415 5nach6_07.02.25_Wahl 1 - Sucht der Stadt Bestes
In diesem Monat ist Bundestagswahl … Und selten hat eine Jahreslosung zur politischen Lage unseres Landes so gut gepasst wie die diesjährige: Prüfet alles und das Gute behaltet (1Thess 5,12). Sorgfältiges Prüfen muss jeder Wahlentscheidung vorausgehen!
Und das alles in einer aufgeheizten, angespannten und belasteten gesellschaftlichen Atmosphäre, die geprägt ist von Erschöpfungen, Überforderungen, Ängsten, Bedrohungen und Wut, die sich bisweilen zum Hass steigert.
Es ist einfach anstrengend und kompliziert, alles hängt mit allem zusammen. Beispiel Migration: Bulgarische Jugendliche auf dem Marktplatz nerven, aber die libanesische Altenpflegerin ist ein Segen für meine Mutter. Weil VW in China Probleme hat, verliert ein VW-Arbeiter aus Bockenem seinen Arbeitsplatz in Wolfsburg. Ja, beim Blick auf die eigene Stadt, das eigene Land muss ich inzwischen weltweit denken.
Wie geht es uns?
Geht es uns wie den Israeliten damals? Passt Ps 137 auch zu uns? Der Psalmdichter hat uns diese Zeile hinterlassen: „1An den Strömen von Babel, da saßen wir und weinten …“ Sitzen wir an der Nette und es ist alles zum Heulen?
Nun, das wäre – wie Ex-Kanzler Kohl einmal gesagt hat – Jammern auf hohem Niveau. Trotzdem lohnt es sich, dem Hintergrund jenes Psalms nachzugehen. Er hat ja durch die Musikgruppe Boney M einige Berühmtheit erlangt: „Rivers of Babylon“ (An den Flüssen von Babylon) von Boney M war in vielen Ländern lange auf Platz Eins der Hitparaden.
Den Hintergrund jenes Psalmwortes beleuchtet der Prophet Jeremia (600 v.Chr.). Kritisch betrachtet er das eigene Land und seine Mitbürger: Das Volk missachtet die Weisungen (Gebote) Gottes ... Statt auf Gott zu hören, wendet man sich fremden Göttern zu. Aber gleichzeitig wiegt man sich in Sicherheit, nur weil der Tempel in Jerusalem steht. Der Prophet muss die schmerzliche Erfahrung machen, dass man seine Warnungen und Mahnungen in den Wind schlägt.
Schließlich erlebt Jeremia die Eroberung Jerusalems durch die Großmacht Babylon und die Verschleppung großer Teile der Bevölkerung dorthin. Alles, was bis dahin das politische und kulturelle Leben des Volkes ausgemacht hat, ist zerstört: der König gefangen, der Tempel ein Trümmerhaufen, die Stadt verwüstet und geplündert, die Priester verschleppt, die Beamten verhaftet, die Armee zerschlagen, das Land verwüstet.
Jeremia selbst konnte in Jerusalem bleiben. An seine aus der Heimat verschleppten Glaubensbrüder und -schwestern schreibt Jeremia in einem Brief:
5 Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; 6 vermehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet.7 Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn; denn wenn's ihr wohl geht, so geht's euch auch wohl.
Wohnungsbau, Landwirtschaft treiben, Familienplanung, Beten nicht nur für sich, sondern auch für die Babylonier – das ist Jeremias Programm für die Verschleppten in der Hauptstadt der Feinde. Unglaublich! Nicht jammern und Klagen, keinen Hass, keine Gewalt gegen die Unterdrücker?!
Es lohnt sich, die Aufforderung Jeremias einmal Wort für Wort unter die Lupe zu nehmen, auch für die bevorstehende Bundestagswahl. Suchet der Stadt Bestes!
Suchet … Wer sucht, steht auf, geht umher, versucht sich zu erinnern, schaut herum, denkt auch an die Zukunft … Suchen sollen wir! Nicht behaupten, wir wüssten schon sicher, was das Richtige wäre. Und am Ende des Suchens prüfen wir dann, verwerfen einiges und behalten das Gute als Leitstern für unsere Wahlentscheidung.
Dabei ist das Gute an einer Demokratie, dass jede/r suchen und dann entscheiden kann und soll. Danach ist das Suchen auch nicht ein für alle Mal vorbei, sondern wir können weitersuchen, prüfen und nach vier Jahren erneut entscheiden. Das Suchen hört nicht auf …
Und „suchet“ steht dort, nicht „such“! Mehrzahl! Man soll nicht allein suchen. Gemeinsam sollen wir uns auf den Weg nach der guten, nach der besten Lösung für unser Land machen. Wie gut, dass es Parteien gibt, Initiativen und Treffen mit anderen Menschen, mit denen man gemeinsam suchen, nachdenken und sprechen kann – z.B. darüber, was das Gute ist, das zu behalten sich lohnt, und was sich ändern muss, damit es besser werden kann.
Deshalb ist es auch wichtig, dass sich möglichst viele und möglichst unterschiedliche Menschen an dieser Suche nach dem Besten beteiligen. Wer sich heraushält, kann hinterher leicht sagen: „Die anderen, die da oben, die haben wieder nur für sich gesorgt!“ Demokratie bietet nicht nur die Chance, sich zu beteiligen, sie verpflichtet auch dazu. Dann braucht man auch hinterher nicht zu lamentieren.
Und was sollen wir suchen?
Der Stadt Bestes. Wie leicht ist es, wie schnell geht das, dass man den eigenen Vorteil sieht und ihn als das Beste für alle verkauft. Egoismus in sozialer Verkleidung. Nein, es geht nicht um mein Bestes, sondern um das Beste für alle, für das Land. Herauszufinden, was das Beste ist, das ist dieser Such- und Prüfprozess – und da wird sich auch zeigen, was egoistisch ist und was sozial, d.h. gut für alle ist.
Und was ist gerade gut genug – für mich?
Natürlich … das Beste! Genau. Da muss man anfangen. Beim Besten. Das Beste und alles wollen und zwar sofort. Damit geht es los. Dabei weiß jeder: das ist nicht zu haben.
Erst einmal groß denken – und dann die Zugeständnisse machen: an die Finanzlage, an die Interessen anderer Menschen im Land und auch jenseits unserer Grenzen. Denn – wie gesagt – alles hängt mit allem zusammen in dieser globalisierten Welt.
Das Zugeständnis, das Entgegenkommen anderen gegenüber, der teilweise Verzicht, damit für alle wenigstens etwas, das Zweit- oder Drittbeste bleibt – das ist das Wesen der Demokratie.
Jesus hat das genannt: Du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst. Die Werbung gaukelt uns immer vor, dass für jeden das Beste in ausreichender Menge zur Verfügung steht. Das stimmt nicht. Diese Rechnung geht nicht auf – im Supermarkt nicht, im Staat nicht. Gehen wir vom Besten aus und suchen dann nach dem Guten für uns. Dann ist schon viel gewonnen. Denn besser als das Bestehende wird es allemal!
„Suchet der Stadt Bestes“, das kann schon mal ein erster Maßstab für den Prüfprozess sein, zu dem uns die Jahreslosung in diesem Wahljahr aufruft. Dieser Prozess ist anstrengend. Er erfordert kritische Debatten und vielfältige Argumente. Jede/r von uns bringt seine Lebenserfahrungen, Hoffnungen und Meinungen in diesen Prozess ein. Dem sind zunächst Achtung und Respekt entgegenzubringen. Voraussetzung für einen erfolgreichen Prüfprozess im Sinne der Losung und des Jeremia-Wortes sind geduldiges Zuhören und Wahrhaftigkeit. Nur in so einem Klima können Problemlösungen entwickelt und das Vertrauen in den Staat gestärkt werden. Nur so haben wir eine Chance, das Gute zu erkennen und für die Menschen innerhalb und außerhalb unserer Grenzen umzusetzen.
Jesus sagt: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist! (Markus 12,17). Dieser Prüf- und Suchprozess und unsere Wahlbeteiligung sind etwas, was wir als Christen dem Staat, in dem wir leben, schuldig sind.
„Wir brauchen Sie alle!“ So hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier all die Wahlberechtigen in Deutschland angesprochen, … „Wir brauchen Sie alle!“, so der Bundespräsident und weiter: „Ihre Meinung zählt. Und deshalb bitte ich Sie: Gehen Sie wählen. Und wählen Sie in dem Bewusstsein, dass Ihre Stimme die entscheidende sein könnte. Schützen und stärken wir unsere Demokratie!“
Mich hat dieser Schluss seiner Rede beeindruckt: Demokratie heißt, dass meine Stimme zählt, so wie die Stimme eines jeden und einer jeden – jede einzelne Stimme zählt! Die gesellschaftliche Lage ist schwierig, das ist keine Frage.
Wie schwierig die Lage ist, macht die Entscheidung des Bundeskanzlers, die Misstrauensfrage zu stellen, und die Entscheidung des Bundespräsidenten, eine Neuwahl des Bundestages anzusetzen, mehr als deutlich. Jetzt liegt viel Verantwortung in der Hand der Wählenden, in jener Hand, mit der jede und jeder Einzelne die beiden Kreuze auf dem Wahlschein macht. Dazu braucht es nicht nur die Hand, sondern auch Herz und Verstand. Damit muss jede und jeder prüfen und entscheiden, welcher Person und welcher Partei die Stimme gegeben wird – diese Entscheidung fällt hoffentlich in dem Bewusstsein, dass jede Stimme die entscheidende sein könnte. Ziel der Wahl ist es doch, dass eine politische Gestaltungskraft die Mehrheit im deutschen Bundestag bekommt, die Deutschland und alle Menschen in Deutschland eine bessere Zukunft bringt. Um diese Entscheidung braucht es Maßstäbe. 250117 radio aktiv.pdf
Und diesen Maßstäben werden wir uns an den nächsten Freitagen bis zur Wahl noch genauer widmen.