Freitags 5nach6 - Zwischen Ewigkeitssonntag und Advent

25. November 2022

326_5nach6_25.11.22_Zwischen Ewigkeitssonntag und Advent                Ps 24

Am letzten Sonntag haben wir der Verstorbenen dieses Kirchenjahres gedacht. So oft wie in 2022 war ich noch nie bei Beerdigungen. Davon gab es viele, zu viele für mich.

Die Gespräche, die man vor der Kapelle führt, gleichen sich. Häufig ist zu hören: Es ist gut, dass es für ihn/sie zu Ende ist. Und das ist nachvollziehbar, auch wenn der Verlust des geliebten Menschen schmerzt, wenn er den eingetreten ist.

Oft hört man auch: Diesen Tod bzw. dieses Leiden hat er, hat sie nicht verdient. Gibt es denn „verdientes“ Leiden und Sterben? - Der Verdienst ist der Lohn, den jemand gibt, weil man etwas für ihn getan hat. - Können Leid und Tod ein verdienter Lohn, also eine Strafe sein für etwas, das man getan oder versäumt hat?

Von Alters her suchen Menschen nach Erklärungen für Leid und Tod. In vor-wissenschaftlichen Zeiten ging es dabei oft um Ausgewogenheit. Einem Leid i.S. von Strafe musste etwas Gleichgewichtiges gegenüberstehen, z.B. eine Schuld. Aus dem AT kennen wir das Prinzip Auge um Auge, Tod um Tod. Und noch heute sieht man – vermute ich – in jedem Gerichtsgebäude die römische Göttin Justitia mit verbundenen Augen und ihrer Waage, mit der Schuld und Strafe ins Gleichgewicht gebracht werden sollen.

Und wenn keine Schuld gefunden werden konnte und ein Mensch trotzdem – sinnlos -  leiden und sterben musste? - Da brachten die Menschen dann Gott ins Spiel.

Im Buch Hiob des AT prasselt eine schlechte Nachricht nach der anderen auf den frommen Hiob ein, Hiobsbotschaften halt. Seine Freunde sagen ihm: Gott wird schon wissen, was du gemacht hast, sonst hätte er dir nicht dieses Leid geschickt. Und so bekommt Hiobs Leid in ihren Augen einen Sinn.

Gott muss herhalten, weil Sinnlosigkeit das Leid noch vergrößert. Deswegen fragen wir im Angesicht von Leid und Tod so häufig nach dem „Warum“. Und verzweifeln an fehlenden Antworten.

Leid ist zunächst nicht sinnlos, es hat seinen eigenen Sinn. Es ist, wie es ist, sagt meine Mutter immer.

Leid ist z.B. eine Folge von naturwissenschaftlich erklärbaren Vorgängen: Sonneneinstrahlung beim Autofahren hat bei mir Hautzellen auf der linken Stirnseite so geschädigt, dass sich ein Hautkrebs zu entwickeln drohte. Zum Glück konnten die geschädigten Zellen weggelasert werden.

Leid kann durchaus Folge eines Fehlverhaltens, einer Verantwortungslosigkeit sein. Wenn Bäche und Flüsse immer mehr eingeengt werden, weil die Ufer als Bauland oder anderweitig genutzt werden, kommt es bei starken Regenfällen zu zerstörerischen, ja todbringenden Überschwemmungen. Die Wahrscheinlichkeit von Starkregen nimmt zu, weil wir zu viel Co2 in die Luft abgegeben haben und noch abgeben.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine oder auch der 2. Weltkrieg mit seinem nachfolgenden Elend sind eine Folge von politischen Fehlentscheidungen.

Das hat viel zu tun mit naturwissenschaftlichen Erklärungen und sehr viel mit unserer Verantwortung, aber wenig mit Gott. Wo Leid nicht weiter erklärbar ist, erscheint es – zunächst – sinnlos. Das ist schwer auszuhalten. Das gilt besonders dann, wenn wir aus Leid nicht klug werden.

Aber welche Rolle spielt Gott?

Das AT ist voll von Erzählungen eines rächenden und strafenden Gottes. Leider. Aber die Erzähler waren eben Kinder ihrer Zeit, sie wussten es nicht besser.

Dabei stellt die Sintflut-Erzählung schon einen gewissen Kipp-Punkt dar. Gott straft nicht mit Leid – weder aus Rache, noch aus erzieherischen Gründen. „Solange die Erde steht soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ (1. Mos. 8, 22).

Ein Lied aus unserem Gesangbuch führt uns diesen lebensbejahenden Gott vor Augen.

432:1 Gott gab uns Atem, damit wir leben. Er gab uns Augen, dass wir uns sehn. Gott hat uns diese Erde gegeben, dass wir auf ihr die Zeit bestehn.

432:2 Gott gab uns Ohren, damit wir hören. Er gab uns Worte, dass wir verstehn. Gott will nicht diese Erde zerstören. Er schuf sie gut, er schuf sie schön.

432:3 Gott gab uns Hände, damit wir handeln. Er gab uns Füße, dass wir fest stehn. Gott will mit uns die Erde verwandeln. Wir können neu ins Leben gehn.

So ist Gott! Das ist der Grundton unseres Psalms! Wir können neu ins Leben gehen.

Und wo ist dann Gott in unserem Leiden, bei unserem Tod?

Seit Jesu Tod am Kreuz wissen wir: Er ist auf unserer Seite, er leidet mit. Dabei will er Kraftquelle sein – zu leben oder auch zu sterben. Ein bisschen wenig für Gott, mögen manche sagen. Ja, besonders wer mitten im Leid steht, mag so denken.

Aber neben diesem „Karfreitags-Gott“, der mit uns leidet, gibt es ja auch noch den Oster-Gott, der Leid und Tod die Macht nimmt. Der Tod hat eben nicht das letzte Wort.

Deswegen hören wir bei jeder Beerdigung auch die Verse aus der Offenbarung des Johannes: Gott selbst wird als ihr Gott bei ihnen sein.4Er wird jede Träne abwischen von ihren Augen. Es wird keinen Tod und keine Trauer mehr geben, kein Klagegeschrei und keinen Schmerz. Denn was früher war, ist vergangen.«

Ich habe eben gesagt: Aber neben diesem „Karfreitags-Gott“ gibt es ja auch noch den Oster-Gott, der Leid und Tod am Ende die Macht nimmt. Der Tod gehört zum Leben, doch er hat nicht das letzte Wort.

Aber was ist vorher, z.B. vor dem Tod, was ist jetzt angesichts von Leid und Tod? Christen sind Protestleute gegen den Tod, sagte der Pfarrer Christoph Blumhardt – auch in diesem Leben. Der Schweizer Pfarrer Kurt Marti wollte Gott aus der Rolle des „Sündenbocks“ für den Tod herausholen und dichtete:

 

dem herrn unserem gott
hat es ganz und gar nicht gefallen
daß gustav e. lips 
durch einen verkehrsunfall starb

erstens war er zu jung
zweitens seiner frau ein zärtlicher mann
drittens zwei kindern ein lustiger vater
viertens den freunden ein guter freund
fünftens erfüllt von vielen ideen

was soll jetzt ohne ihn werden?
was ist seine frau ohne ihn?
wer spielt mit den kindern?
wer ersetzt einen freund?
wer hat die neuen ideen?

dem herrn unserem gott
hat es ganz und gar nicht gefallen, 
daß einige von euch dachten
es habe ihm solches gefallen

im namen dessen der tote erweckte
im namen des toten der auferstand:
wir protestieren                                            

gegen den tod von gustav e. lips

 

 

 

Mir gefällt an dem Gedicht, dass Kurt Marti klagt, dass er laut wird – auch vor anderen. Er schiebt nicht Gott die Verantwortung in die Schuhe! Er gibt einer Hoffnung Ausdruck. Und er stellt Fragen, was soll jetzt ohne ihn werden?, Fragen, die ein neues, ein österliches Leben ermöglichen – indem Mitmenschen handelnd Antworten geben.

Das ist das, was M.L.Kaschnitz mit Auferstehung mitten im Leben meint: Manchmal stehen wir auf / Stehen wir zur Auferstehung auf / Mitten am Tage

„Geteiltes Leid ist halbes Leid“ sagt das Sprichwort. D.h. zunächst mitgeteiltes Leid. Wenn mir fremdes Leid mitgeteilt wird, habe ich eine Fülle von Möglichkeiten: Zuhören, schweigen, in die Klage einstimmen, Trost versuchen, Hilfe anbieten, Lebenszeichen setzen, z.B. gemeinsam etwas tun. Kommunikation, Gemeinschaft und Nächstenliebe schaffen Leid und Tod nicht ab, lindern sie aber möglicherweise und tragen dazu bei, damit umgehen zu lernen.

Das geläufigste Totengebet der katholischen Kirche ist: Oh, Herr, gib ihm/ihr … die ewige Ruhe. Und das ewige Licht leuchte ihm/ihr. Lass ihn/sie ruhen in Frieden.

Wenn wir am Sonntag die erste Kerze am Adventskranz anzünden, dann erleuchtet sie uns nicht nur den Weg auf Weihnachten zu. Ihr Licht zeigt uns: Es bleibt nicht dunkel. Es kommt die große Freude, die allem Volke widerfahren soll. In diesem Leben und danach.