Freitags 5nach6 - Ostern 2

12. April 2024

377 5nach6 12.04.2024 Ostern          Ps 118

Erinnern Sie sich noch an das Auferstehungsbild von Michael Triegel, das in der Johanniskirche in Plauen hängt?

Ein Vorhang ist geöffnet. Hinter dem Kreuz von Karfreitag geht es plötzlich weiter! In der Mitte der auferstandene Christus in Siegerpose. Links Adam und Eva, die in freudiger Erwartung in die Mitte schauen: Alles wird anders! Auch die zeitgenössische Holzfigur rechts wendet den Kopf zu dem, was unglaublich erscheint: Jesus ist auferstanden und kommt auf uns zu.

Ich denke, auch wir heute haben nur zu oft einen Vorhang vor unseren Augen, der uns den Blick nimmt auf den Auferstandenen und was das für uns bedeutet. Unser Vorhang ist gewebt aus Ängsten und Sorgen, Leid und Not, Stress u.v.a.m.

Aber hinter diesem Vorhang kommt der Auferstandene auf uns zu.

Und wenn unser Vorhang geöffnet ist – es gibt diese Zeiten ja durchaus auch – wie kommt Jesus auf uns zu? Im Lendentuch, barfuß und mit dieser Fahne in der Hand? Eher nicht, vermute ich.

Wie kann ich Jesus, wie kann ich Gott heute erkennen? Eine Frage, die Menschen sich immer wieder gestellt haben und stellen.

Der russische Schriftsteller Leo Tolstoi hat sie so beantwortet (freie Wiedergabe):
 
Martin, der Schuster

Es war einmal ein armer Schuster, der hieß Martin und lebte in einem Keller. Durch das kleine Kellerfenster konnte er die Menschen sehen, die draußen vorübergingen. Zwar sah er nur ihre Füße, doch erkannte er jeden an seinen Schuhen. Fast alle diese Schuhe hatte er schon in seinen Händen gehabt.
Schon seit vielen Jahren arbeitete Martin in dem Keller, der ihm zugleich Werkstatt und Wohnung war. Von morgens bis abends schnitt er Leder zurecht, nagelte neue Sohlen auf die Schuhe. Die Leute kamen gern zu Martin, denn er machte seine Arbeit gut und verlangte nicht zu viel Geld dafür.
Wenn der Advent kam und es draußen dunkel wurde, zündete Martin die Lampe an und las in seinem Lieblingsbuch. Es war die Bibel mit den vielen Geschichten von Jesus.
Eines Abends, als er schon eine Weile in der Bibel gelesen hatte, hörte Martin, wie ihn jemand rief. „Martin“, klang es plötzlich ganz leise an seinem Ohr. Er blickte sich um. Aber niemand war in seiner Werkstatt. Doch gleich darauf hörte er die Stimme wieder: „Martin! Schau morgen hinaus auf die Straße! Ich will zu dir kommen.
Martin dachte, er habe geträumt. War es Jesus, der aus der Stille zu ihm sprach?
Am nächsten Morgen sah Martin vor seinem Fenster ein Paar alte, geflickte Soldatenstiefel und bald erkannte er auch den Mann, der sie anhatte.

 

Es war der alte Stephan. Er schaufelte gerade den Schnee von der Straße. Die Arbeit strengte ihn sehr an. Er musste immer wieder stehen bleiben, um sich auszuruhen. Martin hatte Mitleid mit dem armen Mann und rief ihn zu sich herein.

„Komm herein, Stephan! Wärme dich in meiner Stube! Setz dich zu mir an den Tisch! Ich will dir ein Glas Tee einschenken. Der wird dir gut tun!“ Dankbar setzte Stephan sich.

Als Stephan gegangen war, schaute Martin bei der Arbeit wieder aus dem Fenster. Da sah er eine junge Mutter mit einem kleinen Kind auf den Armen. Die Frau fror in ihrem dünnen Kleid. Sie versuchte, ihr Kind vor dem kalten Wind zu schützen. 
„Komm herein, Frau!“ rief Martin ihr zu. „Hier drin kannst du dein Kind besser wickeln.“
Martin nahm die Suppe vom Herd, die er für sich selber gekocht hatte, und gab sie der Frau. „Hier, iss etwas,“ sagte er, denn er sah der Frau an, dass sie Hunger hatte.
Während die Mutter die Suppe aß, nahm Martin das Kind auf seinen Schoß und versuchte, es durch allerlei Späße zum Lachen zu bringen. Dann gab er es der Mutter zurück.

Kaum war die Mutter mit dem Kind gegangen, da hörte Martin ein Geschrei vor seinem Fenster. Eine Marktfrau schlug auf einen kleinen Jungen ein, der einen Apfel aus ihrem Korb gestohlen hatte. „Warte nur, du Dieb! Ich bring dich zur Polizei“, schrie sie wütend und zerrte den Jungen an den Haaren. Sofort rannte Martin auf die Straße hinaus. „Lass ihn doch laufen“, sagte er zu der Frau. „Er wird es bestimmt nicht wieder tun. Den Apfel will ich dir bezahlen.“ Da beruhigte sich die Frau und der Junge musste sich bei ihr entschuldigen, weil er den Apfel gestohlen hatte. „Schon gut“, sagte die Marktfrau und ging weiter. Der Junge aber half ihr, den schweren Apfelkorb zu tragen.

Am Abend las Martin wieder in seiner Bibel. Da hörte er wieder die Stimme: „Martin, ich bin bei dir gewesen. Hast du mich erkannt?“ „Wann? Wo?“, fragte Martin erstaunt. „Schau dich einmal um“, sagte die Stimme. Da sah Martin plötzlich den alten Stephan im Licht der Lampe stehen und daneben die junge Mutter mit ihrem Kind. Auch den Jungen mit dem Apfel sah er und die Marktfrau mit dem Korb am Arm. „Erkennst du mich jetzt?“ flüsterte die Stimme. Dann waren alle auf einmal verschwunden.
Martin freute sich. Er schlug seine Bibel auf und las, was Jesus gesagt hatte: „Alles, was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25)

 

„Na gut“, denken Sie vielleicht, „Tolstoi, Russland, 19 Jhdt. – aber es kommt doch ein wenig märchenhaft und kitschig daher. Ist doch recht weit weg von heute und von mir.“

Ganz dicht dran an mir war die Geschichte mit Marianne.

Religion, Kl. 7c, Thema „Gott“. Heinz, ein ganz handfester, bodenständiger Typ (heute Schlachtermeister) ist bekannt für seine kritischen Nachfragen. Auch heute meldet er sich: „Herr Gräbig, wie soll man an Gott glauben, wenn man so gar keinen Anhaltspunkt dafür hat, wie er aussieht, wie er so ist? Ich meine einen Anhaltspunkt außerhalb der Bibel und den Bildern in der Kirche.“

Die Pausenklingel rettet den noch relativ unerfahrenen Religionslehrer, der ich damals noch war. Aber mir ist klar, dass ich Heinz nicht auf die nächste Relistunde vertrösten konnte. In der nächsten Stunde steht Deutsch auf dem Plan, aber Heinz würde mit Sicherheit nachhaken, weil hinter der Frage ein wirkliches Interesse steckte – und das sowieso allemal besser war, als Rechtschreibregeln zu erarbeiten und zu üben.

Dumm nur, dass ich in der folgenden Großen Pause Hofaufsicht habe. Kein Job, bei dem man sich großartige theologische Gedanken machen kann, dachte ich.

Auf dem Schulhof. Konstanze ist heute neu in unsere Klasse gekommen. Jetzt geht sie mit den anderen in die Pause auf den Schulhof. Allein steht sie da, mit niedergeschlagenen Augen. Argwöhnisch beobachten die anderen sie. Sie stecken die Köpfe zusammen und tuscheln.

Marianne ist nicht nur eine gute Schülerin, sie ist auch eine herzensgute Schülerin. Sie löst sich aus dem Kreis ihrer Freundinnen, geht auf die Neue zu und sagt: „Ich bin Marianne. Woher kommst du denn? Und wo wohnst du jetzt?“

Sie wusste nicht, wie die Freundinnen auf ihren Schritt reagieren würden, sie wusste auch nicht, wie die Neue reagieren würde. Sie öffnete ihr Herz für die Neue, fasste sich ein Herz, ging auf die Fremde zu, weil ihr deren offensichtliche Not zu Herzen ging.

Zu Beginn der Deutschstunde – Heinz hat schon die Hand gehoben – sage ich: „Ich weiß jetzt, wie Gott ein bisschen aussieht und wie er so sein kann. Vorhin auf dem Schulhof habe ich Gott gesehen! (Großes Geraune) Ja, einmal sah er ein bisschen aus wie Marianne und dann auch wie unsere neue Mitschülern Konstanze.“

Es entwickelte sich eine hochinteressante Stunde – allerdings ohne Rechtschreibregeln.

Jemand der Gottes- und Menschenbegegnungen sehr einfach und in unseren Lebenszusammenhängen darzustellen weiß, ist Susanne Niemeyer (dies., Zu Hause, in: Andere Zeiten e.V., Wandeln – Fastenwegweiser 2024, Hamburg, 2024, S.102):

 

Als Gott am Bahnhof ankommt, hat die Blaskapelle gerade Aufstellung genommen und die Pfadfindergruppe „Kleine Füchse“ ihre Wimpel ausgerollt. Der Frauenkreis hat fünf Kuchen gebacken. Am Himmel türmen sich Wolken, die den Bürgermeister besorgt aussehen lassen. Als der Zug einfährt, breitet sich eine heilige Stille aus. Nur die Räder quietschen. Dann öffnen sich die Türen.
Eine Dame mit einem etwas verrückten Hut steigt aus. Zwei Männer mit einem quengelnden Kind. Der Zugbegleiter, der sich schnell eine Zigarette anzünden will, davon jedoch wieder Abstand nimmt, als ihn die drohenden Blicke des Frauenkreises treffen.
Weiterhin steigen aus: ein Rucksackträger samt Hund.

Der Bürgermeister sieht ratlos von einem zur anderen. Die Blaskapelle gibt zwei unsichere Töne von sich. Der Hund macht „wuff“. Das Kind ruft „Alle einsteigen!“ Die Dame lächelt. Der Frauenkreis rätselt, wer von diesen Leuten Gott sein soll.

Nur die Wolken zeigen sich unbeeindruckt und ziehen. Gott sieht einer Taube nach, fühlt sich zuhause und mischt sich unter die Leute.


Vermutlich nicht wie im Auferstehungsbild von Michael Triegler … aber egal, ob im Evangelium des Matthäus, bei Tolstoi, in der Klasse 7c oder bei Susanne Niemeyer. Gott kommt uns entgegen im Mitmenschen, dem Bedürftigen, aber auch dem Helfenden.

Und wir sind entweder holzköpfig auf uns bezogen wie die rechte Figur in Trieglers Bild. Oder wir sind mitfühlend und hilfsbereit wie der Schuster Martin. Oder wir sind einfach offen für Begegnungen mit Gott, dem immer wieder ganz anderen, der uns unversehens ganz nahe kommen kann.  

5nach6 -frei Haus- Download als PDF-Datei

Auf der Seite "St.Johannis" kann die Andacht heruntergeladen werden.
Klicken sie einfach auf den nachstehenden Link:

St. Johannis Königsdahlum