, gerade auch in einer dunklen und tristen Jahreszeit, in der die Natur abstirbt.
Mit dem Kranz kommen auch die Kerzen und Lichter. Sie weisen auf den hin, der von sich behauptet: Ich bin das Licht der Welt! Wer mir nachfolgt, wird nicht mehr in der Dunkelheit umherirren, sondern folgt dem Licht, das ihn zum Leben führt. (Joh 8,12).
Die Farbe Rot steht für die Liebe, speziell für die Liebe Gottes, die er uns in Jesus Christus schenkt. Dass täglich eine Kerze entzündet wird, hat natürlich zur Folge: jeden Tag wird es heller und wärmer um den Kranz bis hin zur Ankunft Jesu an Heiligabend.“ (1)
Die Schriftstellerin Tina Willms versucht, sich vorzustellen, wie jener Kranz auf die Kinder im Rauen Haus damals gewirkt haben könnte – und wie er bis heute wirken könnte:
Ich stelle mir vor, wie die Kinder sich am 1. Advent im Betsaal versammelten. Viele von ihnen kamen aus – wie wir heute sagen würden – schwierigen Verhältnissen. Sie hatten erlebt, was Kinder eigentlich nicht erleben sollten …
Nun sehe ich sie da sitzen, in Reihen hintereinander … Im Raum ist es dunkel. Dann zündet Johann Hinrich Wichern eine einzige Kerze an. Ein warmes, zartes Licht schimmert und legt sich auf die jungen Gesichter. An jedem der folgenden Tage … wird eine weitere Kerze angezündet. …
Und in den Raum hinein wächst das Licht. Es ist ein sanftes, verletzliches Licht, und es fällt auf diese Mädchen und Jungen, die viel Dunkles und Finsteres erfahren haben. Jeden Tag wird es etwas heller und strahlt etwas mehr.
Ich kann mir vorstellen, dass es die Kinder verändert hat, das zu erleben. Wer sanft berührt ist, lernt, auch andere sanft zu berühren. Wer verletzlich ist, wird empfänglich sein für einen Gott, der sich selbst verletzbar macht. Und wer erlebt hat, dass es in einer dunklen Zeit langsam hell wird, der wird auf eine besondere Weise von Hoffnung sprechen. (2) Bis Weihnachten klar wird: Jesus ist geboren, das Licht der Welt.
Gebet: (nach T.Willms, S.54f)
Kerzen werden angezündet
Konturen werden weicher
Schatten werden sanfter
Menschen werden schöner
Außen und innen
Kerzenlicht ist wie
Eine große freundliche Hand
Die dich empfängt
Und zuhause sein lässt
Gott
Reich du uns deine Hand
Sprich über uns Menschen
Dein Schöpfungswort:
Es werde Licht für euch
Sprich über uns Menschen
Dein Liebeswort:
Ich bin das Licht für euch
Sprich über uns Menschen
Dein Sendungswort:
Ihr sei das Licht in der Welt