Freitags 5nach6 - Pfingsten_ ein neuer Geist

10. Juni 2022

306 5nach6 10.06.2022_Pfingsten_ein neuer Geist     Ps 104

Pfingsten ist ja ein dynamisches Fest: der Heilige Geist bringt die Menschen auf Trab – in eine neue Richtung. Feuerzungen, große Worte, Massentaufen … Begeisterung.

Begeisterung – ein schönes Wort: Erfüllung mit einem neuen Geist. Was zunächst – wie das Füllen z.B. einer Sekt-Flasche - sehr passiv klingt, entwickelt – wie der Inhalt einer Sektflasche – erst ein Prickeln, dann entsteht Druck, der sich schließlich überschäumend nach außen entlädt.

Was ist das für ein Geist, der die Menschen immer wieder neu erfüllen will? Was gehört zu diesem Geist? Dazu müssen wir von Pfingsten erst einmal zu Weihnachten springen, und zwar zum Heiligabend 1968.

William Anders war mit dem Raumschiff Apollo 8 im Weltraum unterwegs und sah, wie sich die Erdkugel immer mehr in sein Blickfeld schob – Earthrise, Erdaufgang, nannte er das Foto, das er davon machte. In diesem Moment brach es aus ihm heraus: „Oh mein Gott! Seht euch dieses Bild an! Hier geht die Erde auf. Mann, ist das schön!“

Vermutlich stellte sich bei ihm ein Effekt ein, von dem viele Astronauten berichteten … als sie ihren Heimatplaneten inmitten der endlosen Weite des Alls betrachteten. Ein neues Bewusstsein für die Zerbrechlichkeit der Erde, aber auch ein Gefühl der Verbundenheit habe sich bei ihnen eingestellt. (Andere Zeiten e.V., Anders handeln – Schöpfung, 2/22, Hamburg, 2022, S.10)

Ja, auch hier spannt sich unsichtbar der Regenbogen Gottes, der verspricht: Zusage „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. (1Mose 8,22)“.

Wie sagte der Astronaut William Anders doch noch: „Oh mein Gott! Seht euch dieses Bild an! Hier geht die Erde auf. Mann, ist das schön!“

Dieser Ausruf hat einen Adressaten, er ist an Gott gerichtet. Der Hamburger Theologe Johann Hinrich Claussen schreibt (J.H.Claussen, Vom Staunen zur Ehrfurcht – und dann zur Verantwortung?, in: Andere Zeiten e.V., Anders handeln – Schöpfung, 2/22, Hamburg, S.53 – Zitate kursiv):

Das grundlegende Empfinden des Schöpfungsglaubens ist Dankbarkeit … Sie quillt aus der Einsicht, dass mein Dasein sich nicht eigener Anstrengung verdankt … ich bin mir selbst ein Wunder … Ich verdanke mich der kreativen, der schöpferischen Kraft eines ganz anderen.

Diese Haltung ist ein Merkmal jenes Geistes von Pfingsten.

Diese Dankbarkeit entfaltet sich zu einem allumfassenden Staunen, wenn ich nicht nur auf mein kleines Leben schaue, sondern das Leben in seinen schier unendlichen Formen und Farben betrachte.

Fast zu einem Erschrecken wird mein Staunen, wenn ich die engen Grenzen meines alltäglichen Denkens überschreite und die Unendlichkeit des Kosmos zumindest zu erahnen versuche. Das flößt mir ein Gefühl ein, das ich kaum zu nennen vermag. Am nächsten kommt ihm der altertümliche Ausdruck „Ehrfurcht“ … Im Angesicht der Schöpfung fühle ich mich klein, ohne mich dafür zu schämen oder Angst zu haben (UG). Ehrfurcht vor dem Leben hat Albert Schweitzer das genannt.

Damit haben wir ein zweites Merkmal jenes Geistes von Pfingsten.

Wie von selbst führt das Empfinden staunender Dankbarkeit so zu einem Gefühl von Verantwortung für das Geschenk des Lebens und der Solidarität, der aktiven, tätigen Verbundenheit mit diesem Schöpfungsgeschenk.

Verantwortung – ein drittes Merkmal jenes Geistes von Pfingsten.

Ich bin nicht allein ... Ich bin Teil eines Ganzen, untrennbar verbunden mit dem Leben unzähliger anderer Geschöpfe. Ohne sie würde ich die nächste Sekunde nicht überleben. Aber es ist mehr als Eigennutz, wenn ich darauf achte, anderem Leben keinen unnötigen Schaden zuzufügen, sondern es in seiner Entfaltung zu fördern. Denn ich bin fähig, Mitleid zu empfinden … Darin zeigt sich, dass das innerste Prinzip, die innerste Kraft (UG) unseres Lebens die Liebe ist.

Ein viertes Merkmal des Pfingst-Geistes ist also die Liebe.

Doch diese Liebe ist keineswegs blind oder naiv. Sie sieht, dass die Schöpfung keine heile Welt ist. In ihr wird auch gejagt, getötet und gefressen. Das ist die andere Seite von Albert Schweitzers Erkenntnis: Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will. Leben ist immer auch Leben auf Kosten von anderem Leben.

Auf diese bittere, kaum erträgliche Einsicht antwortet der Schöpfungsglaube … indem er das Handeln danach ausrichtet, der Schöpfung zu dienen.

Damit sind wir bei einem fünften Merkmal – der Pfingstgeist ist ein Anstifter zum liebevollen Handeln.

Dennoch wird niemand bestreiten, dass der Schöpfungsglaube an dem brutal eigennützigen Handeln des Menschen zu verzweifeln droht. Angesichts der Ausnutzung und Zerstörung der Schöpfung verkehrt sich das Grundempfinden von Dankbarkeit, Staunen und Ehrfurcht in Reue, in den Schmerz darüber, dass wir selbst oft genug zu Feinden des Lebens geworden sind und immer wieder werden (UG). Darüber könnten wir in tiefe Resignation und Verzweiflung verfallen.

Doch zum Schöpfungsglauben gehört – als weiteres Merkmal des Geistes von Pfingsten - auch die Hoffnung, dass der Regenbogen von der Verheißung des Lebens sich auch über unser Scheitern spannt, dass die Geschichte des Kosmos nicht allein in unserer Hand liegt.

Immer wieder neu können wir umkehren und uns auf den Ruf einlassen, teilzuhaben am Schöpfungshandeln dessen, der Grund und Ziel unseres Lebens ist. Schon die große Schöpfungserzählung des AT gibt dem Menschen den Auftrag, die Erde zu bebauen und zu bewahren.  

Dankbarkeit, Staunen, Verantwortung, Liebe, Handeln, Hoffnung … das und noch viel mehr will der Geist von Pfingsten in uns wachrufen. Er muss es tatsächlich nur wachrufen, denn die Möglichkeiten dazu sind in uns angelegt.

Bewahren wir uns die Astronauten-Momente, in denen wir dankbar denken und hoffentlich auch sagen: „Oh mein Gott! … ist das schön!“

Staunen wir über das vielfältige Geschenk des Lebens.

Reagieren wir, antworten wir auf dieses Geschenk des Lebens, in dem wir unsere Ver-Antwortung für das Leben erkennen und wahrnehmen.

Erinnern wir uns an das Lied von der Liebe (EG 665): Liebe ist nicht nur ein Wort, Liebe, das sind Worte und Taten.

Und die Hoffnung? Hoffnung ist wie Löwenzahn: Sie kann überall wachsen, auch wenn die Lücke noch so klein ist. Der Löwenzahn wurde in der christlichen Tradition verehrt. Bevor die Osterglocken ihm den Rang streitig machten, war er „die“ Osterblume. Sein leuchtendes Sonnengelb stand für die unbesiegbare aufgehende Sonne Jesus Christus. Die Verwandlung der absterbenden Blütenblätter zum federigen Pusteblumenschopf erzählte anschaulich von der Auferstehung. Die Liebe Gottes überflutet die Welt wie der fallschirmartige Pusteblumensamen. 

Seitdem blüht den Menschen die Hoffnung. Sie drängt sich in die kleinste Ritze, sie sprengt Asphalt und sprenkelt Trümmerlandschaften mit Sonnenlicht. 

Hoffnung ist wie ein Wildkraut, das auch ohne Dünger und Stützstäbe wuchert.