397_5nach6_04.10.24_Erntedank 2 Ernte Ps 145
Erntedank also. Ich bin ein Freund davon, Worte auf die Goldwaage zu legen, sie genauer zu untersuchen. Also zerlegen wir das Wort zunächst in „Ernte“ und „Dank“.
Zunächst „Ernte“, also das, was uns zuwächst, vor allem also Früchte vom Feld und aus dem Garten. Dass unsere Ernte uns zuwächst, macht deutlich, dass all unsere Arbeit allein nicht reicht.
Ein beliebtes Erntedank-Lied von Matthias Claudius bedenkt das: Wir pflügen und wir streuen. Darin heißt es:
Wir pflügen, und wir streuen den Samen auf das Land,
doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand:
der tut mit leisem Wehen sich mild und heimlich auf
und träuft, wenn heim wir gehen, Wuchs und Gedeihen drauf.
Wie wichtig nach „des Himmels Hand“ auch die bäuerlichen oder gärtnerischen Hände sind, wird in folgender Anekdote deutlich:
Ein Mann kaufte ein altes Haus mit verwildertem Garten. In mühsamer Kleinarbeit bringt er den Garten wieder in Schuss.
Es kommt der Ortspfarrer vorbei und spricht: „Da sehen Sie mal, guter Mann, was man mit Gottes Hilfe alles schaffen kann!“. Die Antwort: „Herr Pfarrer, Sie hätten den Garten mal sehen sollen, als der liebe Gott das noch alles alleine gemacht hat!“
Und dass es mit klassischer Feld- und Gartenarbeit allein auch nicht getan ist, wissen wir heute leider nur zu genau. „Wuchs und Gedeihen“ sind nicht einfach ausschließlich himmlisches Wirken, „Wuchs und Gedeihen“ sind auch von Umwelt- und Klimabedingungen abhängig, zu deren Verträglichkeit oder Unverträglichkeit für unsere Ernten wir Menschen in erheblichem Maße beitragen. Aber das ist ein eigenes Thema …
Zurück zur Ernte … Was ernten wir?
Die Kirchenvorsteher/innen schmücken den Erntedankaltar in der Kirche. Ein Brot, Weintrauben, ein Korb Kartoffeln, die Erntekrone aus Getreidehalmen, ein paar Äpfel und Nüsse, ein farbenfroher Blumenstrauß ergeben ein wundervolles Gesamtbild.
„Sagt mal“, unterbricht eine Kirchenvorsteherin die Geschäftigkeit, „Warum legen wir nicht auch eine Lohnabrechnung oder eine Computertastatur mit auf den Altar? Viele Leute aus unserem Dorf arbeiten doch gar nicht in der Landwirtschaft oder haben gar keinen Garten!“
Ein interessanter Gedanke, finden Sie nicht auch? Was ernten wir?
So ganz neu ist dieser Gedanke nicht.
Im Vaterunser bitten wir um das „tägliche Brot“. Schon Martin Luther weitet in seiner Erklärung zu dieser Bitte unseren Blick:
Was heißt denn täglich Brot?
Alles, was zur Leibes Nahrung und Notdurft gehört, wie
Essen, Trinken, Kleider, Schuh,
Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut,
fromm Gemahl, fromme Kinder, fromm Gesinde,
fromme und treue Oberherren, gut Regiment,
gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre,
gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.
Auch in seiner Erklärung zum Glaubensbekenntnis bedenkt Luther diesen größeren Zusammenhang:
Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen,
Schöpfer Himmels und der Erden.
Was ist das?
Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen,
mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder,
Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält;
dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof,
Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter;
mit aller Notdurft und Nahrung des Leibes und Lebens
mich reichlich und täglich versorget,
…
und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte
und Barmherzigkeit,
ohn all mein Verdienst und Würdigkeit:
(des alles ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen
und gehorsam zu sein schuldig bin.
Das ist gewisslich wahr.)
Ernte ist also erheblich mehr als das, was wir traditionell auf unseren Altären sehen! Und es ist erheblich mehr, als wir mit unserem Tun schaffen können – Ernte ist Ergebnis unserer Arbeit, aber eben auch Geschenk, das wir würdigen sollten.
Ich denke, wir müssen diese Sichtweise erst wieder lernen. Das hat etwas mit dem zu tun, was Albert Schweitzer „Ehrfurcht vor dem Leben“ genannt hat. Und das hat nichts mit Angst zu tun, sondern mit einem Staunen über etwas, das ich nicht fassen kann – wenn man so will: eine positive Fassungslosigkeit.
Das kann ganz einfach anfangen …
Renate Schupp beschreibt das in ihrer Erzählung „Timos Pflanze macht Tomaten“ (in: D.Steinwede, Neues Vorlesebuch Religion, Lahr, 1996, S.241).
Die Mama bringt vom Einkaufen eine Pflanze mit, eine Tomatenpflanze.
„Wo richtig echte Tomaten dran wachsen?“, fragt Timo. Die Mama nickt. „Richtig rote, runde Tomaten“, sagt sie und lacht. „Willst du sie haben? Ich schenke sie dir!“
Timo setzt die Pflanze in einen Blumentopf und stellt sie auf den Balkon. Jeden Abend gibt er ihr mit seiner kleinen Gießkanne Wasser. Da fängt die Pflanze an zu wachsen. Sie wächst und wächst. Sie reicht schon fast bis zum Geländer.
„Du musst sie stützen, sonst fällt sie um“, sagt die Mama.
Timo steckt einen Stock in den Blumentopf und bindet die Pflanze fest.
„Nun bist du groß genug“, sagt Timo zu der Pflanze. „Nun musst du Tomaten machen!“ Aber die Pflanze wächst immer noch weiter.
Eines Morgens entdeckt Timo an seiner Pflanze kleine gelbe Sternchen.
„Sie blüht!“, ruft er aufgeregt und holt die Mama herbei. Er zählt die blüten. Aber jeden Tag sind neue dran. Manche verdorren und fallen wieder ab. Aber an den anderen wachsen kleine grüne Knubbel. Timos Pflanze macht Tomaten!
Timo läuft jeden Tag viele Male auf den Balkon. Er passt auf, dass die Pflanze immer genug Wasser hat. Er rückt sie in die Sonne. Er redet ihr gut zu. Da werden die Knubbel groß und dick. Und eines Tages zeigt sich der erste rote Schimmer auf ihrem blanken Grün.
„Kann man sie jetzt essen?“ fragt Timo. Aber die Mama schüttelt den Kopf. „Noch nicht! Erst wenn sie rundherum rot sind.“
Timo muss noch viel Wasser schleppen, bis die erste Tomate reif ist.
„Jetzt, Mama?“, fragt er jeden Abend.
Und endlich nickt die Mama und sagt: „Ja, jetzt! Nimm diese hier!“
Timo legt vorsichtig beide Hände um die Tomate und pflückt sie ab. Er hält sie hoch und betrachtet sie von allen Seiten. Seine erste eigene Tomate!
„Na!“, sagt er zu seiner Tomate und streichelt ihre glatte, feste Haut. „Weißt du was: Du hast ganz schön viel Arbeit gemacht!“
Und wenn die Mutter jetzt fragt, wer hier Arbeit gemacht, wer Arbeit geleistet hat – dann wird es hochinteressant …
Timo? Die Pflanze? Der Gärtner und die Verkäuferin? Das Gießwasser? Gott?
Gebet: (nach: Gebete zu Erntedank – Dank für das von Gott Geschenkte (logo-buch.de))
Gott,
wir meinen oft,
wir könnten alles beherrschen
durch Technik und Fortschritt.
Als die Herren der Welt und des Weltalls,
denen keine Grenzen gesetzt sind,
fühlen wir uns dann.
Dass du, Gott,
uns diese Welt anvertrautest,
damit wir sie als deine Geschöpfe
in verantwortlicher Liebe verwalten,
vergessen wir nur zu schnell.
So bitten wir dich, Gott:
Lass uns lernen,
mit dieser Welt so umzugehen,
dass wir sie nicht wie etwas behandeln,
über das wir nach Belieben verfügen können.
Gib uns die Einsicht,
dass wir nicht alles,
was wir mittels der Technik
tun könnten,
auch tun dürfen.
Herr, hilf uns zu erkennen,
dass wir diese Welt
nicht erlösen,
sondern zerstören werden,
wenn wir uns
an deiner Statt
zu ihrem Herrscher machen.
Schwer fällt es uns oft,
hinter dem,
was wir ernten in unserem Leben,
dich, Gott, noch zu erblicken.
…
Oft meinen wir,
unsere eigene Leistung,
unserem eigenen Vermögen
alles zu verdanken.
So bitten wir dich, Gott:
Gib uns die Einsicht,
dass nicht wir,
sondern du allein
diese Welt und unser Leben
als ihr Schöpfer und Erhalter
in den Händen hältst.
Herr, mache uns gewiss,
dass wir unser Leben
mit all seinen Gaben
nicht allein
unserer eigenen Hände Arbeit,
sondern auch deinem Segen
verdanken.