Freitags 5nach6 - Schwere Zeiten 2

08. Juli 2022

309 5nach6 08.07.2022_Schwere Zeiten 2                    Ps 73

Quelle: Gottesdienst-Institut der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Durst nach Glück. Themengottesdienst für die Sommerzeit (2022), Nürnberg, 2022, Downloadversion zur Handreichung (Art.-Nr.2244) – Zitate kursiv

David, der spätere König Israels, hatte es gut. Sie erinnern sich? In seiner Familie ist er eine kleine Nummer, die kleinste, um genau zu sein. Als Jüngster zählt er nicht wirklich, ist außen vor. Und das im Wortsinn, denn als der Prophet Samuel kommt und in der Familie den künftigen König sucht, ist er draußen und passt auf die Schafe auf. Ja, und dann legt der Prophet ausgerechnet ihm die Hand auf. „Gott sieht dich, er hat dich sogar ausersehen! Er hat dir einiges gegeben, mitgegeben. Du bist begabt. Auf dich, auch und vor allem auf dich, kommt es an! Nicht nur, wenn es um eure Schafe geht. Auch wenn es um das große Ganze, um alles geht! König sollst du werden!“

Und als die Not groß ist, als der streitbare Goliath sich vor ihm aufbaut, ihn und das ganze Volk bedroht, da ist es David, der ihn mit seiner Steinschleuder - wir würden vielleicht sagen „Zwille“ – tötet und die Bedrohung beseitigt.

Ja, David! Aber das hat doch mit mir nichts zu tun. Zu mir kommt doch kein Talentsucher, kein Headhunter, wie die Sucher nach Fachkräften in der Wirtschaft heißen. Ich bin doch nur ein kleines Licht und bei Gott allemal.

So ähnlich dachte Hagar auch. Sie kennen Hagar nicht? Eben. Ein kleines, ein ganz kleines Licht in der Bibel – und doch ein leuchtendes Beispiel.

Hagar ist die ägyptische Sklavin von Sara. Sie lebt in untergeordneter Stellung in der Sippe des Abraham. Alles geht so seinen Gang. Aber Sara leidet darunter, dass sie jahrelang kein Kind bekommt. Darum gibt sie ihrem Mann die Sklavin Hagar zur Nebenfrau. Als diese schwanger wird, kommt es zum Konflikt zwischen den beiden Frauen ...

Zuerst denkt Hagar, sie hätte sich verhört. Ungläubig wartet sie vor dem Zelt, während Sara drinnen werkelt. Da erscheint die Herrin, Hagars Habseligkeiten auf dem Arm. Ohne ein Wort lässt sie das Bündel zu Boden fallen

Mit eiskalter Stimme sagt Sara: Nun. Ich bin ich Abrahams Frau und du meine Sklavin. Und es ist ganz einfach: Hier ist kein Platz mehr für dich. Bei den Frauen der Viehknechte findest du bestimmt ein Eckchen. Sie sprechen wenigstens die gleiche Sprache wie du. Ach, und: Wenn dein Balg geboren ist, schick jemanden vorbei. Vielleicht nimmt ihn Abraham an. Vielleicht nicht. Werden ja sehen, ob es ein Kind ist, das es wert ist. (S.8 ff)

Damals war es durchaus gängige Sitte, zum Überleben der Sippe eben mit einer Sklavin zu schlafen und von ihr ein Kind gebären zu lassen, wenn die Ehefrau keine Kinder bekommen konnte. Befremdlich? Die alttestamentliche Form der heutigen Leihmutterschaft. 

Hagar geht davon zu den hinteren Zelten. Sobald sie einen neuen Schlafplatz gefunden hat, legt sie sich auf ihr Lager. Sie zieht die Decke über den Kopf und birgt das Gesicht in den Händen. Hagar weint, lautlos. Ganz allein. Die ganze Nacht hindurch. Beim ersten Morgengrauen hat sie sich entschieden. Sie steht auf. Sie packt ein wenig Brot ein, einen Wasserschlauch und rollt alles in ihre Decke. Dann schleicht sie sich davon.

Hagar lässt die fruchtbare Ebene hinter sich und wandert eilig Richtung der steinigen Hügel. Weg von hier, einfach nur weg will sie. ... Erst als sie weit oben angekommen ist und ein … Flusstal unter sich sieht, hält sie … kurz inne. Ganz bewusst dreht sie sich nicht um. Hagar ist sich sicher: Es ist nicht meine Schuld. Trotzig steht sie da, die Stirn in tiefe Falten gelegt: Hab ich nicht jahrelang alles getan, was man von mir verlangt hat? … Hab ich je gejammert über Arbeit? (S.8 ff)

Ein Weg, den sie eingeschlagen hat, scheint zu Ende. ... Auf einmal hört sie Fragen: „Wo kommst du her? Wo willst du hin?“ Wer ist das, der sich für sie interessiert? Ja, da ist jemand, dem nicht gleichgültig ist, wie es ihr geht. Diese Fragen sind wie ein Türöffner. Jetzt kann sie erzählen, wie es zu allem kam. Sie kann Worte finden für das, was in ihr vorgeht.

Wer spricht denn da? … Ist es ein Engel? Auf diese Frage findet Hagar sehr rasch eine Antwort: Gott ist es. Gott fragt nach ihr. Offenbar hat Gott ihren Weg vor Augen. Der, von dem Himmel und Erde kommen, achtet auf ihr Leben. Es ist ihm wichtig. Sie ist ihm wichtig. Kann das sein? Ja. Hagar sieht das und sagt: „Du bist ein Gott, der mich sieht“.

Leben kann schwer sein. Tragisch. Ungerecht. Unverständlich. Aussichtslos. Eines wünsche ich mir, …: Dass Menschen, die gerade die Schattenseiten des Lebens erleben, auf jemand treffen, der genau diese Fragen stellt: Wo kommst du her? Wo willst du hin? Auf diese Fragen hin kann jede/r etwas sagen – wie Hagar.

Kennen Sie das auch, dass es einem leichter wird, wenn man erzählen kann? Es tut einem gut, wenn einem jemand gegenübersitzt, zuhört und zu einem steht. Wenn jemand einfach da ist. Man kann sagen, was einem zusetzt. Was einen traurig macht. Oder wütend. Was man versteht oder nicht versteht. Vielleicht auch, wofür man sich schämt. Oder wovor man Angst hat. Wer anderen in dieser Weise einen Raum zum Reden eröffnet, vermittelt: Du bist wichtig. Dein Leben ist wichtig. Ich höre deine Fragen. Hier bin ich. Ich stehe dir zur Seite. Gott hat das zu Hagar gesagt: Hier bin ich. Ich stehe dir zur Seite. Und Hagar hat es verstanden und gesagt: „Du bist ein Gott, der mich sieht“.

Die Geschichte von Hagar wird durch alle Zeiten und in allen Ländern der Erde erzählt, denn da wurde nicht nur geredet. Es ist auch etwas geschehen. Das Gefühl, dass einer da ist, der sie sieht, hat ihr Mut gemacht. Dass Gott auf ihr gar nicht glanzvolles Leben schaut, hat sie selber berührt. Hagar erhält ihre Lebensenergie zurück, denn sie erlebt: Dem großen Gott, der für die ganze Welt zuständig ist, ist mein Leben wichtig.

Es sind dann zwar nicht auf einmal alle Probleme gelöst. Aber Hagar kann aufstehen und aus der Quelle Wasser schöpfen. … Sie kann auf einmal sagen: Ja, jetzt bin ich gewappnet für das, was kommt. Wasser schöpfen – das erinnert mich auch an die Taufe, von der ja genau diese Botschaft kommt: Ich sehe dich. Ich bin bei dir und gehe mit dir.

Mit Worten unserer Zeit würde man vielleicht sagen: Jetzt wusste sie, dieses Leben ist mein Leben. Egal wie es aussieht. Und Gott sagt Ja dazu. Sie wird ihren Weg finden. Und ihn gehen können.

Wir als Christen können immer vor Gott bringen, was uns bewegt. Wir können Gott all das in die Hand legen, wo wir mit unserem Latein am Ende sind. Ich möchte mich für einen Moment lang einfach – bildlich gesprochen – neben Hagar setzen. Und neben alle Menschen, die Situationen kennen wie Hagar. Ich würde schweigen. Und dann leise beten:

„Bewahre uns Gott, behüte und Gott, sei um uns auf unsern Wegen.

Sei Quelle und Brot in Wüstennot, sei um uns mit deinem Segen.

Sei Quelle und Brot in Wüstennot, sei um uns mit deinem Segen. (EG 171,1), S.20-23

„Naja“, werden Sie fragen, „wann setzt Gott sich schon mal zu mir und fragt mich?“ Insbesondere das AT ist voller Erzählungen, in denen sich Gott auf unterschiedlichste Weise zu den Menschen gesellt …

Wollen Sie ausschließen, dass Gott nicht anwesend ist, wenn Menschen zu Ihnen sprechen?

Wenn ein Kind Mama oder Papa sagt?

Wenn ein Enkel Oma oder Opa sagt?

Wenn Menschen Sie mit Schwester oder Bruder ansprechen?

Wenn Sie als Kamerad/in, Freund/in oder Genosse/in angesprochen werden?

Als Kollegin oder Kollege?

Als Nachbar/in, Mit-Bürgerin oder Mit-Bürger?

In all diesen Anreden steckt ein Angesehen-werden. Zum einen stehen sie für Wahrnehmung, Zuspruch, Wertschätzung, zum anderen kann auch ein Anspruch, eine Erwartung damit verbunden sein.

In jedem Fall gilt: Sie werden nicht beobachtet, Sie werden nicht kontrolliert – Sie werden gesehen, angesehen. Und damit genießen Sie ein Ansehen, eine Würde. Das kann Sie stärken. Wie David, den der Prophet aus dem Nichts heraus zum König salbt und der dann gegen Goliath besteht. Wie Hagar, die aus dem Elend heraus ihren Weg findet.

Gebet (S.23f)

Du bist ein Gott, der mich sieht.
Wie gern möchte ich das glauben.
Wie gern möchte ich dir vertrauen.
Hilf mir, Gott, dazu!


Du bist ein Gott voller Güte und Geduld.
Wenn unterschiedliche Gewohnheiten und Meinungen aufeinandertreffen.
Wenn Nähe nervt und Geduld mit anderen Menschen schwer ist.
Wenn jeder vor allem sich selbst sieht.
Herr erbarme dich.

Du bist ein Gott voller Erbarmen.
Wenn mir nicht gelingt, was mir wichtig wäre und ich an anderen schuldig werde.
Wenn Menschen sich feindlich gegenüberstehen.
Wenn meine Ohren für dich verschlossen sind.
Herr erbarme dich.

Du, Gott, bist die Quelle des Lebens.
Wenn der Weg durch die Wüste führt.
Wenn der Alltag anstrengt und alles festgefahren scheint.
Wenn der Zugang zu den Quellen fehlt, die unsere Kraft erneuern.
Herr erbarme dich.

Du bist ein Gott, dem alle wichtig sind. Wenn ich sehen muss, wer mich braucht.
Wenn ich Kraft brauche, um für andere da zu sein.
Wenn ich die richtigen Worte suche, um Mut zu machen und von dir zu erzählen.
Herr erbarme dich.
 

Du bist ein Gott, der die Welt überwunden hat, damit wir keine Angst haben müssen.
Wenn jemand ganz alleine ist.
Wenn Not Krieg, Gewalt und Unrecht) herrschen und die Sorgen überhandnehmen.
Wenn der Weg auf dieser Erde zu Ende geht.
Herr erbarme dich.


Du bist ein Gott, der Zukunft schenkt.
Wenn ich an meine Grenzen stoße und Umkehr nötig ist.
Wenn Sehnsucht mich aufbrechen lässt.
Wenn ich loslassen muss, was ich liebe.
Herr erbarme dich.
Du bist ein Gott, der mich sieht. Dank sei dir heute und zu jeder Zeit!

Amen.