401.1_5nach6_08.11.24 Auf dem Weg – mit Kompass Ps 73
Ecclesia semper reformanda – Kirche muss sich ständig verändern. Wir sind auf dem Weg. Mit dieser Grunderkenntnis der Reformation – die auch das kath. 2. Vatikanische Konzil übernommen hat – hatte ich beim letzten Mal geendet. Aber – welchen Weg sollen wir gehen? Was ist unser Kompass? Sola scriptura – allein die Bibel, solus christus – allein Christus, so hat Luther es formuliert.
Eine Kompassstelle der Bibel (scriptura!) ist das Gleichnis vom Weltgericht (Mt 25, 31 – 46), das Jesus (Christus) erzählt hat. Es gipfelt in der Aussage „Was ihr den geringsten meiner Geschwister getan habt – oder nicht getan habt – das habt ihr mir getan – oder nicht getan. Es geht ihm dabei um die Hilfe für Hungernde und Dürstende, Nackte, Fremde, Kranke und Gefangene. Und am Schluss wird denen, die sich hartherzig zeigen, per Endgericht die das ewige Höllenfeuer angedroht.-----------
„Schieber, Schieber!“, schallt es mehreren tausend Kehlen von den Rängen des Fußballstadions. Was ist passiert? Zu Unrecht hat der Schiedsrichter für eine Mannschaft entschieden, einseitig eben. So sehen es zumindest die wütenden Schreihälse. In ihren Augen ist der Schiedsrichter parteiisch gewesen. Dabei soll er doch neutral sein, soll er der „Unparteiische“ sein, der die Einhaltung der Regeln überwacht und eingreift, wenn jemand sie verletzt. Dann gibt es eine Strafe – einen Freistoß für die anderen, eine Gelbe oder gar eine Rote Karte für den Übeltäter.
Manche sehen Gott auch in so einer Rolle. Er thront über allen und achtet auf die Einhaltung der Regeln – mit Gnade und Barmherzigkeit für die einen, mit Strafe und Höllenqualen für die anderen – Rote Karte für immer. So weit, so gut. Das sah man auch zur Zeit Jesu so – auch wenn damals noch kein Fußball gespielt wurde.
Wozu erzählt Jesus nun noch dieses Gleichnis? Aufforderungen zur Nächstenliebe waren Jesu Zuhörern/innen aus dem Alten Testament hinlänglich bekannt. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter war vielleicht auch schon erzählt. Was ist hier neu?
Nun, einiges … Jesus sieht Gott in einer anderen Rolle. Er steht nicht über oder zwischen denen, den es gut geht, den Reichen, die andere unterdrücken, auf der einerseits und denen, den es schlecht geht, die unterdrückt werden, auf der andererseits. Gott ist „Partei“,ist parteiisch.
Bei Jesus sagt Gott: „Ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ Bei Jesus identifiziert sich Gott, setzt sich gleich mit denen, die arm dran und unterdrückt sind – und zwar nicht nur mit den Brüdern, sondern auch mit den Schwestern, denke ich.
Das muss man sich mal vorstellen: Wer dafür sorgt oder untätig zulässt, dass es anderen schlecht geht, der sorgt dafür, der lässt es zu, dass es Gott schlecht geht. Und Jesus setzt noch einen drauf. Die Liebe zu Gott und die Liebe zum Mitmenschen sind eins!
Nicht nur diejenigen verurteilt er, die aktiv dafür sorgen, dass es anderen schlecht geht. Nein! Auch die, die einfach vorbeigehen, wegsehen, die Hände in den Schoß legen und nichts tun, um die Lage der Menschen zu verbessern, denen es schlecht geht – auch die verurteilt er!
Das gilt nicht nur für den Umgang mit den Menschen in meiner unmittelbaren Nähe. Das hat auch eine politische Seite.
In Lateinamerika entstand die sog. Theologie der Befreiung. Sie versteht sich als „Stimme der Armen“ und will zu ihrer Befreiung von Ausbeutung, Entrechtung und Unterdrückung beitragen. Christen/innen, die so denken und handeln, begründen das z.B. mit der alttestamentlichen Erzählung von Moses. Der führt das von den Ägyptern unterdrückte Volk der Israeliten aus Ägypten in die Freiheit. Hier erscheint der Gott Israels als der, „der das Elend seines Volkes sieht und die Schreie über ihre Bedränger hört“ (2 Mose 3,7) – und ihnen einen Weg in das gelobte Land zeigt und sie dorthin begleitet. Auch die at.-lichen Propheten vertreten diese Linie, vor allem Amos.
Dies wird im Neuen Testament ebenfalls gleich zu Anfang bekräftigt, wo Maria als dankbares Lob für die ihr zugesagte Geburt Jesu singt: „Gott stößt die Mächtigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.“ – (Lk 1,53 EU) (vgl. Wikipedia)
Das Gleichnis vom Weltgericht ist nach wie vor von großer Bedeutung. In der Kirche wurde die Vorstellung von den „7 Werken der Barmherzigkeit“ entwickelt:
Die tradierte Aufzählung umfasste ursprünglich die folgenden Werke der Barmherzigkeit:
* Hungernde speisen
* Dürstenden zu trinken geben
* Nackte bekleiden
* Fremde aufnehmen
* Kranke besuchen
* Gefangene besuchen
* Tote begraben (später hinzugefügt)
Wir finden das wieder in den großen Hilfsorganisationen der christlichen Kirchen: In Deutschland gilt das für das Diakonische Werk (ev.) und die Caritas (kath.), international gilt es für „Brot für die Welt“ (ev.) und Misereor (kath.). Aber – auch wenn es diese Organisationen gibt: Auch jeder einzelne bleibt aufgefordert, in diesem Sinne aktiv zu werden. Auch wir in St.Johannis – und ab nächstem Jahr gemeinsam mit St.Pankratius.
Und was ist mit dem Schluss - der Drohung mit dem Gericht und der Höllenstrafe (Mt 25,41)?
Ich denke schon, dass jeder sich seinem Versagen in Sachen Nächstenliebe stellen muss. Das kann durchaus schon vor dem Tod der Fall sein – und es kann quälend sein. Gewissensbisse ist noch ein harmloser Ausdruck dafür.
Ob sich nach dem Tod jene Vorstellungen von der Hölle erfüllen werden? Vielleicht es doch so, wie ich es auf der Website katholisch.de gefunden habe:
Ein Mann wird nach seinem Tod von Petrus nicht in den Himmel gelassen, sondern in die Hölle geschickt. Dort findet er sich in einer Lounge. Die Wände … strahlend weiß; ihm gegenüber … eine Bar ... Alle tragen weiße Anzüge und angenehme Musik ertönt im Hintergrund. Da kommt ein Mann auf ihn zu und sagt: "Herzlich willkommen in der Hölle. Ich werde Ihnen Ihr Zimmer zeigen". - "Was ist denn mit all dem Feuer, den Qualen und dem ganzen Zeug?" fragt der Verstorbene.
Der Mann im weißen Anzug seufzt und befiehlt ihm mitzukommen. Sie kommen zu einer Nische mit Holzwand, in der ein Guckloch ist. Als der Verstorbene hindurchblickt, sieht er all die Höllenqual, welche man ihm einst angedroht hat. "Genau das meinte ich: Die Hölle", sagt der Verstorbene. Antwortet der andere Mann: "Das ist für die Christen, die wollen das so". (Erzähl doch mal einen Witz! - katholisch.de)
Die Vorstellung von Himmel und Hölle stammt aus einer anderen Zeit. Als ehemaliger Lehrer weiß ich, dass Angst vor Strafe ein schlechter Lehrmeister ist. Damit kann man das Denken und Handeln der Menschen nur kurzzeitig beeinflussen – und man muss sie ständig kontrollieren und die Angst immer wieder neu schüren.
Ich denke, es kommt anders: Gott weiß um meine Liebe. Und um mein Versagen in der Liebe. In gänzlicher Unvollkommenheit bin ich bei Gott. Und wie geht Gott mit mir um?
In seinen samstäglichen Videos spricht unser Pastor in seinem Abendgebet immer folgenden Satz: „Geleite uns zur Ruhe der Nacht und dereinst zur ewigen Vollendung.“
Gottes Liebe umfängt mich und vollendet mit seiner Liebe meine Lieblosigkeit. Und im Bewusstsein meiner unvollkommenen Liebe und der Liebe Gottes zu mir kann ich so getrost versuchen, Liebe zu verschenken.
Martin Luther hat es so gesagt: Gott ist ein glühender Backofen voller Liebe, der da reicht von der Erde bis in den Himmel (Martin Luthers siebte Invokavitpredigt 1522).
Und wenn ich wie ein Brot aus diesem Ofen der Liebe komme, kann ich andere wärmen, nähren, ihnen Gutes tun – ganz einfach, weil ich weiß, dass ich geliebt bin. Gottes Liebe muss ich mir nicht erst verdienen, sondern kann sie einfach weitergeben.
Gebet: In unserem Gesangbuch steht das Lied „Ins Wasser fällt ein Stein“ (EG 603).
603:1 Ins Wasser fällt ein Stein, ganz heimlich, still und leise: und ist er noch so klein, er zieht doch weite Kreise. Wo Gottes große Liebe in einen Menschen fällt, da wirkt sie fort in Tat und Wort hinaus in unsre Welt.
603:2 Ein Funke, kaum zu sehn, entfacht doch helle Flammen, und die im Dunkeln stehn, die ruft der Schein zusammen. Wo Gottes große Liebe in einem Menschen brennt, da wird die Welt vom Licht erhellt; da bleibt nichts, was uns trennt.
603:3 Nimm Gottes Liebe an. Du brauchst dich nicht allein zu mühn, denn seine Liebe kann in deinem Leben Kreise ziehn. Und füllt sie erst dein Leben und setzt sie dich in Brand, gehst du hinaus, teilst Liebe aus, denn Gott füllt dir die Hand.
Gott, hilf uns dass es so wird, dass wir unseren Teil zu so einer Entwicklung beisteuern.