Freitags 5nach6 - Spielräume gewinnen

14. Januar 2022

294 5nach6_14.01.22 Spielräume gewinnen 1 bewegt                                  Ps 23

Quelle: Gottesdienst-Institut der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Dr.A.Hennersperger u.a. Spielräume gewinnen - bewegt – Andacht zum Advent (Art.-Nr.2177), Nürnberg, 2021 – Zitate kursiv

Bildquelle: A.Zappe, The step in between Art.-Nr. 2170 © Annette Zappe www.annettezappe.de Veröffentlicht bei Gottesdienst-Institut der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, shop.gottesdienstinstitut.org

Fundort im Shop des Gottesdienstinstituts: https://shop.gottesdienstinstitut.org/adventskarte-1-bewegt.html

Und plötzlich weißt du: Es ist Zeit, etwas Neues zu beginnen und dem Zauber des Anfangs zu vertrauen! Ein starker Satz! Er stammt von dem mittelalterlichen Mystiker und Gottsucher Meister Eckart. Ein Satz so recht für den Beginn eines neuen Jahres.

Aber es gibt diese Momente, dieses „plötzlich weißt du“ auch zwischendurch. Da fällt es mir wie Schuppen von den Augen, ich sehe klar und weiß, dass in einem Punkt etwas anders, dass ich an einer Stelle anders werden und etwas neu anfangen muss. Das ist u.U. noch mehr als die üblichen Vorsätze zu Jahresbeginn …

Ich möchte mit Ihnen mit Hilfe von vier Bildkarten des Nürnberger Gottesdienstinstituts in die ersten Wochen des Jahres einsteigen. Sie zeigen vier Bronzefiguren der Kemptener Kirchenmalermeisterin Annette Zappe. Mit ihren Figuren – so schreibt sie selbst – spürt sie im Wechselspiel von Figur und Raum den existenziellen, grundlegenden Fragen des Lebens nach (S.4).

Die heutige Figur trägt den Titel „The step in between“, also etwa „Der Schritt dazwischen - in den Zwischenraum oder die Zwischenzeit“. Die Andacht selbst trägt – wie die Postkarte, die Sie in Händen haben - die Überschrift „bewegt“.

Und wenn ich mir die Frau so anschaue – die erlebt so einen Moment, wie Meister Eckart ihn beschrieben hat, ja, sie scheint mittendrin.

Mit durchgedrücktem Rücken, in aufrechter Haltung, mit klarem Blick nach vorn, mit entschlossenem Schritt und rafft sie ihr Gewand, um nicht zu stolpern, durchschreitet sie mutig und zielstrebig den Durchgang zu etwas Neuem. Während die Spitze des einen Fußes sich noch auf das Vergangene stützt, hat sie die Schwelle zum Neuen aber doch schon größtenteils überwunden und setzt die Spitze des anderen Fußes schon im Neuen auf.

Offensichtlich geht sie auf etwas Helles zu, denn sie wirft Schatten auf das, was hinter ihr liegt. Und in meinen Augen geht sie mit etwas schwanger. Vielleicht erwartet sie tatsächlich ein Kind, sicherlich aber hat sie etwas im Sinn, geht mit etwas schwanger, „brütet etwas aus“. Jedenfalls taumelt sie erkennbar nicht orientierungslos in das Neue hinein.

So wie diese Frau wünsche mir, wünsche ich uns, in das neue Jahr hineingehen zu können, hoffnungsvoll auf Möglichkeiten blicken und gestärkt losgehen zu können.

Die Frau ruft Fragen in mir wach am Anfang des neuen Jahres …

 

Woher komme ich?

Was lasse ich hinter mir – leider oder Gott sei Dank? Was hat mich geprägt, was nehme ich mit? Ist es Last oder erleichtert es mir das Voranschreiten?

Wer bin ich – im Vergleich zu dieser Frau? Wenn das Bild ein Filmausschnitt wäre, dann hätte dieser Film Bilder vor dem Durchschreiten des Tores, während und nach dem Durchschreiten des Tores. Wo wäre ich in diesem Film? Die Körperhaltung und das, was diese Körperhaltung aussagt, habe ich vorhin beschrieben. Wie ist meine Körpersprache zurzeit? Was drücke ich aus? Was geht von mir aus?

Dabei – diese Frau ist nicht Superwoman! Wenn ich die Seite 1 der Karte anschaue, sehe ich die Risse, Löcher, Falten, Sprünge in der Oberfläche des Materials. Diese Frau ist gezeichnet, die hat etwas mitgemacht, durchgemacht. Was wohl?

Wohin gehe ich? Die Gestaltung der Innenseite mit der Frauenfigur von Annette Zappe und dem Gedanken von Meister Eckart hat ihre ganz eigene Botschaft.

Das leicht Gräuliche der linken Seite wird nach rechts zunehmend überlagert von einer unbestimmten Helligkeit. Wenn ich jetzt die Worte von Meister Eckart dazu nehme, dann lässt sich die Helligkeit näher bestimmen.

Der Frau gehen angesichts der Helligkeit schlagartig die Augen auf, sie weiß, sieht klar.
Die Frau geht auf etwas zu, dass zauberhaft ist, dass sie verzaubert, wider Erwarten anders, neu ist oder sie anders, neu sein lässt (das ist ja das Besondere an Zauberei).
Die Frau geht auf etwas oder jemanden zu, dem sie vertrauen kann.

Da ist Hoffnung im Spiel! Worauf gründet diese Hoffnung?

Nun, z.B. auf dem, was wir gerade an Weihnachten gehört haben (Lk 2, 10 – 14 i.A.):

10Der Engel sagte …: »Fürchtet euch nicht! Hört doch: Ich bringe euch eine gute Nachricht, die dem ganzen Volk große Freude bereiten wird.11Denn heute ist in der Stadt Davids für euch der Retter geboren worden: Er ist Christus, der Herr…. Gottes Herrlichkeit erfüllt die Himmelshöhe! Sein Frieden kommt auf die Erde zu den Menschen, denen er sich in Liebe zuwendet!«

Die Hirten machen sich daraufhin auf den Weg nach Bethlehem. So kann man sie getrost als Vorläufer der Frau auf unserer Karte bezeichnen! Und sie sind nicht allein!

Der Mörder Kain bewegt sich unter Gottes Schutz und kann weitab vom Tatort neu anfangen.

Der zweifelnde Abraham vertraut einer göttlichen Verheißung und bricht auf, bewegt sich.

Mose, der Totschläger, wird mutlos, als er auf Geheiß Gottes eine Führungsrolle übernehmen soll – und dann bewegt er sich doch.

Josef, verraten und verkauft wegen seines Angebertums, bewegt sich, verändert sich und bewegt Großes.

Propheten, oft verzweifelnd an sich und ihrem Volk, bewegen sich und viele andere bis auf den heutigen Tag.

Maria und Josef werden von der römischen Besatzungsmacht gezwungen sich zu bewegen und mit der Geburt ihres Kindes kommt Bewegung in die Welt.

Jesus bewegt sich als Wanderprediger durch Israel – zwischen Hosianna und „Kreuzigt ihn!“ - und bringt so viel in Bewegung.

Und die Reihe ließe sich fortsetzen bis in unsere Tage – und vermutlich auch noch darüber hinaus.

Und dahinter steckt der, von dem wir glauben, dass letztlich er derjenige ist, der alles in Gang gesetzt, der alles in Bewegung gebracht hat. Gott.

Das Christentum ist – zusammen mit dem Judentum – eigentlich eine „Unterwegs-Religion“. Die Menschen sind in ihrem Glauben und in der Welt unterwegs. Und immer ist ihr Gott dabei.

Die alttestamentliche Überlieferung von der Bundeslade zeigt es: Sie enthielt angeblich unter anderem die zwei Steintafeln mit den Zehn Geboten, die Mose von Gott erhielt. Die Bundeslade galt nach dem Auszug aus Ägypten und während Israels Wüstenwanderung und der sogenannten Landnahme als Garant für Gottes Gegenwart inmitten des wandernden Volkes.

Das aussagekräftigste Bild von Gott, der mit uns unterwegs ist, ist für mich Ps 23. Der Herr ist mein Hirte. Er will mich bewegen und als Hirte begleiten, wenn ich unterwegs bin. 

Unsere Frau jedenfalls wurde bewegt, ist bewegt, bewegt sich und bewegt andere. Ihren Anblick jedenfalls finde ich bewegend. Und er lässt mich zuversichtlich in das neue Jahr hineingehen. Und vielleicht bewegt unsere Frau ja auch unsere Kirche im Jahr 2022.

Gebet: Vertraut den neuen Wegen (EG 395)

395:1 Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist, weil Leben heißt: sich regen, weil Leben wandern heißt. Seit leuchtend Gottes Bogen am hohen Himmel stand, sind Menschen ausgezogen in das gelobte Land.

395:2 Vertraut den neuen Wegen und wandert in die Zeit! Gott will, dass ihr ein Segen für seine Erde seid. Der uns in frühen Zeiten das Leben eingehaucht, der wird uns dahin leiten, wo er uns will und braucht.

395:3 Vertraut den neuen Wegen, auf die uns Gott gesandt! Er selbst kommt uns entgegen. Die Zukunft ist sein Land. Wer aufbricht, der kann hoffen in Zeit und Ewigkeit. Die Tore stehen offen. Das Land ist hell und weit.