Freitags 5nach6 - Es ist Krieg 3

11. März 2022

299.4 5nach6 11.03.2022_ Es ist Krieg 3                                                Ps 91

Am letzten Freitag starben in der Ukraine russische und ukrainische Soldaten, Kinder Frauen, Alte, Hunderttausende waren auf der Flucht - und ich bin Ihnen ausgerechnet  mit Jesajas Friedensvision gekommen:

Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. (Jesaja 2)

Ja, aber wann sollen wir uns denn sonst an diese Friedensvision erinnern, wenn nicht in diesen Tagen?! Gerade in diesen Tagen ist es doch wichtig, daran festzuhalten, dass es auch anders sein kann!

Und wir waren schon ein gutes Stück auf dem Weg zu dieser Vision – es ist ja abgerüstet worden, es gab vertrauensbildende Maßnahmen, es gab Zusammenarbeit auf den unterschiedlichsten Feldern, es gab Regeln für den Konfliktfall, die auch funktionierten.

Und jetzt? Krieg in der Ukraine! Wie weit haben wir uns von Jesajas Vision entfernt! Jesajas Vision und was wir auf dem Weg dorthin erreicht hatten, ist ja nicht automatisch falsch, bloß weil es von einigen Menschen kaputt gemacht wird.

Was aber machen wir nach diesen Rückschlägen?

Möglichkeit 1: „Und willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein!“ Dieser Spottvers aus dem Revolutionsjahr 1848 wurde berühmt durch Reichskanzler v. Bülow.1903 verwendete er ihn im Reichstag. Er beschreibt Situationen, in denen nicht Argumente und Überzeugungskraft, sondern Gewalt eingesetzt wurde, um jemanden auf die eigene Seite zu ziehen. Also – im Zweifelsfall draufhauen, bis der andere nicht mehr muckt. Dann ist Ruhe und Frieden. Friedhofsruhe.

Möglichkeit 2: Bewaffneter Friede. So lautet auch die Überschrift eines Gedichtes von Wilhelm Busch.

 

Ganz unverhofft auf einem Hügel
sind sich begegnet Fuchs und Igel.
Halt! rief der Fuchs, du Bösewicht!
Kennst du des Königs Order nicht!
Ist nicht der Friede längst verkündigt,
Und weißt du nicht, dass jeder sündigt,
der immer noch gerüstet geht!
Im Namen seiner Majestät,
komm her und übergib dein Fell!

Der Igel sprach: Nur nicht so schnell,
nur nicht so schnell!
Lass dir erst deine Zähne brechen,
dann wollen wir uns weitersprechen.
Und also bald macht er sich rund,
zeigt seinen dichten Stachelbund
und trotzt getrost der ganzen Welt,
bewaffnet, doch als Friedensheld.

Bereit sein zur Abrüstung mit dem Ziel eines friedlichen Zusammenlebens, aber keine leichtsinnige einseitige Abrüstung. Nur wechselseitige Abrüstung und Gewaltverzicht schaffen Vertrauen und Frieden. So weit waren wir schon einmal in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Möglichkeit 3: Feindesliebe. Jesus sagt in der Bergpredigt: 27 »Euch aber, die ihr mir wirklich zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde und tut denen Gutes, die euch hassen. 28 Bittet Gott um seinen Segen für die Menschen, die euch Böses tun, und betet für alle, die euch beleidigen. 29 Wenn jemand dir eine Ohrfeige gibt, dann halte die andere Wange auch noch hin. Wenn dir einer den Mantel wegnimmt, dann weigere dich nicht, ihm auch noch das Hemd zu geben. 30 Gib jedem, der dich um etwas bittet, und fordere nicht zurück, was man dir genommen hat. Lk 6,27-30)

Wie kann das gehen? Heute, in der Ukraine? Geht doch gar nicht! Oder doch?

Walter Toman hat 1961 – mitten in der Zeit des Kalten Krieges – darüber nachgedacht und das Gedicht geschrieben «Halt ihm die andere Wange hin».

Dir schlägt dein Bruder in dein Gesicht —
was tust du dann?
Du weißt, was die Bibel sagt.
Halt ihm die andere Wange hin!
Das sagt die Bibel.
Und wahrlich, wenn du es tust, dann ist es gut.
Dann haut dir dein Bruder eine zweite herunter,
von der anderen Seite,
und wenn du benommen bist davon,
dann lachen die andern aus ganzem Herzen.
Dein Bruder aber, der führt ihr Gelächter wie eine Peitsche.

Bis hierher ist alles gut.
Jetzt aber kannst du zweierlei Wege gehen.
Einmal kannst du erröten,
wenn alle … andern dich verspotten,
und wenn ihr Gelächter
zusammenschlägt über dir.
Wann das geschieht, dann war alles umsonst.
Dann winde dich nur in deiner Verlegenheit.
Dann warst du noch nicht tapfer und klug genug
für dieses Bravourstück Christi.

Der andere Weg ist der:
Du hast gemerkt, ganz heimlich,
dass der zweite Schlag
schon schwächer war als der erste.
Und wenn er es nicht war, dann rede es dir ein.
Jedenfalls halt ihm wieder die erste hin,
die erste Wange, und wenn du
nur richtig lächelst dabei,
ganz ohne Zorn,
ganz gütig,
dann wird der folgende Schlag
der Schlag auf die erste Wange,
wieder ein wenig unsicherer sein.

Nur wenn er das nicht ist,
wenn der dritte Schlag schon wieder
besser sitzt als der zweite und erste,
und wenn die Zuschauer herzhafter lachen als früher,
und wenn dein Bruder dich weiter schlagen wird
wie ein Hündlein, —
dann leg ihn hin, deinen Bruder,
mit einem Schlag auf das Kinn.
Dann warst du nicht in der rechten Arena
für dieses Bravourstück Christi.
Und lächeln musst du, wenn du den Kinnhaken gibst.
Ganz gütig lächeln musst du dabei,
ganz ohne Zorn.
Nachher kannst du ihm aufhelfen, deinem Bruder.

In mancher Arena muss
der Christ ein Stierkämpfer sein.
muss zeigen, dass er auch das kann.
Sonst wird er von keinem verstanden
bei seinem Bravourstück.
Damit es die andern verstehen, dazu tut er es aber.

Läuft das nicht doch hinaus auf „Und willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein!“? Oh, nein, es gibt schwerwiegende Unterschiede!

 

Tomans Christ hält zunächst die andere Wange hin. Er ist bereit, auf Gewalt zu verzichten, Nachteile, ja, Leid bis zu einem gewissen Grad hinzunehmen – und die andere Wange hinzuhalten.

 

Toman kalkuliert ein, dass das nicht jeder kann. Gut möglich, dass man nach dem zweiten Schlag des anderen „erröten“, „verlegen“ sein kann, dass die Tapferkeit des Christen einfach nicht dafür reicht.

 

Aber vielleicht war der zweite Schlag schon etwas schwächer, weil so ein Verhalten – die andere Wange hinhalten – den Schläger durchaus irritieren, verunsichern kann, damit rechnet er ja nicht. Und manchmal bricht ja so ein Stück alter Ritterlichkeit durch: einen Wehrlosen schlägt man nicht.

 

Und gütig, ganz ohne Zorn zu lächeln, das empfiehlt Toman dem Christen. Warum ist das wichtig? Güte statt Zorn zu zeigen, das bewahrt die eigene Menschlichkeit. Dem Schläger mit dem zornverzerrten Gesicht hat ist sie ein ganzes Stück weit verloren gegangen  – aber der Christ kann ihm mit seinem gütigen Lächeln zeigen: „Hey, es geht auch anders! Komm wieder zu dir – werde wieder Mensch!“

 

Und wenn nicht? Dann, aber erst dann, rät Toman dem Christen: Dann leg ihn hin, deinen Bruder, mit einem Schlag auf das Kinn. Es gibt Situationen, die sind so verfahren, so verzweifelt, dass Jesu Weg nicht funktioniert.

 

Also doch „den Schädel einschlagen“?

 

Nein. Da gibt es eben immer noch Unterschiede. Es geht nicht um Sieg, nicht um Vernichtung des anderen, es geht um ein „Außer-Gefecht-Setzen“ ohne Zorn. Und – aufhelfen soll man dem Niedergestreckten. Mit dem Schlag auf das Kinn hat man die Spirale der Gewalt unterbrochen. Das Aufhelfen zeigt: Komm, lass dir aufhelfen. Ich will nicht dein Feind sein. Ich will dich mit meiner Hand nicht noch einmal schlagen. Ich will, dass wir uns wieder auf einer anderen Ebene, auf andere Weise begegnen. Ich will, dass Friede ist zwischen uns. Und mit der Hand, die der Feind ausstreckt, um sich helfen zu lassen, schlägt er nicht.

 

Wir Deutschen müssten das ganz gut verstehen können, denn was ist uns nach dem 2. Weltkrieg auch an Versöhnungsbereitschaft und Hilfe von den Siegermächten entgegengebracht.

 

Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.

Ja, Jesajas Vision lässt sich verwirklichen – wenn man sie nicht als unrealistische Träumerei versteht, sondern als hoffnungsstiftende Perspektive und Stärkung für ein hartes Stück Arbeit.

Gebet: (Ökumenisches Friedensgebet 2022, nach: Seesener Beobachter, 25.02.22)

Gütiger Gott, wir sehnen uns danach,
miteinander in Frieden zu leben.

Wenn Egoismus und Ungerechtigkeit überhandnehmen,
wenn Gewalt zwischen Menschen ausbricht,
wenn Versöhnung nicht möglich erscheint,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.
Wenn Unterschiede in Sprache, Kultur oder Glauben uns vergessen lassen,
dass wir deine Geschöpfe sind und
dass du uns die Schöpfung als gemeinsame Heimat anvertraut hast,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.

Wenn Menschen gegen Menschen ausgespielt werden,
wenn Macht ausgenutzt wird, um andere auszubeuten,
wenn Tatsachen verdreht werden, um andere zu täuschen,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt ...

Schenke uns mutige Frauen und Männer,
die die Wunden heilen,
die Hass und Gewalt an Leib und Seele hinterlassen.
Lass uns die richtigen Worte, Gesten und
Mittel finden, um den Frieden zu fördern …
lass unsere Stimmen laut vernehmbar sein
gegen Gewalt und gegen Unrecht. Amen.