Freitags 5nach6 - Schwere Zeiten

01. Juli 2022

308 5nach6 01.07.2022_Schwere Zeiten                Ps 73

Da reiten sie … und es sieht nicht nach einer einem gemütlichen Ausritt, nach einer Landpartie aus. Bei genauerem Hinsehen sind vier Reiter zu erkennen – aber auf einem Ponyhof spielt diese Szene nicht!

Vielleicht kennen Sie diesen Holzschnitt. Albrecht Dürer hat die vier apokalyptischen Reiter dargestellt.

Das deutsche Wort für Apokalypse lautet Offenbarung und deshalb heißt auch das letzte Buch unserer Bibel so: Apokalypse oder Offenbarung des Johannes.

In prophetisch-visionärer Sprache erzählt eine Apokalypse vom katastrophalen ‚Ende der Geschichte‘ und vom Kommen … des ‚Reiches Gottes‘. (Wikipedia) Das oft angedrohte „schlimme oder böse Ende“ geht darauf zurück. „Science-Fiction kombiniert mit Horror“, so habe ich Apokalypse gelegentlich umschrieben. Das 6. Kapitel der Offenbarung des Johannes erwähnt die vier apokalyptischen Reiter als Boten der nahenden Apokalypse, des Jüngsten Gerichts.

Der erste Reiter steht in den meisten Deutungen für die Heimsuchung der Menschen durch bösartige Tyrannen und Diktatoren.  Das vom zweiten Reiter geführte lange Schwert steht für Krieg und Gewalt. Die schwarze Farbe des dritten Pferdes symbolisiert Tod und Hunger. Sein Reiter trägt zudem eine Waage - Symbol für Teuerung und Mangel. Das vierte, fahle Pferd bedeutet FurchtKrankheit, Seuche, Niedergang und Tod.

Jede Zeit hat diese vier Reiter auf ihre Geschichte bezogen. Und es scheint ja, als ob sie auch in diesen Tagen unheilverbreitend durch unsere Geschichte stürmen.

Wie gehen wir damit um? Weglaufen oder sich wehren? Das sind die beiden Grundreaktionen, die in den Tiefen unseres Gehirns gespeichert sind. „Flüchten oder Standhalten“ fragt der Arzt und Psychologe Horst-Eberhard Richter in seinem Buch.

In letzter Zeit fallen mir öfter Gedichte und Lieder ein, früher gehört oder sogar gelernt  – und mit denen ich heute mehr anfangen kann als damals. So auch mit diesem Lied:

 

Wer jetzig Zeiten leben will,
Muss hab'n ein tapfer‘s Herze,
Es sein der argen Feind so viel,
Bereiten ihm groß Schmerze.
Da heißt es steh‘n ganz unverzagt
In seiner blanken Wehre,
Dass sich der Feind nicht an uns wagt,
Es geht um Gut und Ehre.

Geld nur regiert die ganze Welt,
Dazu verhilft Betrügen;
Wer sich sonst noch so redlich hält,
Muss doch bald unterliegen,
Rechtschaffen hin, rechtschaffen her,
Das sind nur alte Geigen:
Betrug, Gewalt und List vielmehr,
Klag du, man wird dir's zeigen.

Doch wie's auch kommt, das arge Spiel,
Behalt ein tapfer‘s Herze,
Und sind der Feind auch noch so viel,
Verzage nicht im Schmerze.
Steh gottgetreulich, unverzagt,
In deiner blanken Wehre:
Wenn sich der Feind auch an uns wagt,
Es geht um Gut und Ehre!

 

Dieses sozialkritische Lied ist 1876 zuerst von Franz Wilhelm Freiherr von Ditfurth veröffentlicht worden. Der Liedforscher entnahm es einem … heute verschollenen Liederbuch …, aus dem 17. Jhdt. … In dem Lied "Wer jetzig Zeiten leben will" werden Missstände beklagt, …: Zum einen regiere "Geld nur […] die ganze Welt", zum anderen hätten Recht und Gesetz an Bedeutung verloren. In diesem "argen Spiel" von "Betrug, Gewalt und List" gelte es, nicht zu verzagen, sondern "gottgetreulich" und mit tapferem Herz "um Gut und Ehre" zu kämpfen. (nach: Wer jetzig Zeiten leben will — Liederlexikon).

Also gut – standhalten, nicht verzagen, gottgetreulich und tapfer kämpfen. Aber – ICH?

Ja. Jede(r) Einzelne von uns, auch ich. Aber wie denn? Ich kann doch gar nicht … Und woher soll ich überhaupt den Mut dazu nehmen? Nun, z.B. von David. (Für die folgenden Gedanken vgl. J.Haberer, S.Rückert, Woher kommt der Mut? In: ZEITMAGAZIN Nr. 23, 02.06.22, S.15-22 – Zitate kursiv).

Sie erinnern sich? Quasi als Talentsucher für den Königsthron ist der Prophet Samuel im Auftrage Gottes in Israel unterwegs – so auch in Bethlehem im Hause des Bauern Isai. Sieben prächtige junge Männer stellt Isai ihm vor, doch ein Zeichen Gottes bleibt aus. „Waren das alle deine Söhne?“ fragt der Prophet Isai. „Naja, einer ist noch übrig“, antwortet der, „aber der ist noch ein Kind.“ Auf Bitten Samuels lässt er den Jüngsten von der Weide holen, wo er auf die Schafe aufpasst. „Er ist es“, hört Samuel in seinem Inneren. „Er ist es“, sagt er laut. Er legt die Hände auf den Kopf des Jungen als Zeichen dafür, dass er etwas Großes in ihm sieht – viel mehr als David selbst und alle anderen.

Durch dieses Zeichen verändert sich das Kind. Dann kommt es zu einer wahrlich apokalyptischen Bedrohung! Israel wird von den überlegenen Truppen … der Philister … in die Enge getrieben. Wie erstarrt stehen die Israeliten ihren Feinden gegenüber. Keiner traut sich in den Zweikampf gegen Goliath, den stärksten Philister. Bis David vorbeikommt, … um seinen Brüdern Verpflegungspakete an die Front zu bringen. Ein dünner Junge, etwa 15 Jahre alt, aber getragen von jenem Selbstvertrauen, das sich aus dem Zutrauen einer höheren Macht speist. Ein Gefühl, das uns heute die Erinnerung an die Taufe vermitteln kann – auch wenn wir nicht fürs Kanzleramt auserwählt sind. (Irgendwie erinnert David mich an die schmale, unscheinbare Greta Thunberg mit ihren Zöpfen.)

David tritt Goliath gegenüber – unbewaffnet, die Rüstung war ihm zu schwer und ein Schwert konnte er nicht einmal heben. Nur eine Art Kinderspielzeug hat er dabei, eine Steinschleuder, mit der er geschickt … Wölfe vertreibt, die um Vaters Schafherde herumschnüffeln. Und während Goliath noch über den Hänfling … lacht, nimmt der seine Schleuder und platziert einen Kiesel … mitten auf die Stirn des bis an die Zähne bewaffneten Riesen. Goliath fällt. Der Krieg ist zu Ende.

Wie begegnet David diesem Goliath, der gut in die Reihe der apokalyptischen Reiter gepasst hätte? Nun, selbstbewusst – oder „ich-stark“, wie ein Psychologe vielleicht sagen würde. David ist kein Angeber, aber er weiß sich von der Zuwendung Gottes getragen. Was macht er?

Er sieht dem Problem – hier heißt es Goliath – ins Auge, er flieht nicht. Er wartet nicht auf die Experten, in diesem Fall die Soldaten. Er macht es anders als die Experten: Er rüstet sich nicht, er greift nicht zu den üblichen Waffen. Er hält sich nicht an die überkommenen Regeln des Zweikampfes. Er handelt, mit dem, was er hat, und so, wie er es kann. Er kann sich des Erfolges nicht sicher sein. Er weiß nur, dass etwas passieren muss. Er weiß aber auch, dass ihm etwas passieren kann. Er spürt eine Verpflichtung für das Überleben seiner Leute. Er hat eine Hoffnung – gegen die ängstliche Hoffnungslosigkeit und wohl gerechtfertigten Bedenken all der Experten. Und er sieht einen Weg.   Er handelt, mit dem, was er hat, und so, wie er es kann. Oder wie der frühere US-Präsident Roosevelt es gesagt hat: "Mach, was du kannst, mit dem, was du hast, wo du bist."

Was macht die Mutigen aus? Das fragt die Theologin Johanna Haberer. Sie tragen den Horizont des Morgengrauens in sich: die positive Zuversicht, dass die Welt ein besserer, menschlicherer Ort werden kann; das Zutrauen in sich selbst und den eigenen Auftrag; und das Vertrauen all jener, die sich ihnen anschließen. … Woher strömt den Schwachen Mut zu? Immer aus einem festen Glauben – an sich selbst, an eine Aufgabe, eine Idee, ein Ziel, an einen Sinn im Leben – manchmal auch an einen Gott.

Keiner von uns war bei den Staats- und Regierungschefs in Schloss Elmau, an die wir unsere Erwartungen an Problemlösungen auch ganz bequem auslagern können. Das kann man sich gut im Fernsehen anschauen - und hinterher darüber nörgeln, dass nicht genug oder nicht das Richtige getan wird gegen Krieg, Inflation, Seuche. Spaltung der Gesellschaft, Egoismus und Klimawandel.  – Dabei stehen selbst im kleinen Königsdahlum Menschen in der Tradition Davids und leisten ihren Beitrag im Kampf gegen die apokalyptischen Bedrohungen dieser Zeit: Sie sorgen dafür, dass die Gefahr gering ist, unbemerkt krank, hilflos oder gar tot in der Wohnung zu liegen. Sie machen in der Landwirtschaft oder auf anderen Feldern etwas anders, um dem Klimawandel und Artensterben etwas entgegenzusetzen. Sie nehmen Flüchtlinge auf oder helfen ihnen mit ihren Möglichkeiten. Sie tragen eine Maske bei Lidl oder EDEKA, testen sich, um sich und andere möglichst gut zu schützen gegen Corona. Sie engagieren sich in der AG, bei der FFW, in der Kirche – oder tun unorganisiert etwas für die Gemeinschaft. Es braucht nicht mehr unbedingt Steinschleudern und spektakuläre Zweikämpfe, man kann den heutigen apokalyptischen Reitern viel unspektakulärer in die Zügel greifen.   

Ich möchte den Ps 73 beten – und zwar in einer etwas längeren Fassung als die, die wir vorhin aus dem Gesangbuch gelesen haben:

Gott ist gut zu Israel,
zu denen, die ein reines Herz haben!
2Ich aber wäre fast gestrauchelt mit meinen Füßen.
Um ein Haar hätte ich den Halt verloren.
3Denn ich war neidisch auf die Angeber,
als ich sah, wie gut es den Frevlern ging.
4Sie leiden ja offenbar keine Schmerzen,
ihr Leib ist gesund und wohlgenährt.
5Die harte Arbeit der Menschen kennen sie nicht,
und die Sorgen der Leute berühren sie nicht.
6Darum tragen sie ihren Hochmut wie eine Halskette
und hüllen sich in einen Mantel von Gewalt.
7Aus ihren Augen grinst der Wohlstand hervor.
Vor lauter Einbildung hüpft ihnen das Herz.
8Sie spotten und reden in böser Absicht daher,
verdrehen die Worte und schüchtern ein.
9Sie reißen den Mund auf bis zum Himmel
und lassen auf der Erde ihrer Zunge freien Lauf.
10Darum wendet sich das Volk ihnen zu,
von ihren Reden bekommt es nicht genug.
11Sie sagen: »Wie sollte Gott davon erfahren?
Was weiß denn schon der Höchste?«
12Schaut nur hin: So leben die Frevler!
Alle Zeit sind sie frei von Sorgen
und vermehren ihr Vermögen.
13Ja, umsonst behielt ich ein reines Herz
15Wenn ich gesagt hätte: »Ich will so reden wie sie«,
hätte ich die Gemeinschaft deiner Kinder verraten, (Gott).
16So dachte ich nach, um das zu verstehen. …
17Schließlich ging ich in Gottes heilige Hallen
und begriff, welches Ende die Frevler erwartet:
18Ja, du hast sie auf glatten Grund geführt
und sie auf ihre Täuschung hereinfallen lassen.
19 … Schlagartig fanden sie ein schreckliches Ende – …
21Wenn mein Herz verbittert ist und mich die Nieren stechen:
22Dann bin ich so dumm wie ein Rindvieh und steh vor dir wie ein Ochse vor dem Berg.
23Trotzdem bleibe ich immer bei dir. Du hast mich an die Hand genommen. …
25 … Bei dir zu sein, ist alles, was ich mir auf der Erde wünsche.
26 Auch wenn … mein Leben vergeht, bleibst du, Gott, trotz allem mein Fels …