391_5nach6_16.08.24_In Ängsten und wir leben Ps 23
„Wandelt als Kinder des Lichts!“ (Eph 5, 8b) fordert Paulus uns auf. Wie soll das gehen, wenn wir schwarz sehen, wenn wir den Eindruck haben, in finsteren Zeiten zu leben? Jesus hält dagegen: „In der Welt habt ihr Angst“, sagt er. Doch er fährt fort: „Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden, damit ihr in mir Frieden habt.“ (Joh 16,33).
Ein großes „Trotzdem“ spricht aus seinen Worten! Leben in und trotz allen Belastungen, Nöten und Ängsten. Diese Fähigkeit zum Trotz, zum Widerstand gegen das, was uns das Leben schwer macht, nennen die Psychologen Resilienz. Und wer so leben kann, der ist „resilient“.
Können Worte wie jenes Jesus-Wort uns zum Leben im „Trotzdem“ befähigen? Oder – so fragt die Wochenzeitung DIE ZEIT (01.08.24, S.14) – „Macht die Bibel resilienter?“
Ein Psychiater-Paar arbeitet in der Therapie auch mit biblischen Texten. Im Interview sagen sie, warum sie das tun:
Die Bibel ist in einer einfachen Sprache geschrieben (einfach? Naja …), die jeder versteht. Es geht um Macht, Ungerechtigkeit und Leid. Solche Lebenskrisen kennt jeder von uns. Die Bibel schafft etwas Wunderbares! Beim Lesen bekommt man das Gefühl: Ich darf schwach sein … Ich werde aufgefangen. … Da ist jemand, du wirst geliebt. Diese Grundbotschaft ist für Patienten in schwerster seelischer Not sehr hilfreich … Sie kann zu einer Seelenruhe führen. …
Dabei gehört es zum menschlichen Dasein, Leidensphasen durchzumachen. Wo steht denn geschrieben, dass wir alle immer fit, erfolgreich und gesund sein müssen? …
Jesus war der erste Psychotherapeut, sage ich immer. … Jesus nimmt einen an. Er sagt: Ich bin ganz für dich da. Ich nehme alle deine Leiden auf (i.S. von wahrnehmen). Ich berühre dich, verbal und nonverbal. Er schafft Wunder und danach sagt er: Das warst du, dein Glaube hat es ermöglicht. Das ist Selbstwirksamkeit, die einen stärkt, aus der Ohnmacht der Opferrolle ein ganzes Stück weit heraushelfen kann.
Das Wichtige ist, das Gefühl zu haben: Es gibt eine Instanz („etwas“), die (das) höher und größer ist als ich, und sie ist für mich da, um mir zu helfen. Es reicht, wenn ich erkenne, dass ich mit dieser Macht in Kontakt treten kann … Es hat etwas Tröstendes. Das können wir erleben in Gebet und Meditation. Auch das Erleben von Musik und Gesang, allein oder gemeinsam, selber singend oder zuhörend kann das vermitteln. Tätige Nächstenliebe – z.B. ehrenamtlicher Einsatz – vermittelt das Gefühl, Gutes bewirken zu können. Auch im Sinne jener höheren Macht Gemeinschaft zu pflegen – egal, ob im Gottesdienst oder bei anderen Gelegenheiten – das kann einen auffangen und Halt geben.
Beim letzten Mal hatte ich gesagt: In den Psalmen ist eine Glaubens- und Lebenshaltung erkennbar, die dem Resilienzbegriff sehr nahekommt. Dadurch, dass man eigene Nöte bzw. Krisenerfahrungen zur Sprache bringt, kann man sich ein Stück weit davon entfernen, sie aus einer gewissen Entfernung betrachten und bedenken, ohne sich davon überwältigen zu lassen. Bekanntestes Beispiel dafür ist Ps 23, der die Bedrohung aber eben auch die Bewahrung kennt. (vgl. Resilienz und Religion - www.die-bibel.de)
Also Ps 23, wir haben ihn vorhin gebetet. Für mich hält er in der Tat einiges bereit, was meine Resilienz stärken kann!
Der Herr ist mein Hirte
In einer aktuellen Situation – das Wörtchen „ist“ drückt vor allem die Gegenwart aus - besteht eine Beziehung zu jemandem oder zu etwas. Aber: „Ist“ steht auch für das Grundsätzliche, das Allgemeine. Die Erde ist eine Kugel. Die Würde des Menschen ist unantastbar.
„Mein“ ist nicht nur ein „besitzanzeigendes Fürwort“, es drückt auch eine Beziehung von mir zu jemandem anders aus („meine Frau“). Ich bin also nicht allein.
Diese Beziehung zum anderen ist eine Hirten-Beziehung. Sie ist geprägt davon, dass ich mich der Fürsorge des anderen anvertrauen kann. An den anderen kann ich Verantwortung für mich und andere(s), kann ich Aufgaben und Arbeit delegieren, abgeben.
Mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.
Im Bewusstsein dieser Beziehung entwickelt sich kein platter Optimismus, sondern eine begründete, hoffnungsvolle Gewissheit. Meine Grundbedürfnisse werden gesichert – beim Schaf zuvörderst Weide und Wasser. Bei uns Menschen zählen wir dazu Ernährung, Wohnung und Bekleidung, Gesundheit, Bildung und politische Teilhabe. - Aber es geht Ps 23 nicht nur um schlichte Bedürfnisbefriedigung auf niedrigstem Niveau. Das Gras der grünen Aue, das sind nicht ein paar halbvertrocknete Grashalme am Wegesrand, das frische Wasser ist kein abgestandenes Brackwasser in einer Pfütze. Nein, hier schwingen Genuss und Lebensfreude als stärkende Elemente mit.
Hier ist Hoffnung im Spiel!
3Er erquicket meine Seele.
Wer quicklebendig ist, der ist springlebendig wie ein hüpfender Frosch. Das wird hier übertragen auf den seelischen Bereich. Mein(e) „gute(r) Hirte/in“ möbelt mich auf, bestärkt und ermutigt mich. Vor aller Analyse, vor aller strategischen Planung geht es um lebensbejahende Aufmunterung, die ganz unterschiedliche Formen annehmen kann – spirituell, künstlerisch, sozial …
Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
Es gibt ein Werte-Navi, ein Wertegerüst, das auch in belastenden Situationen belastbare Orientierung verspricht.
4Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
Der Mensch verschließt nicht die Augen vor dem Unglück, er flieht nicht davor, er, er wehrt es nicht ab, kann es nicht abwehren. Er geht aktiv in die belastende Situation hinein und durch sie hindurch – er ist im finstern Tal. Er nimmt Unglück, Leid und Not an, aber eben nicht nur als Opfer, sondern aktiv …
fürchte ich kein Unglück;
Der Wanderer im finstern Tal lässt sich von Ängsten nicht lähmen.
denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.
In dieser Unglücks-Situation erweist sich die Hirten-Beziehung als tragfähig. Vielleicht werden wir der Qualität dieser Beziehung am ehesten gerecht, wenn wir sie als Beistandsbeziehung beschreiben, die mehr Facetten einschließt als der Begriff „Trost“, der bei uns schnell klingt wie „vertröstend“. Dabei heißt „trösten“ von seiner Wortgeschichte her soviel wie „in Treue stärken und kräftigen“. Da sind wir doch wieder schnell beim Beistand.
5Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.
Auch hier stoßen wir wieder auf das lebensfrohe Genusselement der grünen Aue und des frischen Wassers. Es geht hier nicht um die schnelle Mahlzeit, nein, es geht um den gedeckten Tisch, der sicherlich festlich und reichlich gedeckt ist. Dabei dient er nicht der Verschleierung der belastenden Situation. Der Tisch ist gedeckt im Ansehen der Menschen und Mächte, die mir feindlich gesinnt sind. Aber gestärkt durch den gedeckten Tisch kann ich dem Feindlichen ins Auge sehen und ihm begegnen.
Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.
Die Salbung steht im alttestamentlichen Zusammenhang mit der besonderen Beziehung der israelitischen Könige zu Gott. Und die wird hier auf den Beter, auf jede(n) Beter(in) übertragen. Der gute Hirte schärft das Bewusstsein dafür, dass der Wanderer durchs finstere Tal seine einzigartige Würde behält und den Beistand des Hirten – komme, was da wolle.
6Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.
Es gibt eine Perspektive der Zugehörigkeit, der Zusammengehörigkeit über die aktuelle Belastung hinaus.
Gebet (in Anlehnung an EG 595 Fürchte dich nicht)
595:1 Fürchte dich nicht, gefangen in deiner Angst. Mit ihr lebst du.
Auch wenn Angst mich umfängt – Gott, hilf mir, in ihr zu bestehen
595:2 Fürchte dich nicht, getragen von seinem Wort. Von ihm lebst du.
Auch wenn Angst mich umfängt – Gott, hilf mir, auf deine Worte der Liebe und des Beistands zu vertrauen.
595:3 Fürchte dich nicht, gesandt in den neuen Tag. Für ihn lebst du.
Auch wenn Angst mich umfängt –
Gott, hilf mir,
zuversichtlich in den neuen Tag zu gehen.