398_5nach6_11.10.24_Erntedank 3 Dank Ps 103
Erntedank also. Ich bin ein Freund davon, Worte auf die Goldwaage zu legen, sie genauer zu untersuchen. Also zerlegen wir das Wort in „Ernte“ und „Dank“. Und heute also „Dank“.
Aber zunächst eine kleine Erzählung.
Liebevoll füllt Andi Blumenerde in die Schale, presst sie mit den Händen fest, drückt mit den Fingern kleine Löcher hinein. In diese pflanzt er Blumen. … „So gefällt mir mein Geschenk“, nickt er zufrieden und stellt das Fähnchen dazu, auf dem geschrieben steht: Alles Gute zum Muttertag!
Vorsichtig schiebt Andi das das Geschenk unter sein Bett. Er runzelt die Stirn. Irgendetwas fehlt noch. Etwas Besonderes. „Vielleicht ein Gedicht …“, denkt Andi und schon wühlt er in seinem Bücherschrank, durchblättert seine Lesebücher … Aber ein Gedicht zum Muttertag findet er nicht.
Andi gibt nicht auf .. Er steigt die Treppe zum Dachboden hinauf. … Er klettert über den wackligen Schaukelstuhl, wühlt sich durch ein Knäul bunter Altkleider und steht endlich vor einem Karton alter Bücher. … Andi blättert, legt beiseite, sucht erneut. … Auf einmal entdeckt er die Überschrift „Klage einer Mutter“ … Er beginnt zu lesen.
„Ich … werde bald sterben. Meine Kinder haben mir keine Ruhe gegönnt, haben mich nicht geschont, haben nur genommen und genommen. Und ich gab ihnen alles großherzig und liebevoll, wie nur eine Mutter geben kann. Ich schenkte ihnen das Leben, ich lehrte und nährte sie. Doch meine Kinder griffen mit gierigen Händen nach mehr und mehr …“ …
„Was müssen das für Kinder sein?“, denkt Andi, ehe er weiterliest:
„Vielleicht vergessen Kinder zu leicht, dass auch der Atem einer Mutter stockt, wenn man sie nicht schon … Manchmal denke ich wirklich, meine Kinder lieben mich nicht. Und sie kennen keine Dankbarkeit.
Nachdenklich klappt Andi das Buch zu. Als er die Dachbodentreppe hinuntersteigt, denkt er immer wieder an die Unterschrift des Klagebriefes: Mutter Erde.
(Heribert Haberhausen, Eine Mutter klagt - gekürzt, in: E.Domay (Hg.), Leben in Gemeinschaft mit der Schöpfung, Lahr, 1994, S.16f)
„Und was sagt man?!“ Haben Sie das auch noch im Ohr? „Danke“ sagen galt als Ausweis guter Erziehung und meine Eltern haben mir das oft gesagt. Vielleicht erinnern Sie sich auch noch an quälende Danke-Briefe an Onkel oder Tanten für Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke, die man pflichtschuldig zeitnah zu schreiben hatte.
Dennoch – auch wenn es nicht nur mit allzu guten Kindheitserinnerungen verbunden ist, finde ich Danken wichtig! Danken erinnert mich daran, dass ich nicht alles aus mir selbst schaffen kann und auch nicht muss, es wächst mir von anderer Seite her etwas zu – wie bei der Ernte.
Außerdem ist meinem Dank etwas vorausgegangen – eine Zuwendung, ein Geschenk. Dabei ist eine Beziehung entstanden oder fortgesetzt worden. Ich bin es jemandem wert, sich mir zuzuwenden und mir etwas zukommen zu lassen. Ein gutes Gefühl, das meinen Dank verdient – und auf diese Weise die Beziehung pflegt.
Der Duden weiß: „Danken“ ist mit dem Wort „denken“ verwandt. Es bedeutete ursprünglich soviel wie Denken, Gedenken im Sinne von Erinnerung. Dank bezeichnet dann das mit der Erinnerung verbundene Gefühl und zeigt eine dankbare Gesinnung.
Ich habe eine schöne Erinnerung an so einen dankbaren Gefühlsausbruch: Auch in unserer Zeit in Mechtshausen hatten wir eine großartige Nachbarin, die zu unseren Kindern herzensgut war. Am Nikolaustag klingelte es nachmittags an der Haustür im Erdgeschoss. Als unser Großer und ich die Treppe hinunter gegangen waren und unten die Tür öffneten, war niemand zu sehen, aber zwei liebevoll gefüllte Nikolausstiefel standen vor der Tür. Johannes guckte mich fragend an. Als ich sagte: „Die hat der Nikolaus heute Morgen bestimmt vergessen! Die sind wohl für Martin und dich!“ Schnurstracks – und sicher auch in der Hoffnung, den Nikolaus noch zu sehen – rannte Johannes auf den Hof und rief laut schallend: „Danke, lieber Nikolaus!“ Die Nachbarin, die sich hinter der Mauer versteckt hatte, erzählte später, dass sie nicht nur erfreut, sondern auch gerührt war.
Eines der beliebtesten Kirchenlieder ist das Lied „Danke“ (EG 334). Der Grund seiner Beliebtheit liegt sicher nicht nur in der fröhlichen Melodie, sondern auch darin, dass die Verse – die man zudem beliebig ergänzen kann – inhaltlich und sprachlich an die Erfahrungswelt der Menschen anknüpfen (was ja nicht bei allen Kirchenliedern der Fall ist). Dabei kommt es Danken im Alltag oft ziemlich kurz. Wir jagen nach Glück und Erfolg, aber wenn das Glück uns finden will, sind wir allzu oft mit etwas anderem beschäftigt, statt es dankbar wahrzunehmen.
Der Berliner Pfarrer Günter Hänsel schreibt (in: Andere Zeiten e.V., andere zeiten – Magazin zum Kirchenjahr 03/24, S.5):
Ich bin auf der Suche nach allem, was meine Seele in dieser aus den Fugen geratenen Welt nährt und wärmt. … So greife ich immer wieder zu meinem Dankbarkeitsbüchlein … Zwei oder drei Momente, die mich an diesem Tag besonders berührt haben und dankbar stimmen, notiere ich. Mal ist es eine freundliche Begegnung, mal ein Gedanke, der mich einfach nicht mehr loslässt.
Oder: Am Morgen hole ich tief Luft und danke dafür, einfach am Leben sein zu dürfen. Ich denke dabei an ein Wort des Mystikers Meister Eckhart: „Wäre das Wort ‚Danke‘ das einzige Gebet, das du je sprichst, so würde es genügen.‘
Dem Leben dankbar zu begegnen, meint, sich daran zu erinnern, dass das Leben ein Geschenk ist…Das Leben als Geschenk zu verstehen, verleiht dem Leben Zufriedenheit.
Das Streben nach Glück kann das Leben leicht überfordern. Glückliche Momente sind eher Augenblicke. Ich denke an Worte aus Ps 103: „Lobe Gott, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat …“ Es braucht in diesen Tagen der Kriege und Krisen heilsame Kräfte und Feste, die an die Schönheit des Lebens erinnern, trotz allem. Das Erntedankfest ist für mich so ein Fest der Dankbarkeit für alles …“
So kann aus einem bisweilen leer gewordenen Ritual, einer – gewiss schönen – Gewohnheit, eine Lebenseinstellung werden. Ich stelle mich zu meinem Leben und zu anderem Leben ein. Ich entwickle eine Einstellung, eine Haltung. Gut ist es, wenn aus der Haltung auch ein entsprechendes Verhalten wird – z.B. ein dankbares Verhalten.
Und wie verhalte ich mich dankbar? Buchstabieren wir einmal das Wort „danke“:
D wie demütig
A wie abgeben
N wie nicht neidisch
K wie kontaktfreudig
E wie erfreuen, sich erfreuen an …, andere erfreuen