Freitags 5nach6 - Osterkerze 2023 Taube mit Zweig 2

02. Juni 2023

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Ich bin Ihnen noch etwas schuldig! Ich hatte die Vermutung geäußert, dass unsere Konfirmanden die Osterkerze nicht zuletzt wegen der Taube mit dem Ölzweig ausgesucht hatten. Auch unsere Kinder und Jugendlichen spüren sehr genau, dass unsere, ihre Welt durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine aus den Fugen geraten ist.

Die Taube gilt einerseits als Friedenssymbol, andererseits als Symbol für den Hl. Geist. In folgendem Liedvers fallen beide Bedeutungen zusammen:

EG 171 Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott

Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott
Sei mit uns vor/in allem Bösen
Sei Hilfe, sei Kraft, die Frieden schafft
Sei in uns, uns zu erlösen
Sei Hilfe, sei Kraft, die Frieden schafft
Sei in uns, uns zu erlösen.

In uns soll diese Kraft wirksam sein, wenn wir der Aufforderung nachkommen „Suche den Frieden und jage ihm nach!“ (Ps 34,15). Helfen will uns auf dieser Suche Jesu Gebot der Feindesliebe!

Feindesliebe? Ob dieses Gebot nun eine Hilfe ist? Ist es nicht eher eine Zumutung, eine Provokation, die nun wirklich nicht in diese Zeit passt. Sollen die Ukrainer Putin lieben?

Feindschaften sind zeitbedingt und eine zutiefst menschliche Beschreibung von Beziehungen sind. So hätte mein Vater – Jg. 1924 - sich als junger Mann niemals vorstellen können, dass es eine deutsch-französische Freundschaft oder gar eine Europäische Union geben würde. Franzosen waren Erzfeinde!

Jesus sagt stattdessen: Gott lässt seine Sonne aufgehen über bösen und über guten Menschen. Und er lässt es regnen auf gerechte und auf ungerechte Menschen (Mt 5,45).

Wir haben zwar sehr konkrete Vorstellungen davon, wer böse und ungerecht ist – nämlich immer die anderen. Aber letztlich, wirklich letztlich befindet darüber Gott. Und deshalb gilt seine Zuwendung allen – auch wenn uns das nicht passt.

Ob Herrn Putin und seinen Helfershelfern an der Zuwendung Gottes liegt, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass Gott auch ihnen seine Zuwendung nicht entzieht. Liebesentzug, das wissen wir aus der Erziehungswissenschaft, ist im Regelfall eine wenig nachhaltige Erziehungsmaßnahme. Wenn sie etwas verändert, dann oft zum Schlimmeren.

Kritiker werden einwenden: Gott lässt es regnen über Gerechte und Ungerechte! So ist er! Lässt uns alle miteinander allein im Regen stehen!

Nein, Gott wendet sich Gerechten wie Ungerechten zu, und zwar auf ganz verschiedene Weise. Ein Bibelwort, ein Lied, ein Gottesdienst und das sind nur drei von vielen Möglichkeiten, wie Gott sich uns zuwendet. Entscheidend ist, ob wir offen, empfangsbereit für ihn sind – und ob wir bereit sind, auf seine Zuwendung zu reagieren. Denn das ist unsere freie Entscheidung. 

Wie kann das auf diesem Hintergrund nun mit der Feindesliebe funktionieren?

Der Dresdener Philosophie-Professor Markus Tiedemann hat in einem Zeitungsaufsatz (Kant und die Waffenlieferungen an die Ukraine – Vertrauen in die Denkungsart des Feindes, Frankfurter Rundschau,15.04.23, S.30f, Zitate kursiv) beschrieben, wie es gehen könnte – in der Ukraine, in der Welt und vielleicht auch in Königsdahlum. Er orientiert sich dabei an dem Philosophen Kant.

Erst einmal müssen wir weg von den schlichten Gegenüberstellungen wie Freund – Feind. Die Wirklichkeit ist schon ein bisschen vielschichtiger, als diese vereinfachende Gegenüberstellung uns einreden will. Trotz aller berechtigten Empörung darf ich im Gegner nicht nur das Monster sehen. Ich muss immer bereit sein, in ihm einen möglichen Verhandlungspartner zu sehen.

Hätte Kant Panzer an die Ukraine geliefert? Wahrscheinlich, allerdings nicht ohne Auflagen zu formulieren. Ein Angreifer darf nicht triumphieren. Auch Kant befürwortet ein Verteidigungsrecht von Personen und Staaten. Zudem ist es rechtmäßig, wenn die Völkergemeinschaft Angreifer bestraft und Überfallenen militärisch zu Hilfe eilt. Das Recht muss verteidigt werden. Auch Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen.

Allerdings folgt daraus nicht, dass die Ukraine militärisch siegen muss. Dieses Ergebnis mag wünschenswert sein, andere Möglichkeiten gibt es durchaus. Frieden, nicht Sieg ist Gebot der praktischen Vernunft.

Kant würde Waffen liefern, diese Unterstützung an mindestens eine Bedingung knüpfen: der Verteidiger muss zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand bereit sein. Es gehört zu den wenigen Fehlern des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, jede Verhandlung mit Putins Russland per Gesetz für unmöglich erklärt zu haben. Einem Angreifer mit aller – auch militärischen - Entschiedenheit entgegenzutreten und gleichzeitig nach Wegen der Verständigung zu suchen, ist kein … Widerspruch. Vielmehr hätte diese Haltung das Unrecht des Angreifers noch deutlicher aufzeigen können.

Ein Waffenstillstand vor der Rückeroberung aller besetzten Gebiete bedeutet keinesfalls, dass man die Lage akzeptiert, wie sie ist. Beendet wird nur das aktive Töten. Völkerrechtliche Ansprüche bleiben bestehen. … Eine von den UN durchgeführte Volksabstimmung über die staatliche Zugehörigkeit von Donbass und Krim mag utopisch scheinen. Doch bietet sie einen Ausweg aus dem schlichten Entweder-Oder, Sieg oder Niederlage.

Geben Bombardierungen von Theatern und Geburtskliniken sowie Mordanschläge … nicht Anlass genug, um das Russland Putins all jener Übel zu bezichtigen, die Kant … aufs schärfste verurteilt? Gewiss! Gleichwohl bleibt die … Pflicht bestehen, alles für den Erhalt oder die Wiederbelebung vernünftiger Verständigung zu tun.

So dürfen die Gründe des Gegners für seinen Angriff nicht ungeprüft auf reine Bösartigkeit verkürzt werden.

Erstens gilt es, Aussagen des Gegners zu finden, denen zugestimmt werden kann.

Zweitens ist zu prüfen, ob es sich um Behauptungen handelt, die zwar nicht völlig, aber zumindest teilweise akzeptabel sind.

Erst auf der dritten Ebene finden sich jene Positionen, die mit guten Argumenten zurückgewiesen werden.

Diese drei Schritte kennzeichnen nicht nur diplomatisches Geschick … Vor allem handelt es sich um die einzige Hoffnung, Verhandlungen zu ermöglichen.

Vor allem aber gilt, dass Menschenleben und Selbstbestimmung überall den gleichen Wert haben. Dies gilt für Menschen im Donbass ebenso wie in Kiew oder Butscha. Wer vorgibt, die einen retten zu wollen, darf nicht die Kinder der anderen bombardieren.

Wer das Selbstbestimmungsrecht und das Recht zur Abtrennung und Angliederung an Russland hochhält, muss auch akzeptieren, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung genau dies ablehnt. Vielleicht erscheint hier andeutungsweise eine erste Verständigungsgrundlage: Die Annahme, dass Bevölkerungsgruppen die Möglichkeit erhalten sollten, über ihre staatliche Zugehörigkeit frei zu entscheiden. Man stelle sich vor, die Bevölkerung der umstrittenen Gebiete … würde in freien, geheimen Wahlen unter dem Schutz der UN über ihre Staatszugehörigkeit abstimmen und gleichzeitig einen Minderheitenschutz für die jeweils unterlegene Partei beschließen.

Natürlich wäre eine Umsetzung schwierig.
Natürlich ist die Situation durch entsetzliche Grausamkeiten und Misstrauen vergiftet.
Natürlich ist zu befürchten, dass derartige Versuche bösartig missbraucht würden.
 

Nur – wenn man wirklich dem Frieden nachjagen will, dann könnte Feindesliebe dieses Gesicht haben.

Vielleicht sollten wir uns diese Schritte merken – nicht nur für die Ukraine:

Mein Feind ist nicht nur mein Feind, das Monster. Er ist Mitbürger, Vater, Mutter, Nachbar, Kollegin … Mein Feind ist einer von denen, über denen Gott seine wärmende Sonne aufgehen und seinen lebensspendenden Regen fallen lässt.

 

Ziel jeder Konfliktaustragung darf nicht der Sieg, das Niederwerfen des anderen sein, Ziel muss Friede sein – Friede, wie Albert Schweitzer in beschreibt: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“

Nur wenn ich mit meinem Gegner spreche, können die Waffen schweigen, kann das Vernichten aufhören, kann Leben möglich werden.

Im Gespräch ist zu prüfen, welche Gedanken meines Feindes ich ganz oder wenigstens teilweise verstehen kann. Da liegt ein Einstieg in Friedensverhandlungen.

 

So einfach kann das sein – und ist doch so schwierig.

Gebet für den Frieden (Hl. Franz von Assisi)

Herr, mach mich zu einem Werkzeug Deines Friedens,

dass ich liebe, wo man hasst;

dass ich verzeihe, wo man beleidigt;

dass ich verbinde, wo Streit ist;

dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;

dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht;

dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;

dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;

dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.

Herr, lass mich trachten,

nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;

nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;

nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.

Denn wer sich hingibt, der empfängt;

wer sich selbst vergisst, der findet;

wer verzeiht, dem wird verziehen;

und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.