Freitags 5nach6 - Spielräume gewinnen 2 befügelt

21. Januar 2022

295 5nach6_21.01.22 Spielräume gewinnen 2 beflügelt                                        Ps 23

Quelle: Gottesdienst-Institut der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, A.Felsenstein-Roßberg u.a., Spielräume gewinnen - beflügelt – Andacht zum Advent (Art.-Nr.2177), Nürnberg, 2021 – Zitate kursiv

Bildquelle: A.Zappe, Flügel für die Seele Art.-Nr. 2171 © Annette Zappe www.annettezappe.de Veröffentlicht bei Gottesdienst-Institut der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, shop.gottesdienstinstitut.org oder auf https://annettezappe.de/skulpturen/fliegen/flu%CC%88gel/

Fundort im Shop des Gottesdienstinstituts: https://shop.gottesdienstinstitut.org/adventskarte-2-beflügelt.html

Als ich neulich in einer der wenigen Sonnenstunden am Fenster meines Arbeitszimmers das letzte 5nach6 vorbereitete, wurde ich plötzlich auf einen sich bewegenden Schatten auf unserer Wiese aufmerksam. Ich schaute hin und auf einmal  schwebte mit ausgebreiteten Schwingen ein Silberreiher an unseren Teich. Als er schließlich auf dem durchsichtigen Eis des zugefrorenen Teiches spazierte, sah es so aus, als ginge er leichthin eben mal so über das Wasser. Warum ich Ihnen das erzähle? Es geht heute um Flügel!

Ich möchte mit Ihnen mit Hilfe von vier Bildkarten des Nürnberger Gottesdienstinstituts in die ersten Wochen des Jahres einsteigen. Sie zeigen vier Bronzefiguren der Kemptener Kirchenmalermeisterin Annette Zappe. Mit ihren Figuren – so schreibt sie selbst – spürt sie im Wechselspiel von Figur und Raum den existenziellen, grundlegenden Fragen des Lebens nach (S.4).

Die heutige Figur trägt den Titel „Flügel für die Seele“. Die Andacht selbst trägt – wie die Postkarte, die Sie in Händen haben - die Überschrift „beflügelt“.

Auf dem Hintergrund der Reiher-Beobachtung, die „bewegte und bewegende Frau“ der letzten Andacht im Hinterkopf und das Wort „beflügelt“ vor Augen war ich etwas enttäuscht, als ich die Postkarte aufklappte. Ich hatte etwas Dynamischeres erwartet, etwas Fliegendes halt.

Vielleicht hat das etwas zu tun mit den Flugerfahrungen in meinem Leben.

Als Kind und Jugendlicher hatte ich immer wieder mal Alpträume, in denen ich verfolgt wurde oder in anderen Schwierigkeiten steckte. Und dann konnte ich plötzlich fliegen – aus jeder Gefahr, aus jeder Schwierigkeit hinaus!

Seit meiner Studentenzeit mag ich sehr Reinhard Mey und insbesondere sein Lied „Über den Wolken“ …  

Über den Wolken
Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
Alle Ängste, alle Sorgen
Sagt man
Blieben darunter verborgen
Und dann
Würde was uns groß und wichtig erscheint 
Plötzlich nichtig und klein

Und dann – viel später – der erste echte Flug, ein Urlaubsflug mit der jungen Familie nach La Palma: abheben, den Alltag hinter sich lassen, sich gehoben, getragen und leicht fühlen, von oben schauen, unbelastet, nicht verwickelt sein … Ja, das war zumindest das Lebensgefühl der 70er, 80er Jahre: frei, vorwärts, aufwärts, leicht …

Und jetzt diese Figur?! Flügel für die Seele – also nicht mehr für den ganzen Menschen? Und dann kriecht die Seele unter die bergenden Flügel – und kuschelt sich dort ein? Wie die drei Affen – nichts hören, nichts sehen, nichts sagen?

Welch ein Unterschied zu der Frauen-Figur vom letzten Mal! Doch – ist der Unterschied wirklich so groß?

Schauen wir genau hin! So statisch ist die Figur gar nicht! Sie steht nicht festgewurzelt wie ein Baum, unter dem man Schutz sucht, wo man sich anlehnt und ausruht. Wenn man genau hinsieht, scheint sie mit den Füßen zu wippen. Kann gut sein, dass die Figur die Flügel auch aufgespannt hat, um zu fliegen.

Diese Figur ist in der Tat „beflügelt“ und beflügelnd – aber: Wie beflügelt Gott mich?

Zum einen denke ich, dass Gottes Geborgenheit über mich kommen kann wie bei Elia:

4Elia selbst ging … tiefer in die Wüste hinein. Dann setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod. »Es ist genug!«, sagte er. … 5Schließlich legte er sich hin und schlief unter dem Ginsterstrauch ein. Plötzlich berührte ihn ein Engel und forderte ihn auf: »Steh auf und iss!«6Als Elija um sich blickte, fand er …: frisches Fladenbrot und einen Krug mit Wasser. Er aß und trank, dann legte er sich wieder schlafen.7Doch der Engel des Herrn erschien ein zweites Mal. Wieder berührte er ihn und sprach: »Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir!« 8Da stand Elija auf, aß und trank und ging los. (1Kön 19,4 - 8 i.A.)

 

Zum anderen denke ich, die Geborgenheit bei Gott hat viel zu tun mit den Adlern. Wissen Sie, wie Adler fliegen lernen?

Der Adlerhorst, das Nest, in dem die Jungen heranwachsen, befindet sich immer hoch oben im steilen Felsen, auf einer unzugänglichen Klippe, über einem tiefen Abgrund. Wenn die Jungen so weit sind, dass sie flügge werden sollen, werden sie von der Adlermutter aus dem Nest gejagt. Die Jungen piepsen und sträuben sich! Sie sind ja noch nie geflogen. Aber die Mutter lässt nicht locker. Plötzlich packt sie das erste Junge mit den Krallen, fliegt mit ihm über den Abgrund und lässt es einfach fallen. Das Junge zappelt mit den Flügeln und versucht zu fliegen. Aber es gelingt nicht immer. Und dann scheint es so, als würde das hilflose Junge in den Abgrund stürzen. Aber plötzlich schießt der alte Adler, der zuvor scheinbar ruhig seine Kreise gezogen hat, steil nach unten, fängt das Kleine im Fallen auf und trägt es wieder nach oben - und das Spiel beginnt von vorne. Und so lernt der junge Adler, seine Flügel zu gebrauchen, bis er selbst mit großen Schwingen die Luft durchschneiden kann.

Der Verfasser des 5. Buches Mose fasst das so zusammen (32,11): Ein Adler lässt seine Jungen aus dem Nest ausfliegen. Wachsam kreist er über ihnen und schützt sie. So hat Gott seine Flügel ausgebreitet, sein Volk aufgefangen und getragen.

Das sind Bilder von der Geborgenheit bei Gott, die mich beflügeln! Einerseits, der Schutz, den Elia unter dem Ginsterbusch findet, Ruhe, Schlaf, Essen und Trinken … Andererseits diese „Geborgenheit to go“, „Geborgenheit in Aktion“, wie der Adler sie seinen Jungen gewährt. Das ist dieser bergende Gott, der wie der Hirte in Ps 23 einerseits den Tisch deckt und andererseits mit dem Psalmbeter im finsteren Tal unterwegs ist.

Dietrich Bonhoeffer, Pfarrer im Widerstand gegen die Faschisten der Hitler-Partei NSDAP, hat seine Geborgenheit bei Gott in unvergesslichen Worten ausgedrückt:

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Und Bonhoeffer ist gegangen!

Und jetzt sehe ich die bewegt-bewegende Frau der ersten Postkarte und den „Flügelmann“ auf unserer heutigen Karte als geniales Paar! Sie stehen für jene göttliche „Geborgenheit to go“. Und diese Geborgenheit wünsche ich uns für das Jahr 2022.