Freitags 5nach6 - Pfingsten 2

31. Mai 2024

383_5nach6_31.05.24_Pfingsten 2                                   Ps 119

Deutschland brauche andere Feiertage, wurde neulich im SPIEGEL gefordert. Die traditionellen Feiertage würden in ihrem Sinn weder verstanden noch von einer ausreichenden Zahl Menschen gefeiert. Daher hätten sie für die Gesellschaft keine Bedeutung mehr und sollten durch Tage mit neuen Inhalten ersetzt werden … Als Beispiel für ein auszurangierendes Fest wurde Pfingsten genannt.

In der Tat: Pfingsten ist das am meisten unterschätzte Fest der Christenheit. Es hat weder etwas Anrührendes wie die weihnachtliche Geburtsgeschichte noch hat es die Dramatik von Ostern. … Man weiß nicht so recht, was man feiern soll. Geist ist schwer fassbar …, selbst wenn er heilig ist und in Feuerzungen niederkommt. (kursiv Zitate aus: M.Schrom, Ein Fest des freien Geistes, in: Publik-Forum, 9/2024, S.10)

Was ist denn nun dran an Pfingsten?

Für mich ist es zunächst einmal ein Fest der gemeinsam überwundenen Angst. Angsterfüllt und verwirrt waren die Jünger/innen nach den dramatischen Wochen mit der Katastrophe der Kreuzigung Jesu, seiner unerwarteten Auferstehung und seinem Verschwinden. Und immer mussten sie damit rechnen, als Anhänger eines Aufrührers und Gotteslästerers verhaftet zu werden.

Aber Pfingsten überkommt sie der Mut, in die Öffentlichkeit zu treten, wächst ihnen die Fähigkeit zu, über Jesus und seine Botschaft der Liebe zu predigen.

Der Predigt einerseits entspricht das Verstehen andererseits. Es ist eine bunte, vielfältige, z.T. ausländische Zuhörerschaft, die die Worte des Petrus versteht!

Dabei hat „verstehen“ hier mehrere Bedeutungen:

Ganz praktisch bedeutet es, dass die Menschen die Botschaft akustisch aufnehmen, also hören können.

Verstehen heißt hier aber auch, dass der Inhalt der Petrus-Predigt bei ihnen ankommt – auch wenn sie aus fernen Ländern angereist sind.

Und als Verstehende entwickeln sie ein Verständnis für die Botschaft. Sie bekommt eine Bedeutung für sie, eine so existentielle, entscheidende Bedeutung, dass viele sich taufen lassen und sich den Jüngern anschließen.

Ganz offensichtlich entwickeln sie aber nicht nur ein Verständnis für die Botschaft, sondern auch Verständnis für die Boten. Sie verstehen, warum diese Männer und Frauen nicht schweigen können, sie entwickeln Achtung, Respekt, Sympathie für die Boten Jesu.

Pfingsten ist also auch ein Fest des Verstehens über alle Grenzen hinweg.

Das Pfingstlied O komm, du Geist der Wahrheit (Philipp Spitta, 1827, EG 136) erschließt uns weitere Bedeutungen von Pfingsten.  

 

1) O komm, du Geist der Wahrheit,
und kehre bei uns ein,
verbreite Licht und Klarheit,
verbanne Trug und Schein.
Gieß aus dein heilig Feuer,
rühr Herz und Lippen an,
dass jeglicher getreuer

den Herrn bekennen kann.

Die Gabe des Hl. Geistes will uns den Blick schärfen für das, was Menschen untereinander und damit von Gott trennt, und für das, was Gerechtigkeit im Sinne Gottes ist. Das sollen wir nicht nur sehen, sondern auch benennen und damit Gott bekennen. Klarheit und Wahrheit sind gefragt in diesen Zeiten von Fake News und verlogener Propaganda.

2) O du, den unser größter
Regent uns zugesagt:
komm zu uns, werter Tröster,
und mach uns unverzagt.
Gib uns in dieser schlaffen
und glaubensarmen Zeit

die scharf geschliffnen Waffen
der ersten Christenheit.

Ja, den tröstenden und ermutigenden Geist brauchen wir, denn mit einem deutlichen Bekenntnis zu Klarheit und Wahrheit, mit Kritik und Widerspruch macht man sich nicht nur Freunde.  

Wer vor der Sünde nicht die Augen verschließt, wird durch Gottes Hl. Geist auch deutliche Worte und klare Wege finden, wenn es um Gerechtigkeit geht. Sich an Gottes Gerechtigkeit zu orientieren heißt, barmherzig zu sein. Es heißt, zuweilen penible Kosten-Nutzen-Abwägungen beiseite zu lassen … Weil Gottes Gerechtigkeit keine wirtschaftliche Kalkulation ist, sondern Schenken und verschenken aus der Fülle seiner Liebe. Einer Fülle, die das Leben wachsen und aufblühen lassen will – wie eine Pfingstrose (K. Kühnbaum-Schmidt, Trost und Wahrheit, in: Ev. Zeitung 19.05.24, S.1).

3) Unglaub und Torheit brüsten
sich frecher jetzt als je;

darum musst du uns rüsten
mit Waffen aus der Höh.
Du musst uns Kraft verleihen,
Geduld und Glaubenstreu
und musst uns ganz befreien

von aller Menschenscheu.

Unglaub und Torheit brüsten sich frecher jetzt als je – wohlgemerkt, der Satz stammt aus dem Jahr 1827! Aber rund 200 Jahre später ist er von einer bedrückenden Aktualität! Es wenden sich nicht nur immer mehr Menschen von den Kirchen und dem christlichen Glauben ab, sie ziehen auch untereinander Meinungsmauern hoch – die bisweilen in der Tat aus Torheiten bestehen. Einander zuhören, gegenseitiges Verständnis, ein Kompromiss, Respekt vor dem anderen, auch wenn er anderer Meinung ist als ich – all das geht immer mehr verloren.

 

4) Es gilt ein frei Geständnis
in dieser unsrer Zeit,
ein offenes Bekenntnis
bei allem Widerstreit,
trotz aller Feinde Toben,
trotz allem Heidentum
zu preisen und zu loben

das Evangelium.

Ja, hier gilt es in der Tat, freimütig Position zu beziehen!

Annette Schavan (CDU), ehemalige Bundesbildungsministerin und deutsche Botschafterin beim Vatikan, bezieht Position:

Pfingsten ereignet sich in einer verfahrenen Situation, als es nicht vorangeht mit der Sache Jesu: Die Jünger harren verängstigt und mutlos miteinander in einem Haus aus. Es braucht ein Signal des Aufbruchs und eine stimulierende, in Gang setzende Kraft, damit sie sich aufraffen und ihren Glauben hinaus in die Welt tragen. Und die Erzählung von Pfingsten, sie ist ermutigend.

Deshalb bleibt Pfingsten ein wichtiges Fest. Seine stimulierende Kraft brauchen wir auch heute – eine Aufbruchsgeschichte in brüchiger Zeit.  Von weltweiter Verständigung – wie sie im pfingstlichen Jerusalem offensichtlich möglich war – ist momentan kaum noch die Rede … Was bereits einmal erreicht war an Gemeinsamkeit, ja an Weltgemeinschaft, wird aufgekündigt. Wir erleben den Rückfall in nationalen Egoismus und … in Kriege und Terror: All das ist stärker als jedes Bemühen um weltweite Gerechtigkeit und Solidarität.

Deshalb ist jetzt Zeit für Aufbruchsgeschichten. Und es ist höchste Zeit, sich die Bedeutung klar zu machen, die im Christentum immer noch steckt. Die Entstehung der Kirche vor 2000 Jahren war eine Zeitenwende, weil sie eine neue Sicht auf den Menschen ermöglichte. Diese neue Sicht, den barmherzigen, freundlichen, verständnisvollen Blick auf den anderen, den brauchen wir auch jetzt.

Pfingsten ist das Fest des Lebens, das der Hl. Geist den Menschen großzügig schenkt. Es ist das Fest des wiedergefundenen Mutes …, nicht andauernd einzustimmen in das, was alle sagen und tun. Wir finden in den biblischen Schilderungen eine große Zuversicht, dass es trotz aller Irrtümer und Irrwege, die wir – auch in der Kirche – erleben, einen Tag danach gibt, dass Verständigung möglich ist, auch wo sie niemand für möglich gehalten hat ...

Was genau ist dieser Geist von Pfingsten? Es ist der Geist der Weisheit, der Einsicht und des Rates. Der Geist der Erkenntnis, der Ehrfurcht, des Respekts vor Gott und der Frömmigkeit.

Das große Versprechen von Pfingsten … ist dies: Der pfingstliche Geist verlässt uns nicht, wenn es schwierig wird! Aber: … Wir brauchen eine innere Bereitschaft, nicht nur das gelten zu lassen, was uns passt …

„Komm, Heiliger Geist, der Leben schafft, erfülle uns mit deiner Kraft.“ So beginnt ein Pfingstlied, das von ungebrochener Aktualität ist.

(A.Schavan, Aufblühen, in: DIE ZEIT 16.05.24, S.56 bearbeitet, Zitate kursiv)

Pfingsten soll ausrangiert werden? Ich denke, es gibt kaum ein wichtigeres Fest in diesen Zeiten …

 

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