Freitags 5nach6 - Andacht: Erntedank mit Paul Gauguin

08. Oktober 2021

5nach6_08.10.21_Erntedank mit Paul Gauguin    Ps 104

Bildkarte „Ernte: Le Pouldu 1890, Paul Gauguin, Foto: Peter Horree/Alamy Stock Foto, Gestaltung: Jutta Willert © Hg. Gottesdienst-Institut, Nürnberg

Aus urheberrechtlichen Gründen können wir das Bild nicht auf unserer Homepage zeigen. Sie können es im Internet anschauen unter folgendem Link:

Karte "Ernte am Meer" (Paul Gauguin) (gottesdienstinstitut.org)
https://shop.gottesdienstinstitut.org/bildmedien-und-kunst/karte-ernte-am-meer-paul-gauguin.html

Quelle für den Text: Gottesdienst-Institut (Hg.), Arbeitshilfe - C.Hechtel, Oliver Gußmann
Die Ernte am Meer. Gottesdienst an Erntedank, Nürnberg, 2020 – Zitate kursiv

Als ich diese Karte zum ersten Mal sah, fiel mir spontan ein Wort ein: SATT! Satte, kräftige Farben, volle Felder, satte Ernte! Ein Bild für Erntedank – passend zu unserem Altar, der zu Erntedank reich geschmückt war / seit Erntedank immer noch reich geschmückt ist mit Erntegaben.

Gehen wir ein wenig in dem Bild spazieren (Bildbetrachtung Hechtel in Arbeitshilfe):

Das warme Gelb des Kornfelds. Das blaue Meer, das bis zum Horizont reicht. Darüber der Streifen einer Insel vor einem hellen Himmel. Das satte Grün einer Wiese. Darauf ein orangefarbener Hund, ... Drei Segelboote auf dem Meer. Frauen bei der Ernte. Feld und Meer trennt ein bewachsener, steiniger Berg. Nicht die harte Arbeit der Frauen ist gemalt, sondern der Gesamteindruck einer Natur, die mit sich im Gleichklang ist: Der Mensch ist Teil davon. Das Tier als Begleiter wie selbstverständlich dabei. Man möchte sich dort auf die Wiese setzen, den Alltag vergessen, sehen wie das Korn geerntet wird, die Boote ihre Spur im Wasser ziehen. Das Bild ist wie ein Fluchtpunkt heraus aus dem Getriebe und der Hektik der Welt.

1886 verließ der Maler Paul Gauguin Paris …Gauguin wollte die Kunstrichtung des Impressionismus, der Paris erobert hatte, hinter sich lassen: Weg von der Oberfläche, in der sich das flatterhafte Licht der im Wind bewegenden Blätter fängt. Weg von den feiernden Pariser Bürgern, die sich sonntags unter Bäumen im Licht- und Schattenspiel der Sonne in Parks oder am Ufer der Seine trafen. Er wollte die großen Rhythmen der Natur einfangen und damit zum Wesen der Dinge vorstoßen. Mit großen Farbflächen, klaren Konturen. Er übernahm von den Impressionisten allerdings die duftige Leichtigkeit der Farben und die Beschreibung alltäglicher Situationen – wie hier im Bild „Ernte am Meer“.

Wenn wir in diesem Jahr zu Erntedank sagen, wir haben es satt, dann kann das durchaus verschiedene Bedeutungen haben!

Die einen haben Corona satt – mit all seinen Folgen! Wer übersättigt ist, wird antriebslos, lahm, apathisch und fühlt sich nicht wohl in seiner Haut. Manchmal ist es noch schlimmer und man muss sich übergeben. Mit dem Mageninhalt ergießt sich meist ein ekliger Schwall Galle und Bitterkeit aus dem Mund. All das haben wir – im übertragenen Sinne - erlebt. Von da aus ist es nicht mehr weit zum Sattmachen in dem Sinne, dass man jemanden fertig macht.

 Die meisten aber sind satt geworden im ursprünglichen Wortsinn. Die Landwirtschaft hat offensichtlich genug für unsere Mahlzeiten produziert. Wenn man die Menge weggeworfener Lebensmittel betrachtet, sogar mehr als genug.

* Der Großteil der Lebensmittelabfälle entsteht mit 52 % (6,1 Mio. Tonnen) in privaten Haushalten, dazu gehören neben … Speiseresten z. B. auch Nuss- und Obstschalen sowie Knochen.
* Jeder Verbraucher und jede Verbraucherin werfen demnach etwa 75 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg.
(Quelle: BMEL - Lebensmittelverschwendung - Lebensmittelabfälle in Deutschland:
Aktuelle Studie über Höhe der Lebensmittelabfälle nach Sektoren)

Die Landwirtschaft hat genug für unsere Mahlzeiten produziert. Stimmt das so? Es stimmt zumindest nicht für alle.

Innerhalb eines Jahres ist die Anzahl der Menschen, die die Angebote der Tafeln nutzen, um 10% gestiegen. Aktuell kommen 1,65 Mio. Menschen regelmäßig zu den Tafeln. Besonders bei Senioren, die Rente oder Grundsicherung im Alter beziehen, ist der Anstieg mit 20 Prozent dramatisch. Niedrige Renten sind damit nach Langzeitarbeitslosigkeit der zweithäufigste Grund, eine Tafel aufzusuchen. „… Altersarmut wird uns in den kommenden Jahren mit großer Wucht überrollen“,warnt der Vorsitzende von Tafel Deutschland ...

Völlig inakzeptabel sei auch der Anstieg der Kinder und Jugendlichen bei den Tafeln – fast 50.000 mehr junge Menschen sind auf die Unterstützung mit Lebensmitteln angewiesen. Insgesamt liegt ihr Anteil bei 30 % der Tafel-Nutzer. Obwohl immer mehr Menschen die Unterstützung der Tafeln suchen, kann die Organisation im Vergleich zum Vorjahr nur unwesentlich mehr Lebensmittel retten: gut 265.000 Tonnen sind es im Jahr – das sind 500 kg in jeder Minute.
 (Quelle: Die Tafeln - Dramatischer Anstieg der Tafel-Nutzer)

Und die Landwirte? Der Begriff steht auch nicht für Stabilität.

Die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe hat in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren um 35.600 abgenommen. Das heißt: Pro Jahr haben durchschnittlich 3.560 Betriebe die Hoftore für immer dicht gemacht. (Quelle: Landwirtschaftszählung: Das Höfesterben geht weiter | agrarheute.com)

Das sind Zahlen und Eindrücke, die so gar nicht zu unserem schönen Bild und zu unserem geschmückten Altar passen. Aber – wir müssen das zusammen sehen und denken, unsere Wirklichkeit ist eben nicht eindeutig, sie ist widersprüchlich und spannungsgeladen. Und es ist eine herausfordernde Wirklichkeit! Wir alle sind gefragt – Landwirte, Verbraucher, Politiker und andere mehr! Was ist unsere Antwort? 

Wie Sie vielleicht wissen, essen meine Frau und ich jeden Freitag mit zwei Ehepaaren, mit denen wir sehr gut befreundet sind, zu Mittag. Immer ein paar kocht und die beiden anderen Paare sind zu Gast. Immer kommen Mahlzeiten auf den Tisch, die mit viel Mühe, Sorgfalt, Phantasie und Liebe zubereitet sind.

Bei einem so reich gedeckten Tisch … darf man zugreifen und trotzdem bleibt nach dem Mahl noch viel übrig. Eine alte Pilgerregel bewahrheitet sich: „Jeder gibt, so viel er kann. Und jeder nimmt sich, so viel er braucht!“ So entsteht eine Gemeinschaft, bei der spürbar ist, dass wir miteinander die Gaben Gottes teilen und aufeinander achten. Denn wir verdanken die meisten Dinge, die wir genießen können und die wir zum Leben brauchen, nicht uns selbst, sondern anderen Menschen – und Gott.

Ja, freitags und bei vielen anderen Gelegenheiten erleben wir viel von der Lebensfülle, die unser Bild ausstrahlt, von der vielfältigen Ernte, die uns immer wieder neu zuwächst.

Ernte bedeutet ja noch viel mehr als Brot, Essen und Trinken. An Erntedank können wir noch für viel mehr Dinge danken, die aus der Zusammenarbeit von Gott und uns Menschen hervorgehen: Im Kleinen Katechismus, bei der Auslegung der vierten Vaterunserbitte zählt Martin Luther konkrete Dinge auf, was „unser tägliches Brot gib uns heute“ bedeutet:

„Alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.“

Wir haben ein außergewöhnliches Jahr hinter uns, in der nicht alle die große Ernte einfahren konnten, die sie erwartet haben. Für manche war das Jahr sogar existenzbedrohend: für verschiedene Industriezweige, den Einzelhandel, für Künstler, Gastronomen und Freiberufler, um nur einige zu nennen. Dennoch hat die Krise der Corona-Pandemie auch Gutes bewirkt, für das wir im Rückblick auf das vergangene halbe Jahr danken können. Wir müssen Gott nicht danken für das Schwere, das manche zu tragen hatten. Doch vielen von uns liegt es am Herzen, Gott „danke“ dafür zu sagen, was gut war:

Martin Luther nennt „getreue Nachbarn“ als etwas Lebensnotwendiges: Während der Ausgangsbeschränkungen haben viele Nachbarn für besonders gefährdete ältere Menschen gesorgt und für sie das tägliche Brot und mehr eingekauft. Wir können Gott danken für solche Menschen, die aneinander gedacht haben, auch wenn persönliche Besuche schwierig waren. Dann wurden Anrufe getätigt, WhatsApp-Nachrichten versandt, ja, es sollen sogar Briefe geschrieben worden sein! Und ist es nicht so, dass wir uns über Mitmenschen gefreut haben, wenn wir sie nach langer Zeit gesund wieder gesehen haben?

Wir können Gott danken für … weises, kluges und achtsames Handeln von Menschen, die in Kirche und Politik und in den Ämtern in der Verantwortung standen und teilweise schwere Entscheidungen zu treffen hatten. Damit will ich nicht sagen, dass alles weise, klug und achtsam war. Aber es war eben auch nicht alles so dumm und rücksichtslos, wie manche es hinstellen. Dankbar sein können wir auch für die Pfleger, Ärztinnen und Seelsorger, die Schwerkranke gepflegt und begleitet haben und von denen manche auch das Risiko auf sich genommen haben, selbst zu erkranken.

…Wir können Gott danken für alle Solidarität, die es in der vergangenen Zeit unter uns gab. Dass Menschen … auf vieles im öffentlichen Leben verzichtet haben, um das Leben von Kranken zu schützen.

Am 4. Oktober ist der Feiertag des Heiligen Franz von Assisi. Er hat den Menschen seiner Zeit ein neues Bewusstsein für die Tiere und Pflanzen als Geschöpfe Gottes gegeben. Wir können Gott in diesem Jahr danken, dass die Schöpfung in unserer schnelllebigen Zeit während der Krise sich eine Zeitlang vom Menschen erholen konnte. Viele haben ihren Garten wiederentdeckt oder einsame Waldspaziergänge genossen. Manche von uns haben ein neues Bewusstsein bekommen für die Gegend, in der wir wohnen.

Wir können Gott danken für die Zeit und die Ruhe, die einige von uns genießen durften: mehr Zeit, um über das Leben nachzudenken, mehr Zeit für die Familie zu Hause – auch wenn nicht in allen Familien alles zum Besten lief. Mehr Zeit, um Dinge zu ordnen und das anzugehen, was schon lange getan werden musste.

Wir können Gott danken für das tägliche Brot … und all die anderen Dinge zum Essen, die trotz der Krisenzeit in den Regalen der Supermärkte und in den Geschäften zu finden waren. Wir haben nie Not gelitten.

Ich habe einiges aufgezählt. Es gibt bestimmt mehr, wofür wir Gott danken könnten.

Der Duden beschreibt „Dank“ als ein Denken, ein Nachdenken, ein Gedenken, also eine Erinnerung an Gutes, das einem widerfahren ist. Daraus wird ein tiefes Gefühl und dem entspringt eine Form, ein Verhalten, in der sich dieses dankbare Empfinden äußert.

Wie kann ich meine Dankbarkeit zeigen?  Sie beginnt damit, dass ich die Schöpfung wahrnehme wie Paul Gauguin, mich an der Sattheit von Farben erfreue.

Ich möchte es in die Worte des folgenden Gebets fassen:

Du weißt, was wir benötigen, ehe wir dich bitten.

Wir verdanken uns dir, weil du trotz allem reichlich schenkst.

Darum sagen wir dir Dank, für all das,

was du in unserem Leben durch deine Schöpferkraft wachsen ließest.

Öffne unsere Augen für die Schönheit deiner Erde.

Danke für alles,

was du in der Vergangenheit unter unseren Händen hast reifen lassen

und was wir ernten konnten.

Hilf uns, dass die Ernte,

das täglich Brot, das Wasser und alle wertvollen Güter zum Leben so verteilt werden,

dass die Armen satt werden.

Erhalte das Leben von Menschen und Tieren, Boden und Pflanzen,

so dass künftige Generationen auf deiner Erde gesund leben können.

Amen