Freitags 5nach6 - Was geben wir den Kindern?

11. Februar 2022

298 5nach6 11.02.2022_Was geben wir den Kindern                                         Ps 104

Erinnern Sie sich noch an die Skulptur, die im Mittelpunkt unserer letzten Andacht stand? Sie heißt „Zweieinigkeit“ und ist geschaffen von Annette Zappe. Eine Mutter (oder ein Vater) halten ein Kind auf dem Arm. Müde und voller Vertrauen schmiegt sich das Kind an die Mutter. Die lehnt ihren Kopf, die Augen halb geschlossen, an den Körper des Kindes.

Diese Skulptur hat für mich eine ganz spezielle Bedeutung. Ich sehe meine Schwiegertochter (oder unseren Sohn) in eben dieser Position, denn denn unser Enkel Jozef ist am 07.02. geboren worden.

Genau wie bei dieser Skulptur wird Jozef von seinen Eltern unendlich viel Geborgenheit und Liebe bekommen – und zu trinken und frische Windeln.

Vielleicht ist es die räumliche Entfernung, die zwischen uns und Jozef liegt – er ist in der Slowakei geboren - die mich ein wenig weiter sehen lässt.

In der Bergpredigt sagt Jesus (Mt 7): 9Wer von euch gibt seinem Kind einen Stein, wenn es um Brot bittet? 10Oder eine Schlange, wenn es um einen Fisch bittet?

Worum bitten unsere Kinder uns? Zumindest in Deutschland geht es den Kindern weniger um Brot, das ist für die allermeisten selbstverständlich da.

Nein, zumindest viele der älteren unserer Kinder bitten uns seit 2018 um nichts weniger als um „Zukunft“. Im Rahmen der Bewegung „Fridays for future“ schwänzen sie gelegentlich die Schule (oder die Uni) und protestieren gegen klimaschädliches Verhalten, das ihnen – so fürchten sie - die Zukunft stiehlt. Einer ihrer Sprechchöre klingt dementsprechend so: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Zukunft klaut“.

Diese Aussage scheint nicht völlig unberechtigt. Mit unserem Lebensstil geben wir unseren Kindern weitaus Schlimmeres als nur einen Stein, den man nicht essen kann:

„An der Freien Universität Brüssel hat ein Forschungsprojekt … ermittelt, dass ein Kind Jahrgang 2020 … siebenmal so viele Hitzewellen erleben könnte, wie ein 1960 geborener Mensch, nämlich um die dreißig in der Zeit seines Lebens. Ein Kind von heute wird viel mehr mit Waldbränden, Dürren, Hochwasser, Missernten zu tun haben als seine Großeltern … Das Kind, das heute geboren wird, wird von Kriegen um Wasser hören …  (U.Fichtner, Geboren für die großen Chancen, in: DER SPIEGEL, Nr. 52, 24.12.21, S.18f)

Der Mineralkonzern ESSO warb 1978 (!) mit dem Spruch: „Es gibt viel zu tun. Wir packen es an!“ Ein Satz von ungebrochener Aktualität!

Als ich einem meiner Schüler in jenen Jahren mit dem ersten Satz dieses Werbeslogans – „Es gibt viel zu tun“ – kam, geschah Folgendes. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, drehte sich zu seinen Mitschülern/innen um, verschränkte die Arme und setzte meinen Anfang fort mit den Worten: „Ich packe ein!“

Ein verbreitetes Verhalten – auch heute noch. Andere müssen anfangen, den ersten Schritt tun. Dann sehe ich mir das an und ziehe nach – vielleicht ...

Das Gegenprogramm vertritt ein afrikanisches Sprichwort: „Viele kleine Leute, die an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern.“ Jede und jeder kann sich ändern und damit beginnen, die Verhältnisse zu ändern.

Gerade wir Deutschen können wissen, dass etwas dran ist an diesem Satz „Viele kleine Leute, die an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern.“ Wir haben ja das Beispiel vom Ende der DDR, wo engagierte Menschen, oft eben die vielbeschworenen „kleinen Leute“, an vielen kleinen Stellen begonnen haben, zuerst sich und später die Verhältnisse zu ändern.

Bertold Brecht sieht das in seiner „Dreigroschenoper“ gänzlich anders:

Ein guter Mensch sein? Ja, wer wär’s nicht gern?

Doch leider sind auf diesem Sterne eben

die Mittel kärglich und die Menschen roh.

Wer möchte nicht in Fried’n und Eintracht leben?

Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so!

 

Ja, wie denn nun? Muss sich jeder einzelne ändern, damit unsere Kinder eine Zukunft haben? Oder müssen sich die allgemeinen politischen Verhältnisse grundlegend ändern, damit es eine Zukunft für unsere Kinder gibt?

 

Während des Studiums haben wir stundenlang über diese gegensätzlichen Auffassungen gerungen. Heute weiß ich, dass dieser angebliche Gegensatz tatsächlich nur gut war für nächtelange Diskussionen, die für viele folgenlos blieben.

 

Dabei hätten wir es wissen können – von Alfred Müller-Armack (19011978). Er war ein Volkswirt und Erfinder des Begriffs der Sozialen Marktwirtschaft.

 

Wesentlich geprägt durch die christliche Soziallehre vertrat besonders Müller-Armack die Idee von der staatlichen Einflussnahme auf die Ergebnisse der Marktwirtschaft. Müller-Armack, Mitarbeiter des damaligen CDU-Wirtschaftsministers und späteren Bundeskanzlers Ludwig Erhardt, sah die Soziale Marktwirtschaft notwendig als das tragende Gerüst der Wirtschaftsordnung, nur dass dies eben keine sich selbst überlassene liberale Marktwirtschaft, sondern eine bewusst gesteuerte, und zwar von sozialen Leitgedanken gesteuerte Marktwirtschaft sein soll. D.h. der Staat schafft Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft. Dieser Rahmen fordert und fördert bestimmte Denk- und Verhaltensweisen – und schließt andere aus.

 

Kein Wunder, dass sich angesichts der Zukunftsbedrohungen für unsere Kinder der Begriff der ökologisch-sozialen Marktwirtschaft zur Beschreibung des staatlich gesetzten Rahmens durchgesetzt hat. CDU-Politiker wie der ehemalige Bundesumweltminister Klaus TöpferFriedbert Pflüger oder Heiner Geißler sehen in der Ökosozialen Marktwirtschaft die politische Antwort auf die Herausforderungen der weltwirtschaftlichen Entwicklung. Seit dem Jahr 2019 bekennt sich Bündnis 90/Die Grünen zu einer ökosozialen Marktwirtschaft. So betonte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bei seinem Amtseintritt im Jahr 2021, dass es das Ziel sei, in Deutschland aus der sozialen Marktwirtschaft eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft zu formen.

 

Es scheint, dass jenseits aller tagespolitischen Auseinandersetzungen über die Parteigrenzen hinweg klar ist, wohin die Reise gehen muss, damit wir unseren Kindern nicht die Zukunft stehlen. Und in diesem politischen Rahmen ist dann jede und jeder Einzelne gefragt und gefordert. Für diesen politischen Rahmen müssen wir uns einsetzen – von der Gemeinde bis zur nationalen und internationalen Ebene. Und in diesem Rahmen müssen wir uns engagieren. 

 

Das ist Ihnen zu politisch? Nun, es geht auch anders. Schauen wir nach bei Martin Luther. Er greift in seinem Kleinen Katechismus auf das Alte Testament zurück: Das fünfte Gebot - Du sollst nicht töten. Was dieses Gebot bedeutet, erklärt Luther für seine Zeit so: Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unserem Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid tun, sondern ihm helfen und beistehen in allen Nöten.

 

Es wäre interessant, das mit Blick auf unsere Gegenwart und auf unsere Zukunft zu bedenken! Mit der „Weiterentwicklung“ des Menschen muss auch unsere Vorstellung vom „Töten“ weiterentwickelt werden. Bertold Brecht schrieb schon vor vielen Jahren:

Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Selbstmord treiben …

(zit. nach F.Steffensky, Die Zehn Gebote, Würzburg, 2003, S.75)

 

Heute, im Jahr 2022, müssen wir sagen: Mit jedem Verhalten, das zur Verstärkung der Erderhitzung beiträgt, das nicht auf Verhinderung der Erderwärmung beiträgt, fügen wir – mit Luther gesagt - unserem Nächsten an seinem Leibe Schaden und Leid zu – und dazu auch seiner Seele. Vielleicht trifft es noch nicht uns Ältere mit voller Wucht. Auf jeden Fall aber werden viele unserer Nachkommen deshalb früher sterben und in ihrem Leben vor schwerwiegenden Problemen stehen, die wir uns z.T. noch gar nicht vorstellen können (oder wollen).

 

Gebet:

Gott, von dir kommt unsere Welt,

Himmel und Erde, Wasser und Land,

Dir verdanken wir letztendlich

Die Früchte der Felder und Gärten.

Öffne unsere Herzen und Sinne,

dass wir die Erde als deine Gabe erkennen,

die du uns anvertraut hast, damit wir sie bewahren. Amen.