Freitags 5nach6 - Volkstrauertag mit Martin Luther

18. November 2022

325_5nach6_18.11.22_Volkstrauertag mit Martin Luther                                    Ps 46

Einer der einfallslosesten Einstiege in eine Unterrichtsstunde ist ja die Lehrerfrage: „Was haben wir denn in der letzten Stunde gemacht?“ Warum fragen Lehrer so? Sie wollen Zusammenhänge herstellen, deutlich machen, dass sie nicht nur einzelne Häppchen präsentieren, sondern dass ihre Unterrichtseinheit ein großes Ganzes darstellt, ein Thema.

Und weil man schlecht aus seiner Haut kann und ich gerne auf aktuelle Fest- und Gedenktage eingehe, kam ich bei 5nach6 von Martin Luther zu St. Martin. Aber kann ich diese Linie fortsetzen? Wir kommen ja nun von Reformationstag, Martinstag und  Volkstrauertag her. Gibt es da einen Bezug zu Martin Luther? – Gibt es.

In der Feierstunde des Deutschen Bundestages wird alljährlich folgender Text verlesen:

Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg,
an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken
der Soldaten, die in den Weltkriegen starben,
der Menschen, die durch Kriegshand­lungen oder danach in Gefangenschaft,
als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir gedenken derer,
die verfolgt und getötet wurden,
weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden,
Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung
als lebensunwert bezeichnet wurde.

Wir gedenken derer,
die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben,
und derer, die den Tod fanden,
weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.

 

Wir trauern
um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage,
um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung,
um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte,
die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren ...

Wir gedenken heute auch derer,
die bei uns durch Hass und Gewalt Opfer geworden sind.
Wir gedenken der Opfer von Terrorismus und Extremismus,
Antisemitismus und Rassismus in unserem Land.

Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten und teilen ihren Schmerz.

Sie alle – Opfer von Gewalt und Krieg. Es gibt sie immer wieder – und es gab sie auch zu Zeiten Martin Luthers. Dieses Leid hat Luther in folgendes Lied gefasst (EG 421):

 

Verleih uns Frieden gnädiglich,
Herr Gott, zu unsern Zeiten.
Es ist doch ja kein andrer nicht,
der für uns könnte streiten,
denn du, unser Gott, alleine.

 

 

Wikipedia weiß: Luthers Lied aus dem Jahr 1529 geht zurück auf einen lateinischen Wechselgesang aus dem 9. Jhdt. Der Strophe fügte Luther einen Gebetsruf an, der heute so klingen könnte:

Gott gib fryd in deinem lande,
Gluck und heil zu allem stande.
Herr Gott hymelischer Vater,
der du heiligen mut, guten Rad und rechte werke schaffest,
Gib deinen dienern friede,
welchen die welt nicht kan geben,
auff das unsere hertzen
an deinen gepoten hangen
und wir unser zeit durch deinen schutz
stille und sicher fur feinden leben.
Durch Jhesu Christ, deinen son unsern Herren. Amen.[5]

Gott gib Frieden in deinem Land,
Glück und Heil für jeden Stand.
Herrgott, himmlischer Vater,
der du heiligen Mut, guten Rat
und rechte Werke schaffest,
Gib deinen Dienern Frieden,
welchen die Welt nicht geben kann,
so dass unsere Herzen
deinen Geboten anhängen
und wir unsere Zeit durch deinen Schutz stille und sicher vor Feinden leben können.

 

1566 wurden (unter Bezug auf 1 Tim 2,2) folgende Zeilen hinzugefügt:

Gib vnserm Fürsten und aller Oberkeit fried vnd gut Regiment,
das wir vnter jnen ein gerüglich[6] vnd stilles leben führen mögen
in aller Gottseligkeit vnd erbarkeit.[7]

Gib unserem Fürsten und aller Obrigkeit Frieden und eine gute Hand,
dass wir unter ihnen
ruhig und still leben können
in Gottseligkeit und Ehrbarkeit.

 

Diese Zeilen machen deutlich, dass es Luther nicht nur um die menschlich-persönliche, sondern auch um die politische Seite von Krieg und Gewalt, Leid, Not und Tod geht.

Wikipedia fährt fort: Das Lied ist ein Gebet um den irdischen, politisch-sozialen Frieden: „in diebus nostris“ – „zu unsern Zeiten“. Dieser wird als Ergebnis eines Kampfes aufgefasst, den nur Gott führen kann. … gern wird auf den historischen Zusammenhang mit dem Türkenkrieg hingewiesen, … Beim Speyerer Reichstag im Frühjahr 1529 zeichnete sich außerdem ab, dass auch die Glaubensfrage den Reichsfrieden gefährdete.

Damals schon: Unfrieden, wohin man schaute.

Hat der unbekannte Schreiber im 1 Mose (8,21) Recht, wenn er Gott nach der Sintflut sinnieren lässt: Nie wieder will ich die Erde wegen der Menschen verfluchen. Denn von Jugend an haben sie nur Böses im Sinn.

Wenn das so ist, kann in der Tat nur noch Gott helfen und sich mühen, die bösen Menschen im Zaum zu halten.

Wenn das ist … Ist es so? Nein (vgl. M.Mesenhöller, Eine Frage der Achtung, in: GEOkompakt Nr. 70 „Meilenstein der Zivilisation“, Hamburg, 2022, S.68ff).

Jüngere Forschungen zeigen, dass … die aufrichtige Sorge um andere sowie das Streben nach einer moralischen Haltung ebenso tief im Menschen verwurzelt sind wie seine dunkle (egoistisch-gewalttätige, UG) Seite … Wir haben wohlwollende und aggressive Instinkte, böse und gute Ideen. Kurz gesagt: der Mensch kann wählen. Und er muss wählen … Der Mensch ist seinem Wesen nach kein skrupelloser Egoist, der allenfalls aus taktischen Gründen Rücksicht auf andere nimmt … Jeder kann ein St. Martin sein!

Die Forschung hat herausgefunden, dass unter sozialen Lebewesen eine Art gefühlsmäßige Ansteckung verbreitet ist: die Übernahme von Empfindungen eines Artgenossen. Wird ein Vogel von einer Katze erschreckt, fliegt der ganze Schwarm auf. Daraus hat sich bei uns die Fähigkeit zu Empathie entwickelt, die Fähigkeit und die Bereitschaft sich in die Gedanken und Empfindungen eines anderen hineinzuversetzen. … Diese gesteigerte Neigung zur Anteilnahme bietet den Menschen enorme Vorteile, weil sie den Zusammenhalt einer Gruppe stärkt und damit die Zusammenarbeit und die Überlebenschancen aller erhöht ...

Mithin hat auch der heutige Mensch ein ausgeprägtes Bedürfnis, sich mit einer Gruppe zu identifizieren – und sich zugleich von anderen abzugrenzen.

Wie weit diese Abgrenzung geht, ob sie in Hass und Gewalt umschlägt, das liegt an uns. Die Geschichte zeigt jedenfalls, dass ein erheblicher Aufwand an Propaganda getrieben werden muss, um Menschen gegen Menschen aufzuhetzen. Als vernunftbegabte Wesen haben wir es in der Hand, ob es zu Gewalt und Krieg kommt – oder eben nicht.   

Also ist doch nicht alles hoffnungslos! Das weiß auch unser Bundespräsident. Am Schluss seiner Gedenkrede heißt es nämlich:

 

Aber unser Leben steht  im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern,und unsere Verantwortung gilt  dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.

 

Es gibt Hoffnung, Umkehr auf den Weg der Hoffnung, der Versöhnung und des Friedens ist möglich.

Umkehr? Da war doch etwas? Das alte Wort für „Umkehr“ auf dem Lebensweg ist Buße! Da fügt es sich gut, dass am vergangenen Mittwoch (16.11.) Buß- und Bettag war.

Und was sagt Martin Luther dazu? Nun, schon in der ersten seiner 95 Thesen schreibt er: Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht "Tut Buße" usw. (Matth. 4,17), hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll. Immer wieder, immer wieder neu ist Umkehr möglich!

 Unser Gott hat ein Herz voll Erbarmen. Darum kommt uns das Licht aus der Höhe zu Hilfe. Es leuchtet denen, die im Dunkel und im Schatten des Todes leben. Es lenkt unsere Füße auf den Weg des Friedens.« (Lukas 1,78f). – Na, dann lasst uns losgehen!

Gebet:

Gott, wir erschrecken vor dem, was geschehen ist:
Millionen Opfer und niemand wollte oder konnte es verhindern.
Und doch hast du uns zum Frieden geschaffen.
Du traust uns zu, dass wir widersprechen, wo Hass geschürt wird,
Du traust uns zu, dass wir vermitteln, wo man Menschen gegeneinander hetzt.
Du gehst an unserer Seite, jeden Schritt zum Frieden.
Du, Gott des Friedens, der du uns liebst und Zukunft gibst,
wir bitten dich für die Zukunft unserer Erde und ihrer Menschen:
dass wir es lernen, im Frieden miteinander zu leben,
weil in jedem Menschen dein Ebenbild zu erkennen ist
so schwer es manchmal auch sein mag. Amen.