Freitags 5nach6 - Es ist Krieg 5

01. April 2022

299.6 5nach6 01.04.2022_ Es ist Krieg 5                               Ps 91

Quellen: (1) Andere Zeiten e.V., Hamburg, Anders handeln - Newsletter Nr. 11, 20.03.22, Frieden, Feinde, Fehlurteile
(2) 7wochenohne.evangelisch.de/newsletter/2022/fastenmail-4-freuen

Im Kirchenjahr hatte der vergangene Sonntag den lateinischen Namen „Laetare“, auf Deutsch: Freue dich! - Freue dich? Mitten in der Passionszeit?

Rot ist die Farbe des Blutes der Märtyrer. Das sind Menschen, die für ihren Glauben ihr Leben gelassen haben – in der Regel unter grausamsten Umständen. Am Sonntag Laetare wird dieses Rot mit Weiß gemischt zu Rosa, einer freundlichen, einer Freudenfarbe, weil die Mitte der vorösterlichen Fastenzeit erreicht ist.

Freue dich, Freudenfarbe? In dieser Zeit?!

Krieg und Zerstörung, Angst und Schrecken, Flucht und Schmerz und Tod. Gekappte Verbindungen, enttäuschte Hoffnungen, vernichtete Existenzen. Die Macht des Stärkeren und die Ohnmacht des Rechts. Lüge und Verführung, Hass und Dummheit. Verzweiflung und Trauer. Vor allem Trauer …
Ja, es hat sich wegen des Krieges Vieles in den vergangenen Wochen politisch und atmosphärisch verändert –
auch in Deutschland: Ernüchterung über Menschen und Regime, Bedauern über eigene Gutgläubigkeit und Abhängigkeiten, neue Prioritäten in der Außen- und Sicherheitspolitik. … Waffen zu liefern ist jetzt moralischer als sie zu verweigern und Hobby-Generäle haben die Hobby-Virologen in den Sozialen Medien abgelöst. Aber das ist keine Zeitenwende, kein Beginn einer neuen Ära …
 

Nein, der Krieg in der Ukraine ist keine Zeitenwende in der Geschichte der Menschen. Er ist die konsequente Fortsetzung ihrer Geschichte, wenn der mühsam aufgetragene Firnis der Zivilisation und des Fortschritts, des Rechts und des Vertrauens Risse bekommt.

»In der Welt habt ihr Angst«, sagte Jesus seinen Jüngern, »aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden« (Johannes 16,33). Die Welt überwunden? Diese Welt? Das klingt nach einer Zeitenwende – und nicht das entrüstete Aufwachen aus den eigenen Illusionen über den Zustand dieser Welt. Und trotzdem stellt dieses Aufwachen eine Zäsur dar, auch und gerade für Christinnen und Christen, die ihre Einstellung zu Krieg und Gewalt, zu Pazifismus und Widerstand neu bedenken. Wie verändert der Krieg in der Ukraine unsere Haltung? Reicht es aus, »für den Frieden« zu sein und Gewalt abzulehnen? Sind Friedensgebete nur hilflose Selbsttherapie – oder vielleicht doch die mächtigere Waffe?

Es ist unsere spannende Aufgabe als Christen, dass wir das öffentliche Leben immer mehr so gestalten, dass es dem christlichen Anspruch nach Gewaltüberwindung nachkommt, den Jesus schon in der Bergpredigt fordert. … Ist absolute Gewaltlosigkeit daher nicht in jedem Fall die Lösung, weil es auf Dauer der Überwindung von Gewalt nicht dient, wenn Aggression sich lohnt? Ich kann also keine Gewaltlosigkeit zulasten eines Dritten praktizieren? Gewaltlosigkeit macht also nur Sinn, wenn man dadurch auch den Angreifer von der Gewalt abbringt? …

… Frieden schaffen ohne Waffen? Geht das jetzt noch? Ehrlich: Ich weiß es nicht. Und natürlich regt sich mit mahnender Stimme die Vernunft: »Regieren kann man nicht mit der Bergpredigt!« Jedoch: Ich muss auch gar nicht regieren. Bin weder Bundeskanzler noch Außenministerin. Ich bin Pensionär, Kirchenvorsteher, versuche, Christ zu sein. Und als Christ darf, vielleicht muss ich sogar Utopist sein, das scheinbar Unmögliche für möglich halten. … Wer, wenn nicht wir, muss denn daran glauben, dass Wölfe bei den Schafen liegen werden? Und dass das auch in dieser Welt noch möglich ist. … Denn je aufgeheizter die Stimmung, desto nötiger braucht es doch die, die nach Frieden rufen.

Es ist eine idealistische Haltung – ein Licht in der Finsternis und ein Hoffnungszeichen, dass Krieg und Gewalt nicht das letzte Wort haben werden. Aber es ist eine zutiefst persönliche Haltung, eine, die nicht als moralische Richtschnur für andere dienen sollte. Schon gar nicht sollte sie als die einzige christliche Haltung gelten.

Christen könnten nämlich … die Widersprüchlichkeit im eigenen Leben und im Leben anderer Menschen kennen, sie könnten wissen um die Widersprüchlichkeit in der Geschichte, in der höchste menschliche Leistung und Herzensgüte zur gleichen Zeit erscheinen können wie abgrundtiefe Grausamkeit ... Sie könnten wissen um die Tragik, dass sie sich davon nicht mit ihrer eigenen moralischen Anstrengung befreien können, dass sie nicht ausweichen können vor den Herausforderungen, vor die sie eine nicht perfekte Welt, … stellt. Sie könnten darum wissen, dass sie zugleich gerecht und Sünder sind. Sie könnten verstehen, dass sie sich immer schuldig machen in einer ungerechten Welt. Das gilt, wenn sie zur Waffe greifen. Aber auch, wenn sie das ablehnen. (1)

Und was bewahrt uns in diesen Widersprüchen, in unserer Verzweiflung und Angst in diesen Tagen? Jesus erzählte dies Gleichnis: Das Himmelreich gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch … auf seinen Acker säte; das ist das kleinste unter allen Samenkörnern; wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als alle Kräuter und wird ein Baum, dass die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen in seinen Zweigen. (Mt 13,31−32)

Bei allem Schrecklichen, das gerade … geschieht: Wie tröstlich ist es doch, dass Tage länger und wärmer werden! Es tut so gut zu sehen, wie Blumen wachsen, aufblühen, wie Saat aufgeht ... Gerade wenn man auf etwas Gutes wartet, das noch gar nicht absehbar ist, hilft es, wenn man jeden Tag sehen kann, wie etwas wächst und gedeiht.

Es wundert nicht, dass Jesus solche Bilder aussucht, wenn er vom Kommen des „Reiches Gottes“ spricht. Das Reich … Gottes ist ein Zustand, in dem das geschieht, worum wir im Vaterunser beten: Gottes Wille geschieht „im Himmel, wie auf Erden“. Gottes Wille, nicht der von machthungrigen und gewissenlosen Menschen! Oft scheint dieser Zustand ferner als je zuvor, dann tun diese Bilder gut! Diese Bilder von etwas, das sich langsam, aber unaufhörlich durchsetzt. Das Senfkorn aus dem Gleichnis beinhaltet bereits alle Chancen des großen Strauchs, der einmal aus ihm werden soll. …

Andererseits kann … natürlich auch eine Menge schiefgehen, bis aus dem kleinen Senfkorn ein großer Busch wird. Es kann auf unfruchtbaren Boden fallen, es kann nicht ausreichend Licht, Wärme und Feuchtigkeit bekommen, es kann ausgerissen werden oder als Gründünger untergepflügt werden ... Aber selten geht alles kaputt, vielleicht dauert es etwas länger oder die Ernte fällt geringer aus, aber es gibt eine Ernte.

Wenn Jesus das Reich Gottes mit einem Senfkorn vergleicht, meint er nicht nur …, dass etwas Kleines sehr groß wird. Es geht auch darum, dass man dabei zuschauen kann, dass man sich täglich darüber freuen kann, dass es wächst, … Sicher bleibt es dabei: Was wächst, kann auch verkümmern oder ist auf andere Weise bedroht. Aber erstens kann man sich um das Wachstum auch mit kümmern und zweitens kann man sich über jeden neuen Trieb, jede neue Blüte freuen, als wäre der Busch bereits ausgewachsen. Es geht in dem Gleichnis nicht bloß um die Ernte …, sondern um das Wachstum selbst.

In schweren Zeiten, wenn das Gute, so weit entfernt scheint, ist es umso wichtiger, sich am Werden und Gedeihen zu freuen und zu erkennen, was bereits an Gutem da ist, was sich entwickelt ... Wenn Menschen, die sich vor kurzem noch wegen Maskenfragen spinnefeind waren, jetzt gemeinsam erkennen, wie kostbar Frieden ist und gemeinsam für ihn auf die Straße gehen, dann ist etwas am Werden. Dann geht eine gute Saat auf und wächst. Wer in dieser Zeit vor allem ängstlich in die Welt schaut, tut gut daran, die Augen für solches Wachstum offen zu halten … schauen Sie dem Guten beim Wachsen zu: Ihrer Pflanze und dem, was in der Welt an Gutem wächst. Freuen Sie sich ruhig daran.

Gebet: (Ökumenisches Friedensgebet 2022, nach: Seesener Beobachter, 25.02.22)

Gütiger Gott, wir sehnen uns danach,
miteinander in Frieden zu leben.
Wenn Egoismus und Ungerechtigkeit überhandnehmen,
wenn Gewalt zwischen Menschen ausbricht,
wenn Versöhnung nicht möglich erscheint,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.
Wenn Unterschiede in Sprache, Kultur oder Glauben uns vergessen lassen,
dass wir deine Geschöpfe sind und
dass du uns die Schöpfung als gemeinsame Heimat anvertraut hast,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.
Wenn Menschen gegen Menschen ausgespielt werden,
wenn Macht ausgenutzt wird, um andere auszubeuten,
wenn Tatsachen verdreht werden, um andere zu täuschen,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt ...
Schenke uns mutige Frauen und Männer,
die die Wunden heilen,
die Hass und Gewalt an Leib und Seele hinterlassen.
Lass uns die richtigen Worte, Gesten und Mittel finden,

um den Frieden zu fördern …
lass unsere Stimmen laut vernehmbar sein
gegen Gewalt und gegen Unrecht. Amen.