Freitags 5nach6 - In Ängsten und wir leben 2

09. August 2024

390_5nach6_09.08.24_In Ängsten und wir leben                    Ps 111

Sie erinnern sich? „Wir leben in finsteren Zeiten!“, hatte ich beim letzten Mal gesagt. Dem hatte ich gegenübergestellt die Ansage, die Paulus an die junge christliche Gemeinde in der weltläufigen Hafenstadt Ephesus macht: „Wandelt als Kinder des Lichts!“ (Eph 5, 8b)

Es scheint, als fühlen sich heute viele Menschen eher als „Kinder der Dunkelheit“ – erschöpft, verängstigt, unglücklich!

Es strömt im Vergleich zu früheren Generationen heute ein Vielfaches an Informationen …, an … Nachrichten, an persönlichen oder gesellschaftlichen Forderungen auf uns ein – …, auf die wir reagieren sollen, …: Wir sollen gesünder leben, mehr Sport treiben, effektiver entspannen, uns lebenslang weiterbilden, Beziehungen pflegen, für das Alter vorsorgen, unsere Finanzen optimieren, unsere Sprachgewohnheiten überdenken, bei der Arbeit erfolgreich sein, in der Rente aktiv. Wir sollen weniger fliegen, weniger Auto fahren, weniger Fleisch essen, weniger Billigklamotten kaufen, weniger Lebensmittel verschwenden. Wir sollen auf …, Werbekampagnen … reagieren, auf Fake News und auf echte Nachrichten. Wir sollen unser Herz nicht verschließen vor der Not der anderen, vor den Bildern von Krieg und Zerstörung, vor Unrecht und Willkür. Wir sollen die Demokratie verteidigen und nicht nur in unserer Blase leben. Wir sollen die Welt sehen und das Leben genießen und gleichzeitig sollen wir die Welt nicht kaputtmachen und das Leben nicht ausquetschen. Wir sollen Kontakt halten mit Freunden und Verwandten, aber uns nicht verlieren in Kurzmitteilungen und geteilten Fotos. Wir sollen uns informieren über das, was wichtig ist, …, aber nicht ertrinken in der Informationsflut.
Aus: Andere Zeiten e.V., anders handeln Newsletter 33: Wo sind die Grenzen unserer Verantwortung? 21.04.2024

Und unser ehemaliger Bundespräsident Gauck schreibt:

Wir leben in Zeiten von Polykrisen (vielfachen K.), Krisen, die nicht aufeinanderfolgen, sondern sich überschneiden, manchmal gegenseitig verstärken und uns teils auf erschreckende Weise mit den Versäumnissen unserer Politik konfrontieren.
Infolge der Corona-Pandemie wurde uns … bewusst, in welch hohem Maße wir wirtschaftlich … von China abhängig sind. Infolge der russischen Invasion in die Ukraine erkannten wir erschrocken, dass die europäische Sicherheit ernsthaft gefährdet ist und Deutschland seine Verteidigungsbereitschaft sträflich vernachlässigt hat. Gleichzeitig ist Amerika in seiner Rolle als Führungsmacht einer liberalen (freiheitlichen), regelbasierten (auf Regeln beruhenden) Ordnung geschwächt, ….
Die alte Weltordnung, die wir über Jahrzehnte kannten, existiert so nicht mehr, eine neue ist noch nicht in Sicht. In der Übergangszeit müssen wir mit Instabilität leben lernen.

(Dazu) … gesellen sich weitere, ungelöste Probleme. Wie kann es den Demokratien gelingen, den globalen Klimawandel zu verlangsamen? Wie kann dem Terrorismus Einhalt geboten werden? Werden wir die Folgen der … künstlichen Intelligenz meistern? Gelingt es, Migration (Zuwanderung) sinnvoll zu regeln? Ist unsere Gesellschaft zukunftstauglich? Tun wir genug, um zu verhindern, dass weitere Teile der Gesellschaft aus Enttäuschung und Wut … nach Antworten bei populistischen oder sogar rechtsradikalen Bewegungen suchen? … (Aus: Joachim Gauck, Wir sind immer noch das Volk, in: DIE ZEIT, 14.03.24, S.5)

Müde. Alle sind ständig müde und die Müdigkeit nimmt immer neue Formen an. Es gibt die Ukraine-Müdigkeit (nicht schon wieder Waffenlieferungsdebatten), die Klimamüdigkeit (ist doch eh alles zu spät), die Mitleidsmüdigkeit (nach den Opfern Putins jetzt auch die im Nahen Osten), die Demokratiemüdigkeit (weil das Aushandeln anstrengender ist als blindlings folgen), Nachrichtenmüdigkeit (ich kann es nicht mehr hören). Das Zeitalter der Polykrise ist auch eines der … Polyerschöpfung. Alles überfordert, und zwar so gut wie jeden. Die Erwachsenen und die Kinder, Lehrer und Pflegekräfte, Lokführer und Bahnfahrer und Bauern … Wir leben, so scheint es, in einer Erschöpfungsgesellschaft.
Aus: A.Agarwala, M.Probst, Aufwachen!, in: DIE ZEIT; 15.02.24, S.27

Auf tagesschau.de war Folgendes zu lesen:

… junge Erwachsene sind nicht mehr so glücklich wie Menschen im hohen Alter ... Stattdessen ist die Zeit der Jugend und des jungen Erwachsenenalters geprägt von Ängstlichkeit, Unsicherheit und wenig Zuversicht für die Zukunft …" Denken wir an die globalen (weltweiten) Krisen, …, denken wir an Kriege, denken wir aber auch an den Verlust von Werten, auch an die Bedrohung von Demokratie, an die Bedrohung der persönlichen Sicherheit, dazu der Anteil der sozialen Medien." Dadurch werde die Welt insgesamt zunehmend als feindselig erlebt, ... Das Zutrauen und gute Gefühl für die Welt sei bei Jugendlichen heute schon im Vorhinein weniger vorhanden. D.h., dass junge Erwachsene schon aus ihrer Kindheit zu wenig Glücksgefühle und Hoffnung mitbringen.

Und der Glücksatlas 2023 bestätigt diese Befunde ("Glücksatlas 2023": Schleswig-Holsteiner sind zufriedenste Deutsche | tagesschau.de):

Verantwortlich dafür macht er Krisen wie den Ukraine-Krieg oder die Inflation: "Das hat die Menschen aus dem Takt gebracht." …

Mit der Pandemie sei ein deutlicher Anstieg der Nichtzufriedenen zu beobachten… War dies … vorher eine kleine Minderheit von 8 %, … liegt er jetzt … bei mehr als 10 %.

Auch das emotionale Wohlbefinden habe ab- und Ängste hätten dafür zugenommen. Die Zahl der Menschen ohne Ängste sei deutlich zurückgegangen. … Aber besonders Jugendliche litten unter allgemeinen Ängsten.

Wie auch in den Vorjahren fühlt sich die Mehrzahl der Deutschen sicher vor Kriminalität (58 % 2023 vs. 60 % 2022), ... Gleichzeitig fühlen sich allerdings auch 39 % wenig oder überhaupt nicht sicher vor Kriminalität (39 % 2023 vs. 36 % 2022).

Also ca. jeder Zweite kennt Angst und Unsicherheit als ein beherrschendes Lebensgefühl.

Wie ist das bei uns?

Trifft das auch auf uns zu oder ist es eher wie in jenem Kirchenlied: In Ängsten die einen, und die andern leben, und die andern leben, und sie leben nicht schlecht (T: Günter Hildebrandt, M: Peter Janssens).

Wenn ja, warum ist das so? Was gibt den Hoffnungsvollen und Furchtlosen Hoffnung und Zuversicht? Sind wir einfach nur blind für die beängstigende Wirklichkeit? Oder sind wir „resilient“, wie das Modewort in Soziologie und Psychologie heißt? Resilienz meint soviel wie „Widerstandskraft gegen belastende und beängstigende Lebensumstände“.

Es scheint, dass Jesus mit seiner Sicht auf uns Menschen sehr realistisch gedacht hat – weit über seine Zeit hinaus. „In der Welt habt ihr Angst“, sagt er. Doch er fährt fort: „Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden, damit ihr in mir Frieden habt.“ (Joh 16,33). Und um unsere Schwachheit und Erschöpfung weiß Paulus. Er schreibt (2Kor 12,9): „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!“

Beide – Jesus wie Paulus – kennen als schriftkundige Juden das AT bestens und vertrauen auf die Zusage Gottes im Buch des Propheten Jesaja (41,10): Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir! Hab keine Angst, denn ich bin dein Gott! Ich mache dich stark und helfe dir. Ich halte dich fest mit meiner rechten Hand, die für Gerechtigkeit sorgt.

Helfen Glaube an Gott und sein Beistandsversprechen gegen Angst und Erschöpfung? Macht Glaube resilient, also widerstandsfähig?

Expertinnen und Experten, die sich mit dem Zusammenhang von Religiosität und Resilienz befassen, also mit psychischer Widerstandsfähigkeit – wie Constantin Klein sagen:

„Wenn wir uns angucken, was es dazu in den vergangenen 30 Jahren an Forschungsbefunden weltweit gibt, kann man sagen: Ja, Religiosität und Spiritualität tragen zu Resilienz bei, können dazu beitragen, dass es Menschen besser gelingt, mit Belastungen, mit Krisen und Trauma-Erfahrungen zurechtzukommen.“ (Widerstandsfähigkeit in der Coronakrise - „Ein stark gelebter Glaube hilft“ (deutschlandfunk.de) Religiosität und Spiritualität tragen zu Resilienz bei“)

In der Bibel findet sich viel, was für die Förderung der Resilienz bedeutsam erscheinen:

Zunächst dienen biblische Geschichten mit ihren Verheißungen der Stärkung des Vertrauens in Gott und in die Zukunft. Jeder Regenbogen erinnert uns an die Noah Er-zählungen, in denen Gott zum Schluss verspricht: Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht (1Mos 8,22).

Geschichten über die Bewahrung durch Gott vermitteln ein Beistandsgefühl und Anerkennung durch Gott. So können biblische Geschichten Halt, Vergewisserung und Ermutigung geben, auch in Zeiten der Unsicherheit.  Ein herausragendes Beispiel sind die Erzählungen von der Befreiung der Israeliten aus ägyptischer Unterdrückung.

 

Stärkend ist zudem die Erfahrung, dass Misslingen überwunden, Versäumnisse und Fehler verziehen werden und Neubeginn möglich ist. Dazu können biblische Geschichten, insbesondere Vergebungsgeschichten, einen wichtigen Beitrag leisten. Natürlich fällt dazu sofort das Gleichnis vom verlorenen Sohn ein.

In den Psalmen ist eine Glaubens- und Lebenshaltung erkennbar, die dem Resilienzbegriff sehr nahekommt. Besondere Beachtung verdienen Klagepsalmen, in denen inmitten von Not, Angst und Erschöpfung Sprachlosigkeit überwunden wird. Dadurch, dass man eigene Nöte bzw. Krisenerfahrungen zur Sprache bringt, kann man sich ein Stück weit davon entfernen, sie aus einer gewissen Entfernung betrachten und bedenken, ohne sich davon überwältigen zu lassen. Bekanntestes Beispiel dafür ist  Ps 23, der die Bedrohung aber eben auch die Bewahrung kennt. (vgl. Resilienz und Religion - www.die-bibel.de)

Gebet (in Anlehnung an EG 595 Fürchte dich nicht)

595:1  Fürchte dich nicht, gefangen in deiner Angst. Mit ihr lebst du.

Auch wenn Angst mich umfängt – Gott, hilf mir, in ihr zu bestehen

595:2  Fürchte dich nicht, getragen von seinem Wort. Von ihm lebst du.

Auch wenn Angst mich umfängt – Gott, hilf mir, auf deine Worte der Liebe und des Beistands zu vertrauen.

595:3  Fürchte dich nicht, gesandt in den neuen Tag. Für ihn lebst du.

Auch wenn Angst mich umfängt – Gott, hilf mir, zuversichtlich in den neuen Tag zu gehen.

 

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St. Johannis Königsdahlum