Freitags 5nach6 - Andacht: Noah und der Klimawandel

24. September 2021

5nach6_24.09.21_Noah und der Klimawandel         Ps 104

Quelle: Predigtreihe Fugmann „Noah und der Klimawandel“, in: Gottesdienstinstitut EKLB, Nürnberg, 2021 - Übernahmen/Zitate kursiv 

Am Sonntag ist Bundestagswahl. Ob das, was wir in den letzten Wochen erlebt haben, Wahlkampf oder eher Wahlkrampf war, das muss jeder für sich entscheiden. Genauso, wie jede und jeder am Sonntag entscheiden muss, wo sie ihr / er sein Kreuzchen setzt.

Mit den Fluten, die im Juli Süd-, Südwest- und Westdeutschland heimgesucht haben, hat sich ein Thema für unsere Zukunft unübersehbar in den Vordergrund gespielt: Der Klimawandel. Merkwürdig nur, wie die Parteien damit umgehen. Die einen sagen: „Gibt’s gar nicht!“. Andere sagen: „Naja, unsere Ingenieure und die Wirtschaft werden es schon richten.“ Wieder andere sprechen von revolutionären Änderungen, die nötig sind.

In der Klimawissenschaft ist seit Jahrzehnten klar, dass sich unsere Atmosphäre durch die Freisetzung von Treibhausgasen … immer weiter erwärmt. …

Was das für uns im Landkreis Hildesheim bedeutet, hat die Hildesheimer Allgemeine Zeitung (21.07.21, S.16) einmal herausgearbeitet: Die Zahl der Tage mit mehr als 30° steigt um etwa 3. Die Zahl der Tage mit mehr als 25° steigt um 12. Zugleich würde es seltener frieren: An 37 Tagen weniger würde das Thermometer unter null Grad fallen“. Zugleich rechnen die Forscher/innen „mit deutlich mehr Niederschlägen“ – 6% mehr im Mittel. „Das Problem mit Niederschlägen ist … Es wird wahrscheinlicher, dass es immer längere Trockenperioden gibt, dass andererseits aber öfter sehr viel Regen in sehr kurzer Zeit fällt, was extreme Überschwemmungen einerseits und Probleme mit der Wasserversorgung andererseits zur Folge haben kann.“

Und dann sind da noch die weitreichenden sozialen Folgen des Klimawandels: Immer mehr Menschen aus heißen, trockenen Gegenden werden versuchen, in fruchtbarere, bereits jetzt z.T. recht dicht besiedelte Gebiete zu ziehen. Daraus können erhebliche soziale Spannungen erwachsen ... Aus dieser gefährlichen Gemengelage kann Misstrauen gegenüber der Politik werden, kann die Demokratie zunehmend in Frage gestellt werden.

Viele empfinden den Klimawandel dabei als eine kaum greifbare Bedrohung. Wie soll man auch etwas bekämpfen, das man nicht (oder noch nicht) richtig wahrnehmen kann? Hinzu kommt … ein Gefühl der Ohnmacht: Was bringt es, wenn ich mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zum Einkaufen fahre? Wenn es denn überhaupt möglich ist …

Nun reagieren Menschen auf den drohenden Klimawandel sehr unterschiedlich:

Manche beschließen, dass sie sich aktiv für den Klimaschutz engagieren wollen, ... Sie demonstrieren, … pflegen selbst einen möglichst klimaschonenden Lebensstil, essen wenig Fleisch und fahren Fahrrad, Bus und Bahn.     
 

Einerseits ist es vorbildlich, wenn sich Menschen für eine gute Sache einsetzen. Andererseits wird es immer dort heikel, wo sich Menschen selbst zu den „Guten“ zählen.

Wenn uns die Bibel eine Sache über das Wesen des Menschen lehrt, dann dies: … Alles, was wir als Menschen tun, ist Stückwerk, selbst wenn wir die besten Absichten haben. Auch „unser Wissen ist Stückwerk“, wie der Apostel Paulus (in 1 Kor 13,9) schreibt. … Der Einsatz für den Klimaschutz ist eine gute Sache, solange wir uns unserer Unzulänglichkeit bewusst sind und nicht auf andere herabsehen, nur weil sie vielleicht anders mit einem Problem umgehen als wir.

Neben denen, die sich aktiv engagieren, wird es in Zukunft wohl auch viele Menschen geben, die vom Thema Klimawandel seelisch niedergedrückt und zermürbt werden, die sich für den Klimawandel schuldig und gleichzeitig ohnmächtig fühlen. …

Andere wiederum werden keine Schuld empfinden, sondern aggressiv werden, um diese Schuldgefühle gar nicht erst an sich heranzulassen. Sie werden nach den „Schuldigen“ suchen, den Mächtigen, den Eliten, den Autofahrern, den Vielfliegern, um sich selbst davon zu überzeugen, dass sie das Recht haben, zu den Überlebenden zu zählen.

Wie kann uns der christliche Glaube in diesen Zeiten eine Hilfe sein? Drei Antworten möchte ich versuchen:

Zum Ersten hilft uns der Glaube, indem er uns ermutigt, die Wirklichkeit wahrzunehmen, statt die Dinge schönzureden. So hat Jesus einmal gesagt: „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8,32). Und die Wahrheit lautet in diesem Fall: Sollte sich nicht ganz schnell sehr viel auf globaler Ebene ändern (und es ist kaum davon auszugehen, dass das noch rechtzeitig geschieht), ist der Klimawandel nicht mehr aufzuhalten. Es geht höchstwahrscheinlich nicht mehr darum, den Klimawandel zu verhindern, sondern nur noch darum, ihn zu verlangsamen und seine schädlichen Auswirkungen abzumildern, also auf Brän-de, Überschwemmungen und Geflüchtete vorbereitet zu sein und die Sozialsysteme und die Demokratie zu stärken.

Zum Zweiten hilft uns der Glaube, indem er uns das große Ganze sehen lässt, …

Die große Erzählung von der Schöpfung am Anfang unserer Bibel entfaltet in bildhafter Sprache ganz wesentliche Erkenntnisse über die Welt und den Menschen: … der Text erzählt in der Geschichte von der Verführung durch die Schlange und dem Sündenfall von einer wichtigen Erkenntnis: wir Menschen neigen dazu, sinnvolle Regeln zu brechen, die zwar unserem eigenen Wohl dienen, uns aber nun gerade mal nicht in den Kram passen. Und dann stehlen wir uns gerne aus der Verantwortung …

Im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung des Johannes, wird wiederum vom Untergang der Welt in einer mythischen Endzeit erzählt. Aber auch hier geht es im Kern um wichtige Erkenntnisse über die Gegenwart und den Menschen: Wir erfahren, dass die Welt von Gott her nicht auf eine unbegrenzte Dauer angelegt ist, sondern enden wird. Und wir bekommen die Sünden des Menschen vorgeführt, allem voran seine Habgier: …

Zum Dritten hilft uns der Glaube, unsere eigene Verantwortung zu sehen. Hier kann uns die uralte Geschichte von der Sintflut weiterhelfen: Gott beschließt, die Menschheit wegen ihrer Bosheit zu vernichten. Lediglich Noah bekommt den Auftrag sich, seine Familie und Tierpaare in der Arche in Sicherheit zu bringen. Nach dem Ende der Flut verspricht …Gott …, er werde die Erde „hinfort nicht mehr […] verfluchen um der Menschen willen“. Gott findet sich gewissermaßen mit der Bosheit des Menschen ab und weigert sich, die restliche Schöpfung noch einmal … zu bestrafen.

Für uns bietet diese Erzählung einige nützliche Gedanken: Wir lernen zunächst, dass der Klimawandel bzw. die Vernichtung, die damit einhergeht, keine Strafe Gottes ist. Niemand als der Mensch alleine ist dafür verantwortlich. Wir brauchen gar keine zweite Sintflut als göttliche Strafe, wir lassen das Wasser dieses Mal selbst steigen … Und dann können wir dieser Geschichte noch eine zweite Lektion entnehmen: Bei einer globalen Katastrophe kommt alles auf die Vorbereitung an! Das ist weniger ein Trost als vielmehr ein gewaltiger Ansporn, endlich aktiv zu werden! …

Was nehmen wir also mit? Sehr wahrscheinlich wird sich das Klima in den nächsten Jahrzehnten erwärmen, werden Hitzewellen und Überschwemmungen zunehmen und immer mehr Menschen versuchen, zu uns nach Europa zu kommen. Weder Aggression noch Depression, weder blindwütiges Handeln noch Schuldzuweisungen werden das verhindern. Wenn das Klima gegen Ende des 21. Jahrhunderts gekippt sein sollte, werden die gemäßigten und höher gelegenen Regionen sicherlich weiterhin bewohnbar sein, zumindest für die Wohlhabenden, und wahrscheinlich werden die Reichen ihr Überleben auch zu verteidigen wissen. Wie es danach weitergeht, ist offen.

Als Christen/innen begreifen wir, dass wir als Menschen für die Schöpfung verantwortlich sind und uns nicht davor drücken und sie ihrer Verelendung überlassen dürfen. Wir müssen vorbereitet sein und wir dürfen keine Zeit vergeuden.

Aber uns ist auch bewusst, dass diese Welt ein Ende haben wird. Und bei allem, was uns angesichts der Zukunft Wut und Angst macht, glauben und hoffen wir, dass Gott seiner Schöpfung gnädig sein wird, selbst über den Tod hinaus. Gerade die Offenbarung des Johannes, die vom Ende der Welt spricht, endet mit der noch viel größeren Perspektive auf ein Leben bei Gott. Wir dürfen also darauf hoffen, dass Gott uns das Heil schenkt, das er für seine Schöpfung vorgesehen hat.

All den Menschen, denen wir unsere Stimme schon gegeben haben oder noch geben werden, vom Ortsrat bis zu den Abgeordneten des Bundestages, lege ich in dieser Lage ein Wort des Propheten Jeremia ans Herz: Suchet der Stadt Bestes (Jer 29,7).

Legen wir einmal Wort für Wort auf die Goldwaage:

Suchet – behauptet also nicht, ihr wüsstet ein für alle Mal Bescheid und alle anderen seien Idioten! Sucht nach der Wahrheit. Aber: Die Erkenntnisse der Wissenschaften erneuern sich manchmal im Wochentakt. Das hat uns nicht zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt. Man hat nicht ein für alle Mal Recht, das kann sich ändern. Suchen ist ein ständiger Prozess – mit Erfolgen und Misserfolgen, mit Irrtümern und Durchbrüchen behaftet.

Und sucht nicht allein, Jeremia spricht im Plural. Suchet – das ist ein gemeinsamer Weg und wohin der führt, ist am Anfang nicht klar. Ergebnisoffen nennt man so etwas.

Es ist wie neulich mit Bärbels verlorenem Fahrradschlüssel. Am Anfang der Suche weiß man nicht, ob man ihn findet oder nicht – und wenn ja, wo. Sucht man gemeinsam, hat man bessere Chancen. Und am Ende erlebt man auch noch Überraschungen.

Der Stadt Bestes – es geht nicht um das, was für mich oder meine Gruppe das Beste ist, es geht um das, was möglichst für alle, mindestens aber für die große Mehrheit das Beste ist.

Bei Jeremia ist das noch etwas Besonderes, wenn er von dem Besten für die Stadt spricht. Es geht um Babylon! Das ist nicht – wie Königsdahlum für uns – vertraute und geschätzte Heimat! Für Jeremia und seine Leute ist die Stadt Babylon feindliches Umfeld, sie sind nach dem verlorenen Krieg als Zwangsarbeiter und Menschen zweiter Klasse dorthin verschleppt. Wie weitsichtig von Jeremia! Er weiß: Nur wenn es auch denen gut geht, die nicht unbedingt auf meiner Seite stehen, kann es allen gut gehen.

Suchet der Stadt Bestes – naja. Das Beste werden wir durch unser Denken und Handeln nicht bekommen. Im demokratischen Wettstreit der Meinungen setzt sich oft nicht das Beste durch. Der Kompromiss, die Lösung, auf die sich nach Abstrichen vom Eigenen alle einigen können, ist das Wesen der Demokratie. Wenn man möglichst viele mit auf den Weg nehmen will, wird man wohl nur zweit- und drittbeste Lösungen bekommen.

Allerdings: Das Klima verhandelt nicht mit uns und sucht auch keine Kompromisse. Nicht das Klima ist in der Krise, wir sind es. Und eigentlich müssen wir nicht das Klima schützen – Klima wird es immer geben – wir müssen uns schützen vor einem Klima, das uns gefährdet, wenn wir es in bestimmter Weise beeinflussen.

 

Gebet (nach: Klaus Eulenberger, in: Neues Evangelisches Pastorale, Gütersloh, 2016, S.126):

Gott, du weißt, was wir brauchen:
Worte des Lebens, die nicht belanglos sind,
den Trost, der uns annimmt, ermutigt und weiterbringt,
eine Hand, die ruhig unsere Angst wegstreicht,
ein hörendes Ohr, in das wir unsere Sorgen flüstern können,
ein Feuer, das Schuldscheine verbrennt,
ein Haus, in dem wir wohnen können.
Du weißt noch besser als wir, was wir brauchen.
Du bist uns näher, als wir selbst uns je nahe sein können.
Lass uns erfahren, was du über uns denkst,
damit wir unsere Wege finden und mutig werden, sie zu gehen.
Wege zur Bewahrung deiner guten Schöpfung für uns,
unsere Kinder und unsere Kindeskinder

Amen.