393_5nach6_30.08.24_In Ängsten … 5 Jakobs Traum Ps 22
Um Ansehen, Macht und – ja, natürlich – um Besitz war es ihm gegangen. Und mit List und Tücke, mit Lug und Trug hatte er bekommen, was er so sehr gewollt hatte!
Und was hatte er nun davon? In der Sippe war er unten durch. Sein Bruder war wütend ohne Ende und trachtete ihm nach dem Leben. Wenn seine Mutter ihn nicht gewarnt und ihm geholfen hätte, wäre es aus gewesen mit ihm.
Und nun war er auf der Flucht; allein und erschöpft, abgerissen, durstig und hungrig.
Nur das Nötigste hatte er mitnehmen können. Dauernd musste er sich angstvoll umdrehen und schauen, ob sein Bruder mit seinen Männern schon in Sichtweite war.
Sie erinnern sich?
Es ist die Geschichte von Jakob (1 Mose 28). Mit durchtriebenen Tricks hatte er erst seinen Bruder Esau und dann auch noch seinen betagten Vater Isaak betrogen. Doch sein Schwindel war aufgeflogen. Nur weil seine Mutter Rebekka ihm geholfen hatte, hatte er fliehen können – bis hinein in diese unwirtliche Wüste.
Unterwegs kam er an einen Ort, an dem er übernachtete. Denn die Sonne war schon untergegangen. Er nahm einen von den Steinen dort und legte ihn neben seinen Kopf. (1 Mose 28, 11)
Nur ein Stein war sein Nachtlager. Hart und rau lag er unter seinem Kopf. Von außen drückten ihn die Unebenheiten im Stein. Von innen zermarterten ihn seine Gedanken.
Er war am Ende. Es gab keine Zukunft für ihn.
Hören wir weiter (und schauen Sie dabei auf unser Emporenbild!).
Dann schlief er ein. 12Im Traum sah er eine Leiter, die von der Erde bis zum Himmel reichte. Auf ihr stiegen Engel Gottes hinauf und herunter.
13Plötzlich stand der Herr vor ihm und sagte: »Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks.
Das Land, auf dem du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. 14Sie werden so zahlreich sein wie der Staub auf der Erde. Du wirst dich nach Westen und Osten, nach Norden und Süden ausbreiten. Durch dich und deine Nachkommen sollen alle Völker der Erde gesegnet sein. 15Siehe, ich bin bei dir und behüte dich überall, wohin du auch gehst. Ich bringe dich zurück in dieses Land. Ich werde dich nicht verlassen, …« (1 Mose 28, 11b – 15)
Gestärkt und dankbar zog Jakob am nächsten Morgen weiter.
Natürlich ist auch dies eine Erzählung über Resilienz, über diese psychische Widerstandskraft gegen Belastungen, Leid und Not. Beim letzten Mal Elia, heute Jakob.
Auffällig hier: Elia war „einfach“ nur fix und fertig, in einen tiefen Burnout gefallen.
Jakob hingegen war zudem ein flüchtiger Betrüger, der auf üble Weise seine engste Familie betrogen hatte. Ein moralischer Versager, ein Strolch. Aber auch so einer kann mit der gnädigen Zuwendung Gottes rechnen. Auch so einem kann Gott Zukunft schenken.
Was für eine Zukunft! Für Nomaden jener Zeit war die Zusage von Land für Mensch und Tier, von Nachkommen für die ständig von der Auslöschung bedrohten Sippe, von Segen und Schutz des verehrten Gottes das Höchste, was er von der Zukunft erwarten durfte.
Jakob zog weiter – und er konnte weiterziehen in dem tröstlichen und stärkenden Bewusstsein, dass Gott sein Begleiter bleibt – trotz allem: religiös fundierte Resilienz, widerstandsfähig machender Glaube.
Nun ja, eine schöne Geschichte, meinen Sie?
Immerhin wirkt diese göttliche Verheißung nach bis heute - und ist eine Begründung für den fürchterlichen Konflikt zwischen Juden und Palästinensern.
„War doch bloß ein Traum“, werden Sie sagen, „Träume sind Schäume!“ Naja, Träume können schon etwas mit uns machen, das kennen wir doch alle, Gutes wie Schlimmes.
Schauen wir etwas genauer hin …
Wikipedia erklärt „Traum“ so:
Unter Traum versteht man das psychische Erleben während des Schlafes. ... Während der Körper sich weitgehend in Ruhe befindet, kann der Träumer doch bewegte Szenen erleben. Nach dem Erwachen kann sich der Träumer an seine Träume zumindest in einem gewissen Umfang erinnern. Träume werden gewöhnlich als „sinnlich-lebendiges, halluzinatorisches“ Geschehen erinnert und wirken zum Zeitpunkt des Träumens real.
Im Unterschied zum Traum ist die Vision laut Fremdwörterduden einerseits „ein Traumgesicht, ein Trugbild, eine Erscheinung, andererseits aber auch eine Idee oder Vorstellung für die Zukunft, eine Zukunftsperspektive.“
Wikipedia ergänzt:
Gemeint sind meist kühne, in manchen Fällen phantastisch wirkende Konzepte, Entwürfe und Ideale, deren Verwirklichung geplant wird und die in dafür empfänglichen Kreisen Begeisterung auslösen.
Insbesondere in Politik … ist in diesem Sinne von Visionen die Rede, etwa der Vision eines geeinten Europas.[4] Ein oft zitiertes Beispiel ist die 1963 gehaltene Rede „I Have a Dream“ von Martin Luther King, in der er seine Vision einer geeinten und gerechten Gesellschaft von Schwarzen und Weißen entfaltete.
Hier einige Ausschnitte:
Ich habe einen Traum, dass eines Tages die Söhne von früheren Sklaven und die Söhne von früheren Sklavenbesitzern auf den roten Hügeln von Georgia sich am Tisch der Bruderschaft gemeinsam niedersetzen können.
Ich habe einen Traum, dass eines Tages selbst der Staat Mississippi, ein Staat, der in der Hitze der Ungerechtigkeit und in der Hitze der Unterdrückung schmort, zu einer Oase der Freiheit und Gerechtigkeit … wird.
Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie nicht wegen der Farbe ihrer Haut, sondern nach dem Wesen ihres Charakters beurteilt werden.
Ich habe einen Traum, dass eines Tages unten in Alabama - mit den brutalen Rassisten, … - dass eines Tages wirklich in Alabama kleine schwarze Jungen und Mädchen mit kleinen weißen Jungen und weißen Mädchen als Schwestern und Brüder Hände halten können.
Ich habe einen Traum, dass eines Tages jedes Tal erhöht und jeder Hügel und Berg erniedrigt werden. Die unebenen Plätze werden flach und die gewundenen Plätze gerade, “und die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden und alles Fleisch miteinander wird es sehen.” Dies ist unsere Hoffnung.
Dies ist der Glaube, mit dem ich in den Süden zurückgehen werde. Mit diesem Glauben werden wir den Berg der Verzweiflung behauen, um einen Stein der Hoffnung daraus zu machen.
Mit diesem Glauben werden wir gemeinsam arbeiten können, gemeinsam beten können, gemeinsam kämpfen können, gemeinsam in das Gefängnis gehen können, um gemeinsam einen Aufstand für Freiheit mit dem Wissen zu machen, dass wir eines Tages frei sein werden. …
Wenn Amerika eine großartige Nation sein soll, dann muss dies wahr werden.
Lass daher die Glocken der Freiheit von den wunderbaren Hügeln von New Hampshires läuten.
Lass die Glocken der Freiheit läuten von den mächtigen Bergen New Yorks.
Lass die Glocken der Freiheit von den Höhen der Alleghenies in Pennsylvania läuten.
Lass die Glocken von den schneebedeckten Gipfeln der Rockies in Colorado läuten. …
Lass die Glocken der Freiheit von jedem Hügel und Maulwurfshügel in Mississippi läuten.
Von jedem Berghang - lass die Glocken der Freiheit läuten.
Und schauen Sie, was Kings Vision nach sich zog! Wie weit haben sich die Rassenschranken seitdem geöffnet – auch wenn sie noch längst ganz verschwunden sind. Und im Kampf gegen Rassismus motiviert Kings Vision bis heute und über den heutigen Tag hinaus.
Während der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt gesagt haben soll, dass zum Arzt gehen solle, wer Visionen hat, behauptet die Theologin Dorothee Sölle: Ein Volk ohne Vision geht zugrunde – und bezieht sich damit auf die alttestamentlichen Sprüche Salomos 29,18.
Die Vision von der Himmelsleiter hat Jakob in seiner verzweifelten Not und die Juden bis heute gestärkt, Kings Vision hat die unterdrückten Schwarzen gestärkt – können Visionen auch unsere Resilienz in belastender Gegenwart stärken?
Hören wir den Londoner Politologen J.White (Zurück in die Zukunft, in: DIE ZEIT, 15.08.24, S.4):
Die Demokratie stirbt, wenn ihr die Visionen ausgehen … Die Vision einer Zukunft hilft uns, mit den Mängeln des politischen Systems umzugehen. Sie lässt uns Unzufriedenheit aushalten, weil sie uns verspricht, in der Zukunft werde es anders, womöglich sogar besser werden. … Wenn die Zukunft aber nicht mehr offen und gestaltbar erscheint, gerät die Demokratie aus dem Takt.
Viele blicken düster in die Zukunft, weil die Krisen unserer Gegenwart unlösbar scheinen ... Ich meine, der Glaube an eine größere Vision, an eine gute Zukunft, würde den kurzfristigen Schmerz, der mit Veränderungen einhergeht, überblenden.
Es scheint, dass es unseren Politikern aktuell nicht hinreichend gelingt, solche motivierenden Visionen von der Zukunft glaubwürdig zu vertreten. Andere wiederum sind völlig visionslos und können nur trotzig verneinend im Hier und Jetzt verharren oder in eine schön gefärbte Vergangenheit fliehen.
Ich möchte Ihnen abschließend eine Vision anbieten – persönlich und gesellschaftlich:
Psalm 85 Gott macht einen Neuanfang
2Herr, du hast dein Land wieder liebgewonnen
und das Schicksal Jakobs zum Guten gewendet.
3Du hast deinem Volk die Schuld vergeben
und alle Sünden hast du ihm verziehen.
4Du hast deinen ganzen Ärger aufgegeben
und deinen glühenden Zorn verrauchen lassen.
5Gott, du bist unsere Hilfe, stell uns wieder her!
Sei nicht länger so aufgebracht gegen uns!
6Willst du denn für immer auf uns zornig sein?
Soll sich dein Zorn noch ausdehnen
von der einen Generation auf die andere?
7Willst du uns nicht wieder neues Leben schenken?
Dann wird sich dein Volk über dich freuen.
8Herr, lass uns doch deine Güte erfahren!
Wir brauchen deine Hilfe, gib sie uns!
9Ich will hören, was Gott zu sagen hat.
Der Herr redet vom Frieden.
Er verspricht ihn seinem Volk und seinen Frommen.
Doch sie sollen nicht mehr zurückkehren
zu den Dummheiten der Vergangenheit!
10Ja, seine Hilfe ist denen nahe, die zu ihm gehören.
Dann wohnt seine Herrlichkeit wieder in unserem Land:
11Güte und Treue finden zueinander.
Gerechtigkeit und Frieden küssen sich.
12Treue wächst aus der Erde empor.
Gerechtigkeit scheint vom Himmel herab.
13Auch schenkt uns der Herr viel Gutes,
und unser Land gibt seinen Ertrag dazu.
14Gerechtigkeit zieht vor ihm her
und bestimmt die Richtung seiner Schritte.
BasisBibel, © 2021 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart