370 5nach6 09.02.2024 Jahreslosung_4 2024 Ps 23 ein Psalm von der Liebe Gottes
Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe! Dieser Satz von Paulus aus seinem 1. Brief an die christliche Gemeinde in der griechischen Stadt Korinth (16, 14) ist die Jahreslosung für 2024 – also sozusagen die Überschrift, das Programm für 2024.
Je öfter ich ihn lese, desto mehr fallen mir Feinheiten auf.
Was ist z.B. der Unterschied zwischen „Alles, was ihr tut, geschehe aus Liebe“ und dem Satz von Paulus „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“?
Wenn ich aus Liebe etwas tue, dann beantworte ich die Frage nach dem Warum. Der Grund meines Handelns ist eben Liebe.
Wenn ich in Liebe etwas tue, dann beantworte ich die Frage nach dem Wie. Die Art und Weise, wie ich handele, ist eben liebevoll.
Ist das nicht egal? Nein!
Wir können unsere Kinder lieben und dennoch in der Art und Weise unseres Umgangs mit ihnen lieblos sein.
Wir können unsere Partner lieben und dennoch in der Art und Weise unseres Umgangs mit ihnen lieblos sein – oder uns eifersüchtig zu Gewalt hinreißen lassen.
Wir können unsere Heimat lieben und sie zeigt sich plötzlich, indem wir einen Krieg vom Zaune brechen.
Wir können unser Land lieben und im Meinungsstreit darüber, was unserem Land guttut, ausgesprochen lieblos sein.
Es läuft etwas aus dem Ruder. Die Demokratie ist in Gefahr, weil die Erhitzten auf allen Seiten den Unterschied zwischen … Protest und Gewalt nicht mehr kennen oder nicht mehr kennen wollen. Der sächsische SPD-Abgeordnete und Theologe Frank Richter hat 2018 angesichts der Pegida-Demonstrationen ein versöhnliches Buch geschrieben, Titel „Hört endlich zu!“ (M.Hecht, Extrem bürgerlich, in:PUBLIK-Forum, S.24)
Er bezieht diese Aufforderung auf die Politiker/innen, die den Blick und das Ohr für die Menschen verloren haben. Er bezieht sie aber auch auf die Protestierenden, die Gesprächsangebote nicht nutzen, sondern Politiker mit „Hau ab!“ begrüßen und ihnen den Tod am Galgen wünschen.
Zu einer Kultur der Verständigung gehört aber mehr.
Man soll es nicht glauben, aber auch zu diesem brandaktuellen können wir vielleicht nicht alles, aber sehr viel aus der Bibel lernen. (Lk 19,2)
Jesus kommt in die Stadt Jericho. Der Anführer der Zöllner, Zachäus, will ihn unbedingt sehen. (Zöllner erhoben im Namen des römischen Staats Zoll. Sie bekamen keinen Lohn vom Staat, sondern lebten von dem Geld, das sie auf die festgesetzten Steuern aufschlugen. Deshalb hatten sie zwar ein schlechtes Ansehen – aber sie waren reich und wussten die römischen Soldaten hinter sich.)
Aber weil Zachäus klein ist, klettert auf einen Baum, um über die dichtgedrängte Menschenmenge hinwegsehen zu können.
Als Jesus zu dem Baum kommt, schaut er hoch und spricht Zachäus an: „Zachäus, komm runter, ich will bei dir einkehren!“ Zachäus freut sich und klettert herab. Zusammen gehen sie in sein Haus.
Die Leute regen sich auf und tuscheln: „Ausgerechnet bei so einem, einem Sünder kehrt er ein!“
Aber am Ende der Begegnung sagt Zachäus: „Die Hälfte von meinem Besitz werde ich den Armen geben. Und wem ich zu viel abgenommen habe, dem werde ich es vierfach zurückzahlen.“ Da sagt Jesus zu ihm: »Heute bist du gerettet worden …Der Menschensohn ist gekommen, um die Verlorenen zu suchen und zu retten.«
Jesus gehört nun wirklich nicht von vornherein zum Freundeskreis des Zachäus. Auch wenn Jesus ganz anders ist, Zachäus entwickelt trotzdem Interesse an diesem Mann, der so ganz anders „tickt“.
Und Zachäus wird aktiv, er unternimmt einiges, um diesem interessanten Menschen Jesus näher zu kommen - auch wenn ihm viele andere im Wege stehen.
Und Jesus? Er hat nicht nur ein Auge für seine bekannten Fans. Seine Wahrnehmung reicht weiter, bis zu denen, die nicht von vornherein zu seinen Fans gehören.
Die beiden Ungleichen kommen ins Gespräch, Begegnung ist möglich.
Natürlich gibt es Kritik und Widerstand von den eigenen Leuten, wenn jemand auf andere zugeht, die nicht zu ihresgleichen zählen. Aber Jesus hält das aus.
Lukas erzählt dann nur noch vom Ende der Begegnung. Zachäus ist bereit, sein Denken und Handeln grundlegend zu ändern. Offensichtlich waren Wahrnehmung und – am Ende – auch Wertschätzung, geäußerte Wertschätzung und gerne angenommene Wertschätzung eine Grundlage für eine selbstkritische Meinungs- und Verhaltensänderung.
Das ist ganz offensichtlich in Liebe geschehen, um an unsere Losung anzuknüpfen.
Gerd-Matthias Hoeffchen hat in der Ev. Zeitung (21.01.2024 S.2) unter der Überschrift „Protestieren, nicht spalten“ zu unserem Thema einiges geschrieben, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte:
Bauern-Demo, Bahnstreik, Klimakleber – Proteste gehören zur Demokratie. Alle, die mit etwas nicht einverstanden sind, dürfen das sagen – auch laut, auch in der Öffentlichkeit. Aber in der letzten Zeit haben sich die Art und die Heftigkeit der Proteste hierzulande verändert. Sie sind ruppiger geworden. Der Ton wird aggressiver. Der Anspruch, „wenn ihr nicht wollt wie wir, dann legen wir Teile der Öffentlichkeit lahm“, droht zur Selbstverständlichkeit zu verrohen. Und das ist ein Problem. Denn wenn das so weiter geht, fliegt uns unsere – bei allen kritikwürdigen Zuständen – insgesamt immer noch halbwegs funktionierende Gesellschaft um die Ohren.
Das kann niemand wollen. Außer denen, die sowieso und immer schon den Umsturz wollen. Alle anderen, … jene, die das Gute bewahren und das Schlechte, das sie bedrückt, einfach abstellen wollen, denen sei gesagt: Geht den Spaltern nicht auf den Leim! Denn sonst ist am Ende alles nur noch sehr viel schlimmer.
Wir leben in Zeiten von Krisen. Aber gerade die bekommt man nicht in den Griff, wenn man sich anschreit, wenn jeder nur noch auf die eigenen Interessen achtet, so berechtigt die auch sein mögen. Gefragt ist ein neues Miteinander. Eine Verständigung in der gesellschaftlichen Mitte. Ein neues Vertrauen, dass Veränderungen und Einschnitte notwendig sind und gerecht und angemessen auf die Schultern aller verteilt werden.
Hier ist zum einen die Politik gefragt. Sie muss die Wahrheit sagen, schnörkellos. Die lautet: „Die goldenen Zeiten sind vorbei. Wir müssen raus aus der Komfortzone. Das ist bitter. Aber wir werden versuchen, das Beste herauszuholen, was angesichts der Umstände möglich ist.“ Stattdessen betreibt die Politik Kosmetik, eiert herum, versucht, die eigenen Wähler zu besänftigen. Aber das funktioniert immer weniger.
Nutznießer sind Populisten und Extremisten, die einfache Lösungen verkünden: Ausländer raus, weg mit Europa; ... Schaut man genauer hin, ist von diesen „Lösungen“ nicht einmal die Hälfte wahr bzw. hilfreich. Insofern geht der Aufruf nicht nur an die Politik, sondern auch an Wähler/innen: Macht euch schlau! Glaubt nicht jede Sau, die Populisten durchs Dorf treiben. Schaut auf Sachargumente, vertraut nicht den Hassrednern. Fast nie ist eine „einfache“ Lösung gut. Und hört auf, eure Proteste wie Erpressungen aussehen zu lassen.
Protestieren ist wichtig für die Demokratie. Aber Demokratie ist auch die Kunst, das Große und Ganze zu sehen, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Und ihn dann zu akzeptieren. … Wer nur aufs Eigene schaut, droht am Ende alles zu verlieren.