396_5nach6_20.09.24_Erntedank 1 Ps 145
Der klassische Bibeltext für den Erntedank-Sonntag ist das Gleichnis vom reichen Kornbauern (Lk 12, 16):
16Dazu erzählte Jesus ihnen ein Gleichnis: »Die Felder eines reichen Grundbesitzers brachten eine besonders gute Ernte. 17Da überlegte er: ›Was soll ich tun? Ich habe nicht genug Platz, um meine Ernte zu lagern.‹ 18Schließlich sagte er sich: ›So will ich es machen: Ich reiße meine Scheunen ab und baue größere. Dort werde ich dann das ganze Getreide und alle meine Vorräte lagern. 19Dann kann ich mir sagen: Nun hast du riesige Vorräte, die für viele Jahre reichen. Gönn dir Ruhe. Iss, trink und genieße das Leben!‹ 20Aber Gott sagte zu ihm: ›Du Narr! Noch in dieser Nacht werde ich dein Leben von dir zurückfordern. Wem gehört dann das, was du angesammelt hast?‹
21So geht es dem, der für sich selbst Schätze anhäuft, aber ist nicht reich bei Gott.«
Wenn ich dieses Gleichnis höre, muss ich immer an meinen hoch geschätzten, verstorbenen Kirchenvorstandskollegen Richard Palandt denken. Diese Erzählung ging ihm immer ein wenig gegen den Strich, weil sie in seinen Augen kluges, vorausschauendes bäuerliches Handeln schlecht aussehen ließ.
Ein Grund für dieses Missverständnis liegt darin, dass Vers 15 oft ausgelassen wird:
Jesus sagte: »Gebt acht! Hütet euch vor jeder Art von Habgier. Denn auch wenn jemand im Überfluss lebt, so hängt sein Leben nicht von seinem Besitz ab.«
Es geht also nicht um kluges bäuerliches Wirtschaften, Gott hat nichts gegen den Bau von Scheunen. Es geht um das, was dieses Wirtschaften antreibt, welches Motiv ihm zugrunde liegt. Geht es ums schlichte Haben, ums Haben für sich selbst, ums Mehr-Haben, ums Mehr-Haben als andere?
„Haben, als hätte man nicht.“ Das steht in der Bibel und stammt vom Apostel Paulus (1Kor 7, 29ff). Und er meint damit: Habe alles, was du hast, als hättest du es nicht. Als würde alles, was du hast oder besitzt, nicht dir gehören. Als wäre es geliehen auf Zeit.
„Haben, als hätte man nicht.“ Das, was ich habe und besitze, ist nicht alles. Vor allem aber: Ich bin mehr und etwas anderes als ich besitze. Das, was ich besitze, entscheidet letztlich nicht, wer ich bin und was meinem Leben Sinn gibt. Ich glaube daran, dass bei Gott andere Dinge zählen als das, was ich habe oder wie ich mich oder als was andere mich ansehen. Mich befreit das: Gott sieht in mir mehr als das, was ich mir gekauft oder erarbeitet habe. Ich habe einen anderen, einen viel größeren Wert.
Na klar: Ich darf das alles genießen. Haus, Garten, sicheres Auskommen, Familie, Freundschaften, etwas Schönes, was ich mir kaufen konnte … Aber zu wissen: Das ist nicht alles – das tröstet mich und befreit!
Das befreit von Habgier und Leistungsdruck. Aber wozu befreit es? Freiheit ist nicht nur Freiheit von etwas, sondern auch Freiheit für etwas!
Und jetzt sind wir beim Schluss des Gleichnisses. 21So geht es dem, der für sich selbst Schätze anhäuft, aber ist nicht reich bei Gott.«
Ich bin also frei, um vor Gott reich dazustehen. Aber - wie bin ich reich bei Gott?
Als der Geheime Medizinalrat Breitenbach gestorben war, begannen seine Söhne, den Nachlass zu ordnen. In einer gläsernen Vitrine, die der alte Arzt wie ein Heiligtum gehütet hatte, fanden sie neben anderen Kostbarkeiten und Erinnerungsstücken ein merkwürdiges Gebilde: einen grauen, verschrumpelten und knochenharten Klumpen – ein vertrocknetes Stück Brot.
Ratlos befragten sie die alte Haushälterin. Die erzählte: In den Hungerjahren nach dem (Ersten) Weltkrieg hatte der Arzt einmal schwer krank darniedergelegen. Zu der akuten Erkrankung war ein allgemeiner Erschöpfungszustand gekommen. Kräftige Kost war nötig – aber knapp. Da schickte ein Bekannter ein halbes Brot. Gutes, vollwertiges Schrotbrot, das er selbst von einem Freund erhalten hatte.
Zu der Zeit war gerade im Nachbarhaus die kleine Tochter des Lehrers krank. Der Medizinalrat schickte darum das Brot, ohne selbst davon zu essen, den Lehrersleuten hinüber. Aber auch diese wollten das Brot nicht behalten. Die alte Witwe drüben unter dem Dach im Notquartier brauchte es bestimmt notwendiger. Die gab es an ihre Tochter mit den beiden Kindern in der kümmerlichen Kellerwohnung weiter. Die erinnerte sich an den kranken Medizinalrat, der kürzlich einen ihrer Buben behandelt hatte, ohne etwas dafür zu verlangen.
»Wir haben es sogleich wiedererkannt«, schloss die Haushälterin, »an der Marke, die auf dem Boden des Brotes klebte.« Als der Medizinalrat sein eigenes Brot wieder in den Händen hielt, da war er maßlos erschüttert und hat gesagt: »Solange noch die Liebe unter uns ist, die ihr letztes Stück Brot teilt, habe ich keine Furcht um uns alle! Dieses Brot hat viele Menschen sattgemacht, ohne dass ein Einziger davon gegessen hätte.«
(aus:W.Gerts, Predigterzählungen – Erzählpredigten, Hannover, 2006, S98f)
Liebe ist es also, die mich reich macht vor Gott, von dem im 1.Johannesbrief (4, 16) gesagt wird, „Gott ist Liebe. Und wer in der Liebe lebt, ist mit Gott verbunden, und Gott ist mit ihm verbunden.“
Und wie muss ich mir das vorstellen – reich an Liebe sein bei Gott? Muss ich einen Nachweis führen über meine Liebe? Oder schlägt Gott sein goldenes Buch auf und rechnet meine Liebe nach?
Gott weiß um meine Liebe. Und um mein Versagen in der Liebe. In gänzlicher Unvollkommenheit bin ich bei Gott. Und wie geht Gott damit, mit mir um?
In seinen samstäglichen Videos spricht unser Pastor in seinem Abendgebet immer folgenden Satz: „Geleite uns zur Ruhe der Nacht und dereinst zur ewigen Vollendung.“
Gottes Liebe umfängt mich und vollendet mit seiner Liebe meine Lieblosigkeit. Und so kann ich - im Bewusstsein meiner unvollkommenen Liebe - getrost versuchen, Liebe zu verschenken.
Und was ist nun Liebe? „Liebe ist mehr als vier Füße im Bett“, pflegte ich im Religionsunterricht meinen Schüler/innen zu sagen.
Eines der moderneren Kirchenlieder versucht eine bessere Antwort:
Liebe ist nicht nur ein Wort
Liebe, das sind Worte und Taten
Als Zeichen der Liebe ist Jesus geboren
Als Zeichen der Liebe für diese Welt
Ein Beispiel für Liebe hat der Medizinalrat erlebt. Aber die Liebe hat so viele Gesichter!