367 5nach6 12.01.2024 Jahreslosung 2024
Was ist bloß los? Fragen von Geschlecht, Ehe, Familie und Sexualität kochen hoch – aber so richtig! Frauen wollen plötzlich mitreden! Eine kleine, reiche Oberschicht bestimmt, wo es lang geht. Doch die ärmere Mehrheit muckt auf! Woher soll das Geld kommen für das Nötige? Wie soll es verteilt werden? Unterschiedlichste Gruppen glauben sich im Besitz der Wahrheit, machen andere nach Strich und Faden fertig! Man zerrt sich gegenseitig vor Gericht! Fleisch essen oder nicht? Chaotische Szenen, wenn viele Menschen zusammenkommen! Die Gesellschaft ist gespalten!
In diese Situation hinein kommt die Kirche mit ihrer Jahreslosung „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“ (1 Kor 16,14).
Ach, Sie denken: „Da sieht man’s mal wieder! Hier geht alles drunter und drüber und die Kirche kommt mit ihren frommen Sprüchen, die nun völlig aus der Zeit fallen!“
Nun, die Zustände, die ich beschrieben habe, beziehen sich gar nicht auf unsere Zeit. So (und schlimmer) ging es zu in der christlichen Gemeinde in Korinth 54 n.Chr. Der 1. Korintherbrief ist also auch eine Art Ordnungsruf des Paulus an diese Gemeinde. Er schrieb ihn vermutlich von Ephesus aus, nachdem ihm Abgesandte aus Korinth von den dortigen Verhältnissen berichtet hatten.
Korinth war Provinzhauptstadt. Es lag verkehrstechnisch sehr günstig an einer Landenge und hatte zwei Häfen. Sie machten Korinth zu einer wirtschaftlichen Drehscheibe zwischen Asien und Rom. Handel, Finanzgeschäfte und handwerkliche Produktion bestimmten das Leben der Stadt. Als Handels- und Hafenstadt hatte Korinth eine bunt gemischte Bevölkerung, in der es ein starkes römisches Element gab – ein Hotspot der damaligen Zeit, vergleichbar mit Hamburg oder New York von heute.
(nach: Wissenschaftliches Bibellexikon, Link: 4.02. Der 1. Korintherbrief (1Kor) - Bibelwissenschaft )
Wenn die Situation in Korinth so völlig anders gar nicht war, passt die paulinische Mahnung vielleicht doch auch in unsere Zeit?
„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“.
Puh, welch ein Anspruch! Es geht schon mit dem ersten Wort los: Alles! Es gibt keine Ausnahme. Überforderung und Scheitern sind vorprogrammiert.
Und tun sollen wir etwas! Nichts ist es mit Zurücklehnen und den lieben Gott einen guten Mann sein und ihn machen lassen!
Ja, und dann soll „alles“ auch noch aus Liebe und in liebevoller Weise geschehen. Liebe scheint dabei nicht nur eine Haltung, eine Einstellung zu sein. Aus dieser Haltung heraus werden Beziehungen geknüpft und diese Beziehungen sollen mit Handeln gestaltet werden.
Was ist denn überhaupt Liebe? So könnte man Paulus fragen. Hat man vermutlich auch, denn in eben diesem 1 Korintherbrief steht die Antwort (1 Kor 13, 4-13 i.A.):
Die Liebe ist geduldig. Gütig ist sie, die Liebe. Die Liebe ereifert sich nicht. Sie prahlt nicht und spielt sich nicht auf.5Sie ist nicht unverschämt. Sie sucht nicht den eigenen Vorteil. Sie ist nicht reizbar und trägt das Böse nicht nach.6Sie freut sich nicht, wenn ein Unrecht geschieht. Sie freut sich aber, wenn die Wahrheit siegt.7Sie erträgt alles. Sie glaubt alles. Sie hofft alles. Sie hält allem stand. 8Die Liebe hört niemals auf. … 13Was bleibt, sind Glaube, Hoffnung, Liebe – diese drei. Doch am größten von ihnen ist die Liebe.
In diesem Geist also sollen wir handeln: geduldig, gütig, unaufgeregt, bescheiden, uneigennützig, nicht nachtragend, wahrheitsliebend, tolerant, hoffnungsvoll, widerstandsfähig …
So sollen wir sein, so sollen wir denken und handeln – gegenüber unseren Mitmenschen, gegenüber unserer Mitwelt mit ihren Geschöpfen, gegenüber Gott und nicht zuletzt auch gegenüber uns selbst.
Keine Chance? Hoffnungslos? Könnte man meinen. Das einzig Beruhigende ist, dass Gott uns seine Liebe entgegenbringt, die genauso und noch viel größer und ganz anders ist. Gottes Liebe zu uns kennt vor allem Gnade und Barmherzigkeit im Umgang mit unserem Scheitern.
So können wir immer wieder aufs Neue Mut schöpfen und versuchen, alles aus und in Liebe zu tun – und dabei nachsichtig und umsichtig mit uns sein, wenn es nicht gleich perfekt klappt.
Frank Howaldt hat das in einer eigenwilligen Dreikönigs-Erzählung „Aufbruch in der Gegenwart“ beschrieben. (Andere Zeiten, Der Andere Advent, Hamburg, 2023, 6.1.24)
Woher war der Mut gekommen, vom Sofa aufzustehen? Darauf zu sitzen war doch bequem gewesen. Lange hatte es in dem Zelt gestanden, in dem sie sich immer trafen, sobald die ersten Sterne am Nachthimmel erschienen. Wenn ihr übliches Tagwerk – königliche Regentschaft und weise Weltdeutung – ruhen konnte.
„Aufgebrochen sind wir“, sagt einer von ihnen, „weil wir mehr und mehr geschwiegen haben. Weil wir uns nichts Neues mehr zu erzählen hatten. Und weil Caspar dann gemeint hat: „Der Worte sind genug. Jetzt: machen!“
Caspar erinnert sich nicht, aber er meint noch zu wissen, wie dynamisch Melchior damals war: „Draußen, das Leben findet draußen statt. An die frische Luft!“
Melchior wiederum sieht Balthasar noch vor sich, wie der die Fernrohre zusammensteckte, die Landkarten faltete und die Folianten zurückstellte: „Mit unseren Geräten und unserem Wissen sind wir an die Grenzen der Erkenntnis gelangt. Jetzt geht es anders weiter!“
So erhoben sie sich feierlich von ihrem Sofa, alles rief nach Aufbruch. Aber wohin?
Sie treten vor das Zelt. Sie sehen den Stern, der allen Stillstand aufhebt. Sie spüren ihr hüpfendes Herz, das alle Pläne ad acta legt. „Wartet“, sagt Caspar, „das Sofa nehmen wir mit.“ Warum? „Der Mut, vom Sofa aufzustehen, braucht Übung. Wir brauchen einen Ort zum Aufbrechen. Und das Sofa ist nicht schwer.“
Und so wandern sie nicht schnurstracks und nicht eilend. So haben sie nicht ein Ziel im Auge, sondern eine weite Landschaft im Herzen. Und der Stern bleibt nah. Sternenbahn und Menschenweg sind eine himmlische Gemeinschaft.
Immer wieder setzen sie sich auf das Sofa und schauen sich um. Sie sprechen wieder miteinander. Und sie haben Ideen und Lust und Kraft. Dann brechen sie wieder auf. Aber nicht in die Weite. Erst einmal in die nächste Gegend. „Auch das Naheliegende braucht Aufbrüche!“, sprechen sie einander zu.
Und so entdecken sie die Kunst, den Aufbruch mit der Gegenwart zu verbinden. Hin und wieder bleiben sie, wenn es sich ergibt. Sie erzählen ihre Geschichte. Aber immer nehmen sie danach ihr Sofa und brechen auf. Schritt für Schritt. Tag für Tag.
Die kleinen Schritte, vom Sofa hinein ins Naheliegende, Tag für Tag. Und das Sofa ist der Ort, mit den Enttäuschungen über sich und andere fertig zu werden, es ist der Ort zum Kraftschöpfen. Das sind die Anfänge.