Freitags 5nach6 - Schwere Zeiten 3

22. Juli 2022

310 5nach6 22.07.2022_Schwere Zeiten                          Ps 8

Quelle: Matthias Hülsmann, Omas Welt und die Welt von morgen – Theologisch-biografische Notizen zur Nachhaltigkeit, in: Religionspädagogisches Institut Loccum, Loccumer Pelikan – Religionspädagogisches Magazin für Schule und Gemeinde, 2/2022, S.24ff, Zitate kursiv.

„Wenn viele kleine Menschen, an vielen kleinen Orten, viele kleine Dinge tun, können sie das Gesicht der Welt verändern!“ Sie kennen dieses afrikanische Sprichwort. Es will den sog. „kleinen Leuten“ Mut machen, gerade in schwierigen Zeiten, in denen von den sog. „Eliten“ zu oft das Falsche oder nicht genug oder gar nichts zu erwarten ist.

Die kleinen Leute … wie David, der vom Zwillenschützen gegen bedrohlichen Goliath zum bedeutendsten König Israels wird.

Die kleinen Leute … wie Hagar, die von Abrahams verachteter Sklavin zur „Leihmutter“ von Ismael wird. Der Vater bevorzugt seinen später geborenen Sohn Isaak. Ismael verlässt mit seiner Mutter Hagar die Sippe. Im Islam gilt er als Stammvater der Araber.

Die kleinen Leute … wie Oma Hülsmann, die ihrem Enkel Matthias einige theologische und ökologische Weisheiten mit auf den Weg gibt. Nein, Oma Hülsmann wird weder Königin noch Urahnin eines großen Volkes. Aber die Bedeutsamkeit ihrer Gedanken bleibt, gerade angesichts des Klimawandels und anderer Bedrohungen unserer Umwelt.

Matthias Hülsmann ist Dozent am Religionspädagogischen Institut in Loccum. Ich kenne weder ihn noch seine Oma, aber er erzählt in einem Aufsatz von ihr.

Der nachhaltigste Mensch, den ich kenne, ist meine Oma. Sie wurde 1890 geboren; also zu der Zeit, als in Ohio jene Kohlenfadenlampe hergestellt wurde, die bis heute in der Feuerwache in Livermore in Kalifornien hängt. Diese Glühbirne funktioniert immer noch.1 

Jahrzehnte später gelang es …, den Kohlefaden in Glühbirnen durch einen Faden aus Wolfram zu ersetzen; diese Birnen verbrauchten nur ein Viertel so viel Strom, leuchteten aber genauso hell. Die Stromanbieter befürchteten große Gewinnverluste, aber es passierte genau das Gegenteil. Es wurde nämlich weniger Strom verbraucht, deshalb war mehr Strom auf dem Markt, der Strompreis fiel und wurde für viele Menschen erschwinglich, die sich bisher kein elektrisches Licht leisten konnten. So führte ausgerechnet eine stromsparende Glühbirne dazu, dass der Gesamtstromverbrauch anstieg.

 

Vergleichbares gilt bis heute für effizientere Autos, mit denen immer mehr Menschen immer mehr Kilometer zurückgelegen Und so steigen – trotz sparsamer Motoren – Energieverbrauch, Abgasausstoß und Lärmbelästigung.

Der Torhüter und der Strompreis

Meine Oma ist auf einem Bauernhof zur Welt gekommen und ohne elektrischen Strom aufgewachsen. Einer ihrer Standardsprüche war immer: „Wenn du aus dem Zimmer gehst, mach das Licht aus; das kostet Strom.“ Aber wieviel kostet der Strom eigentlich?

Nun, das konnte ich für uns mit einem Blick auf die Stromrechnung einfach feststellen:

Arbeitspreis 22 Cent/Kwh zuzüglich Abgaben und Steuern.
 

Matthias Hülsmann macht noch eine andere Rechnung auf: Im Sommer war ich in Gorleben. Dort steht an einem Zufahrtstor zum Atommüll-Zwischenlager ein Wachmann. Wenn dieser Mann 10.000 € im Jahr verdient – und ich hoffe, dass er … mehr verdient –, dann kostet das in 100 Jahren eine Million Euro. Nach 100.00 Jahren hat dieser Arbeitsplatz Kosten von einer Milliarde Euro verursacht. Atommüll muss aber mehrere hunderttausend Jahre sicher gelagert werden. Wenn man die wirklich anfallenden Kosten in den Strompreis einrechnet, dann wird eine Kilowattstunde Atomstrom sehr, sehr teuer.
 

Die Schnapspralinen und der Erdüberlastungstag

1970 feierte meine Oma ihren 80. Geburtstag. Die Nachbarinnen kamen zum Kaffeetrinken und schenkten meiner Oma Seife, Handtücher und Schnapspralinen. Ich weiß das so genau, weil sie jedes Jahr zum Geburtstag Seife, Handtücher und Pralinen geschenkt bekam. Das machte aber nichts, denn sie schenkte den Nachbarinnen dasselbe.

Die Päckchen wurden also immer weitergereicht, Zeichen für Sympathie, ohne dass – bis auf die Pralinen – alles immer wieder neu hergestellt werden musste. Irgendwer empfahl dann meiner Oma und den Nachbarinnen, die Päckchen vor dem Weiterverschenken wenigstens auszupacken, denn manchmal lag bei den Weinbrand-Bohnen noch ein zusätzlicher Geldschein.

Im selben Jahr, in dem meine Oma ihren 80. Geburtstag feierte, überstieg zum ersten Mal der jährliche Verbrauch der Menschheit die weltweit zur Verfügung stehenden Ressourcen,
also nachwachsende Rohstoffe aus land- und forstwirtschaftlicher Produktion.

Dieser sogenannte Erdüberlastungstag fiel 1970 auf den 29. Dezember. Das heißt, bereits vor Ablauf des Jahres hat die Menschheit die Vorräte verbraucht, die die Erde in einem Jahr reproduzieren kann.

Zwei Jahre nach Omas 80. Geburtstag veröffentlichte der Club of Rome das Buch „Die Grenzen des Wachstums“ und warnte vor einem weltweiten Zusammenbruch durch Überbevölkerung und ungezügelten Rohstoffverbrauch. 
Im Jahr 2022 fiel der Erdüberlastungstag bereits auf den 4. Mai.


Die Kartoffeln und der Kreislauf der Natur

Der nachhaltigste Mensch, den ich kenne, ist meine Oma. Einer ihrer Standard-Sprüche war: „Was der Boden hergibt, das muss er auch wiederbekommen.“ Deshalb lud sie den Mist aus dem Kuhstall auf eine Schubkarre und grub ihn unter die Kartoffeln im Beet.

Noch im hohen Alter schälte sie vormittags die Kartoffeln für das Mittagessen. Die Schalen kamen in den Schweine-Eimer zusammen mit anderen Essensresten; meine Mutter schüttete alles in die Tröge der Zuchtsauen, die sich freudig darüber hermachten.

Der Weg vom Mist zur Kartoffel, zu Mensch und Vieh und wieder zum Mist und zur Kartoffel macht deutlich, wie stark die Natur von Kreisläufen geprägt ist. Dieser Recycling-Kreislauf von Werden und Vergehen gilt von Natur aus auch für den Menschen. Gen 3,19 bringt es ganz unsentimental auf den Punkt: „Im Schweiße des Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.“

 

Die Bienen und die Betriebskosten

Die Natur ist zwar vergänglich, aber in der Lage, sich durch die ihre eigenen Kreisläufe zu recyceln. Die von Menschen hergestellten Produkte sind ebenfalls vergänglich, aber sie enden als Abfall und Müll.

So ist es keine Lösung, das Bienensterben durch Mini-Drohnen auszugleichen, die mit Bürste, Ventilator und Sensor ausgestattet sind
und das Bestäuben der Pflanzen übernehmen. … 2018 wurde die Patentierung dieser Technik … beantragt. Für die Herstellung dieser Drohne verbraucht der Mensch Natur und verwandelt sie in tote Masse, die nach ein paar Jahren auf dem Schrotthaufen landet. Außerdem kosten die Drohnen Geld. Betriebswirtschaftlich betrachtet üben Bienen, die Pflanzen bestäuben, eine Dienstleistung für den Menschen aus, die das Bundesamt für Naturschutz auf rund 150 Milliarden Euro pro Jahr schätzt. Wenn man diese Kosten in die Nahrungsmittelproduktion einrechnet, dann wird ein Apfel sehr, sehr teuer. Es wäre für die Umwelt sicher besser, das Geld für die Drohnen in die Pflege einer bienengerechten Natur zu investieren.


Das Brot und die Subjekt-Objekt-Spaltung

Bei meiner Oma wurden früher die Brote für alle Menschen auf dem Hof selbst gebacken, ... Das erste Brot, das fertig wurde, bekamen die Pferde im Stall; sie bildeten nämlich die Lebensgrundlage für die Familie. Trecker gab es damals ja noch nicht. Die kamen erst nach und nach mit der zunehmenden Industrialisierung auf den Hof. Mit ihr kam zugleich eine neue wissenschaftlich-technische Sicht auf die Welt. Sie verwandelte Wasser, Luft und Mutterboden unseres Lebensraumes in Rohstoffe, die wir Menschen nach Belieben benutzen und verbrauchen konnten. Der Mensch verstand sich als Herrscher und Macher und machte die Umwelt zum scheinbar unerschöpflichen Rohstofflager.

Diese Weltsicht entfaltete eine üble Wirkungsgeschichte. Der Auftrag „Macht euch die Erde untertan“ (Gen 1,28) wurde mit wissenschaftlicher Durchschlagskraft ausgeführt.

Dabei lag diesem Herrschaftsauftrag das Bild von den Königen Israels zugrunde. Und das unterschied sich gewaltig vom (Selbst)Verständnis heutiger Könige und Machthaber. Ps 72 macht das deutlich:

Gott, gib dem König deine Rechtsvorschriften! Schenk dem Thronfolger deine Gerechtigkeit!
2Er soll dein Volk gerecht regieren und den Armen zum Recht verhelfen.

Der König ist Beauftragter Gottes, die Wahrung von Recht und Gerechtigkeit ist seine vornehmste Aufgabe. Dazu kommt die Bewahrung von Frieden:

7 Und Frieden soll herrschen weit und breit,

Daseinsvorsorge, also Lebenssicherung für den Mitmenschen, insbesondere den Armen, gehört zu den weiteren Aufgaben des Königs:

 

13Er hat Mitleid mit Schwachen und Besitzlosen und sorgt dafür, dass sie am Leben bleiben.

Und das ist nicht zu trennen von einer Verantwortung für die Natur:

16Im Land soll es Getreide im Überfluss geben,
auf den Bergen wiegen sich die Felder im Wind.
Die Feldfrüchte sollen gedeihen wie auf dem Libanon,
die Ähren sprießen wie Gras aus dem Boden.

Hinter diesem Königsbild steckt die Vorstellung vom Hirten, der für seine Herde sorgt. Und heute? Das heutige Untertan-Machen der Erde ist weit davon entfernt:

Begriffe wie Nahrungsmittelproduktion und Tierproduktion entwickelten sich geradezu zwangsläufig – bis hin zum Schreddern von männlichen Küken. Doch spätestens die Veröffentlichung des Buches über die „Grenzen des Wachstums“ machte deutlich, dass unsere Welt keine Theater-Kulisse, keine Theater-Bühne ist, mit deren Requisiten wir unser Leben nach Herzenslust gestalten können; sie bildet vielmehr die Lebensgrundlage, die unser Leben überhaupt erst ermöglicht. Ohne Luft und Wasser, Pflanzen und Tiere, Urwald und Packeis ist unser menschliches Leben in höchster Gefahr.

Dies Wissen ist kein Hexenwerk. Oma Hülsmann wusste es und wir wissen es im Grund unseres Herzens auch. Wir kleinen Leute müssen es machen wie der kleine David, wie die verzweifelte Hagar. Aufstehen, Schritte gehen. „Wenn viele kleine Menschen, an vielen kleinen Orten, viele kleine Dinge tun, können sie das Gesicht der Welt verändern!“

(Gebet: Goldschmidt, Denn du bist unser Gott – Gebete, Texte und Impulse für die Gottesdienste des Kirchenjahres, Neukirchen, 2018, S.294)