Freitags 5nach6 - Erntedank _Welche Ernte 2022

07. Oktober 2022

320 5nach6 07.10.2022_Erntedank_Welche Ernte 2022                             Ps 103

Am Sonntag haben wir noch Erntedank gefeiert. Und jetzt dieses Wort Jesu aus der Bergpredigt (Mt 6, 25ff):

Macht euch keine Sorgen um euer Leben – was ihr essen oder trinken sollt, oder um euren Körper – was ihr anziehen sollt. Ist das Leben nicht mehr als Essen und Trinken? Und ist der Körper nicht mehr als Kleidung?26Seht euch die Vögel an! Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln keine Vorräte in Scheunen. Trotzdem ernährt sie euer Vater im Himmel. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie? 27Wer von euch kann dadurch, dass er sich Sorgen macht, sein Leben nur um eine Stunde verlängern?
 

Oh, was ist das? Kein Säen, kein Ernten – und doch leben? Ein Lob des Müßiggangs oder gar der Faulheit? Keine Leistung erbringen, keine Erträge schaffen und doch satt werden? Ist Jesus für das bedingungslose Grundeinkommen? Sollen unsere Landwirte, sollen wir in unseren Gärten das Ackern und Pflanzen einstellen?
 

Wachstum als das Alleinseligmachende zu betrachten, ist sicher ein Problem. Das Arbeiten und das Erzielen von Erträgen – oft um jeden Preis – in Frage zu stellen, ist gewiss bedenkenswert. Und die Diskussion um das Streben nach Wachstum ist längst noch nicht ausgestanden. Alle wissen, dass es so, wie es bisher war, nicht weitergehen kann.

Politiker/innen, Wissenschaftler/innen stellen dem Begriff „Wachstum“ heute Begriffe wie „nachhaltig“, „grün“ oder „qualitativ“ voran. Andere sprechen sogar vom Nullwachstum oder vom „Weniger ist mehr“. Das sind Diskussionen, die zu führen sind. Dummerweise ist die Zeit dafür denkbar knapp …

Ich denke, Jesus wollte mit seinem Vergleich provozieren. Er hat sicher nichts gegen das Sorgen um das tägliche Brot gehabt. Dazu lagen ihm die Armen und die Menschen in Not viel zu sehr am Herzen. Mit dem Gleichnis vom reichen Kornbauern hat er die Provokation auf die Spitze getrieben – und sie wirkt bis heute (Lk 12, 15 – 21 i.A.)!

16 Jesus erzählte ein Gleichnis: »Die Felder eines reichen Grundbesitzers brachten eine besonders gute Ernte.17Da überlegte er: ›Was soll ich tun? Ich habe nicht genug Platz, um meine Ernte zu lagern.‹18Schließlich sagte er sich: ›… Ich reiße meine Scheunen ab und baue größere. Dort werde ich … alle meine Vorräte lagern.19Dann kann ich mir sagen: Nun hast du riesige Vorräte, ... Gönn dir Ruhe. Iss, trink und genieße das Leben!‹ 20Aber Gott sagte zu ihm: ›Du Narr! Noch in dieser Nacht werde ich dein Leben von dir zurückfordern. Wem gehört dann das, was du angesammelt hast?‹21So geht es dem, der für sich selbst Schätze anhäuft, aber bei Gott nichts besitzt.«

Ich kann mich gut an Landwirte erinnern, die durch dieses Gleichnis ihren Berufsstand und sich selbst in Frage gestellt sahen! Das lag unter anderen daran, dass Jesu Vorbemerkung zu dem Gleichnis bisweilen nicht mitgelesen wird. Sie lautet:

»Gebt acht! Hütet euch vor jeder Art von Habgier. Denn auch wenn jemand im Überfluss lebt, so hängt sein Leben nicht von seinem Besitz ab.«

 

Aha. Es geht also nicht um eine Grundsatzkritik der Landwirte. Es geht um Habgier, um das Arbeiten, das nur das „Immer-mehr“ kennt und nicht dafür zurückschreckt, die eigene Arbeitskraft, die Arbeitskraft anderer und die Natur schamlos und unerträglich auszubeuten. Es geht um das andere, das uns die Vögel am Himmel zeigen - die natürlich auch Würmer suchen! Es geht um das, was ein Schatz in den Augen Gottes ist.

Es geht um das, was Jesus mit folgendem Satz andeutet (Mt 4,4):

»… ›Der Mensch lebt nicht nur von Brot. Nein, vielmehr lebt er von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt.‹«

Das erinnert mich an Frederick. Kennen Sie Frederick? Frederick ist eine Maus, eine Bilderbuch-Maus (vgl. L.Lionni, Frederick, Köln, 1967):

Die Feldmaus Frederick lebt mit ihrer Familie in einer alten Steinmauer auf einem verlassenen Bauernhof. Alle sammeln Vorräte für den nahenden Winter, nur Frederick sitzt scheinbar untätig herum. Auf die Fragen seiner Familie, warum er nicht mithelfe, antwortet er, dass er für kalte, graue und lange Wintertage Sonnenstrahlen, Farben und Wörter sammele. Als der Winter kommt, leben die Feldmäuse von den gesammelten Vorräten. Der Winter ist jedoch lang, und die Vorräte gehen allmählich zur Neige. Jetzt wird Frederick nach seinen Vorräten gefragt – und er teilt mit seiner Familie die gesammelten Sonnenstrahlen, um sie zu wärmen, die Farben, um den Winter weniger grau und trist sein zu lassen, und die Worte in Form eines Gedichtes. (Wikipedia)

Erinnerungen bewahren in Bildern, Dingen, Gedichten und Erzählungen – das ist auch „Ernte“!  Nicht ohne Grund kennt unsere Sprache Redewendungen wie „in Erinnerungen leben“, „von seinen Erfahrungen oder Erinnerungen zehren“.

 

Musizieren und Singen (am besten zusammen mit anderen) – das ist auch „Ernte“!
Im Kleinen erleben wir das hier bei unserem „Chor auf Zeit“ hier in Königsdahlum oder bei den kulturellen Aktivitäten in und um Bockenem.
 

Gehen Sie einmal mit wachen Sinnen auf Schatzsuche durch ihre Zimmer! Sie werden Staunen, was sie alles ernten können – ohne dass sie eine große Scheune benötigen.
 

Die Journalistin Sabine Hennig schreibt davon (dies., Schatzsammler, in: F.Hofmann u.a., Alles in Allem, Hamburg, 2019, S.92):

 

Schatzsammler. … Wählen Sie möglichst eine Zeit, in der Sie ungestört sind … Räumen Sie einen Tisch frei für alles, was Sie finden werden. Streifen Sie dann durch Ihre Wohnung. Machen Sie Halt vor dem Regal, lassen Sie Ihren Blick über die Buchrücken streifen. Zu welchem Buch fühlen Sie sich besonders hingezogen … Legen Sie es auf den Tisch.
 

Gehen Sie so auch Ihre Musiksammlung, den Kleiderschrank und die Vitrine für Vasen und Geschirr durch. Was sind Ihre Lieblingsstücke? Welches Ereignis, welche Menschen verbinden Sie damit?
 

Haben Sie Briefe, Postkarten aufgehoben. Steht da etwas, was Ihnen jemand mitgebracht hat? Was ist mit den Fotos?! Und wenn Sie ein Tagebuch führen, blättern Sie einmal darin.
 

Betrachten Sie Ihre gesammelten Schätze auf dem Tisch. Wenn Sie mögen … schreiben Sie Erinnerungen auf. Vielleicht entsteht plötzlich der Wunsch, jemanden anzurufen oder zu besuchen, an den Sie lange nicht mehr gedacht haben … Im Laufe der Übung wird Ihnen bewusst, wie viel Liebe um Sie ist …
 

Ja, das kann schon ein rechtes Erntedankfest sein!
 

Aus dieser Dankbarkeit kann eine wichtige Einsicht wachsen: Bei jener Schatzsuche werde ich finden, was ich selber geschaffen habe – oder andere für mich geschaffen haben. Und auch die Ernte auf dem Acker und im Garten kann ich als Ergebnis meiner Mühe betrachten. Das ist es – auch. Aber da ist noch mehr, was weder ich noch andere in der Hand haben.
 

Aus dieser Erkenntnis heraus spricht der Beter von Ps 103, 2: Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.
 

Der Priester im 3. Buch Mose, 25,23 rückt die Stellung des Menschen in diesem Sinne noch einmal zurecht: „(Gott spricht:) … das Land gehört mir und ihr seid Fremdlinge und Gäste bei mir.
 

Wir sind Fremdlinge und Gäste zugleich bei unserem Gott.
 

Fremdlinge sind wir, weil Gott uns trotz aller Nähe immer auch fremd bleibt – und wir ihn sicherlich mit unserem Denken und Handeln immer wieder be“fremd“en, enttäuschen, als seine Geschöpfe fremd und unkenntlich werden, uns von dem, worauf wir als Schöpfungspartner eigentlich angelegt sind, immer wieder entfernen.
 

Und dennoch sind wir seine Gäste auf dieser Erde, die er immer wieder gastfreundlich aufnimmt und beschenkt. Verhalten wir uns also wie Gäste …
 

In diesem Sinne scheinen mir folgende Strophen aus „Nun steht in Laub und Blüte“ (EG 641) als Gebet geeignet:
 

3. Wir leben, Herr, noch immer vom Segen der Natur.
Licht, Luft und Blütenschimmer sind deiner Hände Spur.
Wer Augen hat, zu sehen, ein Herz, was staunen kann,
der muss in Ehrfurcht stehen und betet mit uns an.
 

4. Wir wollen gut verwalten, was Gott uns anvertraut,
verantwortlich gestalten, was unsre Zukunft baut.
Herr, lass uns nur nicht fallen in Blindheit und Gericht.
Erhalte uns und allen des Lebens Gleichgewicht.