299.3 5nach6 04.03.2022_Es ist Krieg 2 Ps 23
In St.Johannis haben die Glocken nicht geläutet – weder am Mittwoch um 20 Uhr und auch nicht am Freitag um 12 Uhr. Als Kirchenvorsteher/in hatten wir uns entschieden. Ob wir richtig entschieden haben, wissen wir nicht. Das gehört zum Ehrenamt dazu: Entscheidungen zu fällen, ohne sicher zu sein, dass sie richtig sind. Wir können nur nach bestem Wissen und Gewissen und nur für St.Johannis entscheiden.
Warum haben wir nicht geläutet?
Das Geläut ist ein Zeichen eines „Senders“. Zeichen wirken, wenn auch die „Empfänger/innen“ sie verstehen. Dieses zeichenhafte Geläut hätten in Königsdahlum aus unserer Sicht nur wenige verstanden, weil sie keine Vorinformationen hatten. Es hätte zu viele einfach nur irritiert.
Wenn es freitags um 18 Uhr läutet, wissen die allermeisten Königsdahlumer/innen, dass in der Kirche 5nach6 stattfindet – auch die, die nicht hingehen. Sie sind hier, das ist gut.
Das hat nämlich einen Vorteil: Selbst wenn Sie das Geläut am Mittwochabend und Freitagmittag verstanden hätten, Sie wären mit ihren Fragen, Ängsten und Sorgen, ihrer Verzweiflung, vielleicht auch mit ihrer Wut allein zuhause gewesen. Das wäre eher nicht gut gewesen. Wir sind schon viel zu lange mit unseren Fragen, Ängsten und Sorgen, unserer Verzweiflung und Wut allein zuhause. Also heute bei 5nach6: Leute statt Geläut.
Unsere Gefühle in diesen unglückseligen Tagen führen uns vielleicht unter einem Fragebündel zusammen: Was ist mit dir, Gott? Wo bist du, Gott? Was machst du angesichts dieses Wahnsinns, Gott?
Als Mensch kann ich darauf nicht wirklich antworten. Als Mensch kann ich nur von meinen Vorstellungen, meinen menschlichen Vorstellungen von Gott reden – wohl wissend, dass ich Gott damit nicht einmal annähernd erfassen kann. Aber von meinen Vorstellungen will ich dennoch reden.
Was ist mit dir, Gott? Ich stelle mir vor, dass Gott zutiefst unglücklich ist. Und da wir uns in diesen Wochen auch besonders an das Kreuz erinnern, das Gott in Jesus getragen hat, kann ich auch sagen: Gott ist kreuzunglücklich. Er ist für mich kreuzunglücklich, weil Menschen, die er mit dieser Erde, mit Freiheit beschenkt hat, diese Freiheit missbrauchen, um diese Erde, speziell ukrainische Erde, und Menschen, die sich dort aufhalten, zu vernichten – statt zu bebauen und zu bewahren (1Mose 2,15).
Wo bist du, Gott? „Ich bin da“, sagt Gott in meiner Vorstellung, „Ich bin der ‚Ich-bin-da-für-euch‘, das ist sozusagen mein Name!“ Die Bedeutung des alttestamentlichen Gottesnamens JAHWE geht genau in diese Richtung.
Ich bin in U-Bahnschächten und Kellern.
Ich bin in Krankenhäusern und Kommandozentralen.
Ich bin in Militärfahrzeugen und Flüchtlingszügen.
Ich bin in Konferenzen und Notunterkünften.
Ich bin da - aber wirklich, wirksam sein, kann ich nur, wo Menschen offen sind für mich, sich von mir angenommen fühlen und z.B. meinen Aufruf zur Nächstenliebe umsetzen.
Was machst du, Gott? Ich stelle mir vor, dass Gott sagt: Ich bin da für die vielen Getöteten. Ich selbst bin bei ihnen.4Ich wische jede Träne ab von ihren Augen. Es gibt keinen Tod und keine Trauer mehr, kein Klagegeschrei und keinen Schmerz. (nach Offb 21, 3f).
Doch ich stelle mir vor, dass er fortfährt: „Aber ich möchte mich von euch nicht auf die Toten beschränken lassen! Um für die Lebenden da zu sein, ihre Tränen abzuwischen, ihren Tod zu verhindern, ihre Trauer und ihr Klagegeschrei verstummen zu lassen, ihren Schmerz aufzuheben, da brauche ich euch! Denn …
Ich habe keine Hände, nur eure Hände, um meine Arbeit heute zu tun. Ich habe keine Füße, nur eure Füße, um Menschen auf meinen Weg zu führen. ... Ich habe keine Hilfe, nur eure Hilfe, um Menschen an meine Seite zu bringen. (nach einem Gebet aus dem 14. Jhdt.)
Meine Kirchenvorstandskollegin Sabine sagt immer: Es gibt keine Zufälle.
Daran musste ich am Abend des Aschermittwoches denken. Gerade waren die Whats-app-Nachrichten zum Thema „Läuten“ hin und her gegangen. Ich hatte mich entschieden, die freitägliche Andacht 5nach6 auf „Friedensgebet“ umzustellen.
In der Ruhe nach der Handy-Tipperei griff ich zu dem Fastenkalender für die diesjährige Passionszeit und schlug die Seite für den Aschermittwoch auf. Weiß auf rosafarbenem Grund sprang mir folgender Text ins Auge – er stammt aus dem Buch des Propheten Jesaja (2, 1-5 in Auswahl):
Es werden zur letzten Zeit zum Berg, wo des Herrn Haus ist, … viele Völker … hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinaufgehen … zum Hause … Gottes …, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von dort wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, …, lasst uns wandeln im Licht des Herrn!
Was war das für ein Tag! Erst die Schreckensmeldungen aus der Ukraine und dann dieser Text: Schwerter zu Pflugscharen! Kein Volk wird gegen das andere das Schwert erheben! Sie werden nicht mehr lernen, Krieg zu führen!
Naiv? Verträumt? Wirklichkeitsfremd? Hm, viele sagen das.
Auf jeden Fall ist dieser Text visionär, er entwirft ein Bild von einer Zukunft, die man sich nur wünschen kann. Es ist ein Bild von der Zukunft, wie Gott sie sich für uns vorstellt.
Schwerter zu Pflugscharen! Kein Volk wird gegen das andere das Schwert erheben! Sie werden nicht mehr lernen, Krieg zu führen!
Zugleich ist dieser Text absolut realistisch! Denn: Wird diese Vision nicht Grundlage unseres Denkens und Handelns, wird die Erde im Chaos untergehen. Aufrüstung und militaristisches Denken greifen um sich – mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten unterfüttert. Aber: Das Gleichgewicht des Schreckens hochgerüsteter Staaten mag das Zusammenleben für einige Zeit regeln, doch eine tragfähige, langfristige Lösung ist es nicht. Denn: Rüstung tötet – weil irgendwann einer die Waffen anwendet. Rüstung tötet – weil die Gelder und Materialien an anderen Stellen fehlen.
Schwerter zu Pflugscharen! Kein Volk wird gegen das andere das Schwert erheben! Sie werden nicht mehr lernen, Krieg zu führen!
Dem Ex-Kanzler Helmut Schmidt wird die Aussage zugeschrieben: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“ Die Theologin Dorothee Sölle dagegen schrieb: Ein Volk ohne Visionen geht zugrunde.
Schwerter zu Pflugscharen! Kein Volk wird gegen das andere das Schwert erheben! Sie werden nicht mehr lernen, Krieg zu führen!
Diese Vision ist eine Quelle, aus der wir die Tropfen schöpfen können, die uns trösten, die uns stärken für den weiten Weg zu einer Welt ohne Waffen und Krieg. Und jeder noch so kleine Schritt der Nächstenliebe bringt uns auf diesem Weg voran.
Gebet: (Ökumenisches Friedensgebet 2022, nach: Seesener Beobachter, 25.02.22)
Gütiger Gott, wir sehnen uns danach,
miteinander in Frieden zu leben.
Wenn Egoismus und Ungerechtigkeit überhandnehmen,
wenn Gewalt zwischen Menschen ausbricht,
wenn Versöhnung nicht möglich erscheint,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.
Wenn Unterschiede in Sprache, Kultur oder Glauben uns vergessen lassen,
dass wir deine Geschöpfe sind und
dass du uns die Schöpfung als gemeinsame Heimat anvertraut hast,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.
Wenn Menschen gegen Menschen ausgespielt werden,
wenn Macht ausgenutzt wird, um andere auszubeuten,
wenn Tatsachen verdreht werden, um andere zu täuschen,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt ...
Schenke uns mutige Frauen und Männer,
die die Wunden heilen,
die Hass und Gewalt an Leib und Seele hinterlassen.
Lass uns die richtigen Worte, Gesten und
Mittel finden, um den Frieden zu fördern …
lass unsere Stimmen laut vernehmbar sein
gegen Gewalt und gegen Unrecht. Amen.