Freitags 5nach6 - Es ist Krieg 6

08. April 2022

299.7 5nach6 08.04.2022_ Es ist Krieg 6                       Ps 91

Quellen: (1) G.-M. Hoeffchen, In uns das Gesetz des Dschungels überwinden, in: Ev. Zeitung, 27.03.22, S.4f – Zitate kursiv
 (2) A.v.Legat, Die Macht des Helfens, in: Ev. Zeitung, 27.03.22, S.16 – Zitate kursiv

 Der Krieg brennt nieder. Er walzt platt. Zerstört Völker und Länder. Aber er ordnet die Dinge auch neu. Wie ein Rodungsbrand, der im Wald Platz schafft für neues, frisches Gewächs.

So ungefähr mag der der griechische Philosoph Heraklit gedacht haben, als er vor 2500 Jahren den Satz erdachte, der seitdem wie ein Dorn im Fleisch aller schmerzt, die über den Frieden nachdenken. Der Krieg ist der Vater aller Dinge!

Krieg ist eine Katastrophe und doch muss die Geschichtswissenschaft feststellen, dass große Veränderungen meist durch Kriege und Revolten eingeleitet wurden … Darunter mag man leiden wie der große Denker Immanuel Kant, der schon im 18. Jhdt. den Krieg als „Zerstörer alles Guten“ beklagte. Aber gleichzeitig gestand er ein, dass diese Zerstörung notwendig sein könne, um ein „Fortschreiten zum Besseren“ in Gang zu setzen.

Hm, sollen wir den 2. Weltkrieg gutheißen, weil sein Ende die Befreiung von der Nazi-Diktatur brachte und unserer Wohlstands-Demokratie den Weg bereitete?

Eine hochumstrittene Sichtweise. Denn sie verhöhnt scheinbar alles, was menschliche Zivilisation nach zwei Weltkriegen eigentlich ausmachen sollte: Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.

Der Gedanke, dass Krieg, dass Zerstörung des Bestehenden den Aufbau von neuem ermöglicht, hat auch in der Wirtschaft Einzug gehalten. „Zerstörung“ alter Produktionsweisen, bestehender Betriebsabläufe und ganzer Firmen waren oft die Voraussetzung dafür, dass etwas Neues entstehen konnte. Schöpferische oder kreative Zerstörung nennen Wirtschaftswissenschaftler das. Betroffene nennen das u.U. Druck am Arbeitsplatz, Angst, Arbeitslosigkeit, Umschulung, Einkommensverluste …

Was nach der schöpferischen Zerstörung kommt, hat also mindestens zwei Seiten …

Zurück zum Krieg. Warum gibt es ihn? Die Bereitschaft und Fähigkeit zur Gewaltausübung scheinen zur Grundausstattung des Menschen zu gehören. Schon die Bibel hält das in ihrer Urgeschichte fest. Der Ackerbauer Kain erschlägt seinen Bruder, den Hirten Abel - ein Kampf um Lebensgrundlagen und Anerkennung.

Als der Mensch … zum Fleischfresser wurde, musste er das Töten lernen – wie andere Lebewesen das auch müssen. Eigenes Leben erhalten heißt: anderes Leben auflösen, in sich aufnehmen. Damit das Lebewesen das auch wirklich tut … hat es einen Mechanismus der Belohnung in sich: das zutiefst zufriedenstellende Gefühl des Sattseins, des Beute-Machens … Auf dieser Stufe spielt die Frage nach richtig oder falsch keine Rolle.

… Dieses Töten, um zu leben, ist heute in vielen Gesellschaften ausgelagert worden in spezielle Arbeitsbereiche. Die wenigsten Menschen sehen noch wie ihr Fleisch auf den Teller kommt. Sie sind dem eigentlichen Töten entfremdet. Es gibt anerkannte Berufe wie Schlachter. Und auch Polizisten und Soldaten, die im Zweifelsfall töten müssen, haben ihren anerkannten Platz in der Gesellschaft.

Krieg ist die gemeinschaftlich organisierte Fortsetzung des Verlangens: Ich nehme mir, was mir aus meiner Sicht zum Überleben notwendig erscheint bzw. was mir zusteht. Wobei zwischen „notwendig erscheint“ und „mir zusteht“ schon ein gewaltiger (!) Unterschied besteht.

Nun hat der Mensch im Laufe der Zeit eine Sonderrolle unter den Geschöpfen entwickelt:

  1. Er kann unglaublich wirksame Mittel und Strategien ersinnen, um andere zu zerstören. Am Anfang stand Kains Stein. Jetzt gibt es … Atombomben.
  2. Der Mensch hat ein Gewissen entwickelt. Verstand und Vernunft versetzen ihn in die Lage, über sein Handeln nachzudenken … auch gerade beim Töten. Der Mensch entwickelt Moral und Ethik. Er hat also Vorstellungen davon, was richtig oder falsch, gut oder böse ist. Er hat damit die Chance, Gewalt einzudämmen.

Der Mensch ist zu beidem fähig … zu extremer Schonungslosigkeit und Grausamkeit … aber auch zu großem Mitgefühl … bis hin zu selbstloser Aufopferung, Mitleid, Nächstenliebe, wie es die Erzählung vom Barmherzigen Samariter lehrt.

So zwiespältig ist der Mensch! Aber welche Seite setzt sich durch?

Es gibt die Erzählung nordamerikanischer Ureinwohner: In der Brust des Menschen wohnen zwei Wölfe. Der eine bringt Dunkelheit, Misstrauen, Angst und Gewalt. Der andere bringt Licht, Hoffnung, und Liebe. Die entscheidende Frage ist: Welchen von beiden willst du füttern?

Gewalt und Krieg sind kein natürliches oder gottgegebenes Schicksal, sagt der israelische Geschichtswissenschaftler Yuval Noah Harari. Sie können überwunden werden …

Dieses Gesetz des Dschungels könne der Mensch überwinden, sagt Harari. Ein Beweis: Europa. Der Kontinent, der über Jahrhunderte von den schrecklichsten Kriegen geprägt wurde, habe es nach 1945 geschafft, zu Frieden und Verständigung zu finden.

Oder hat Europa seine Kriege nur ausgelagert – in andere Kontinente, in andere Bereiche, z.B. in das Feld der Wirtschaft? Wie auch immer: Tatsache ist, dass wir Deutschen in der längsten Friedenszeit gelebt haben, die es jemals gab in Europa.

Es braucht viele weise Menschen, um Frieden zu schließen … und zu erhalten ... , aber nur einen Bösewicht, um einen Krieg loszutreten, sagt Harari.

Dennoch, so Harari, sei aus seiner Sicht völlig klar: Die Aufgabe der menschlichen Zivilisation sei, Frieden zu schaffen ... Wie kann es dazu kommen?

Die Menschheit muss sich verbindlich auf gewaltlose Wege der Konfliktbewältigung verpflichten.

Die Menschheit muss versuchen, Ursachen für Konflikte zurückzufahren: Ausbeutung, Spaltung in Arm und Reich, Zugang zu Lebensgrundlagen … Teilhabe, Interessenausgleich, Toleranz gegenüber „dem Anderen“ auch bei unterschiedlichen Vorstellungen von Werten, Kultur, Weltsicht und Religion. Statt der eigenen Gruppe, der eigenen Nation muss die Weltgemeinschaft ins Bewusstsein rücken. Denn Krieg funktioniert immer nach dem Motto: WIR gegen DIE. Die Europäische Union war da tatsächlich eine kleine Erfolgsgeschichte.

Will der zivilisierte homo sapiens der „weise Mensch“ sein, der durch die Kraft von Verstand, Vernunft, Humanität und auch Religion erkennt: Gewalt und Krieg sind Teil seiner unerlösten Natur. Seine Aufgabe und die der gesamten Menschheit ist es, bei dem urtümlichen Trieb zur Gewalt nicht stehenzubleiben, sondern etwas Besseres daraus zu machen.

Alles, was es dazu braucht, ist bereits da: Erkenntnis, Einsicht, Anleitungen und Wege, auch gerade in den Religionen; und zwar in allen Religionen, wenn man denn richtig hinschaut. (1)

Und es geschieht ja: Das Entsetzen über den Krieg in der Ukraine lähmt nicht nur. Es setzt auch Kräfte frei, die die andere Seite des Menschseins zeigen: Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe, Herzensgüte … Überall werden Menschen aus der Ukraine mit offenen Armen aufgenommen, auch in unserem Landkreis, auch in Bockenem. Inzwischen sind es Millionen Menschen, die fliehen – und doch lässt die Hilfsbereitschaft nicht nach …

Dieses Helfen tut gut – denen, die Hilfe bekommen, aber auch denen, die sie geben. Es schafft mitten in der eigenen Rat- und Machtlosigkeit das Gefühl, etwas Sinnvolles tun zu können … Es scheint, als wolle ein Teil der Welt dem russischen Diktator und seinen Helfershelfern zeigen, dass es ein Gegengewicht zu seiner kalten Unmenschlichkeit gibt. Wer hilft, stellt dem Bösen etwas Gutes entgegen und schickt damit ein Zeichen in die Welt: Die Logik der Gewalt lässt sich durchbrechen. Auch Mitmenschlichkeit ist eine Macht (2)  - nicht zuletzt deshalb, weil sie weiter denkt, über den Krieg hinaus.

Zwei Wölfe trägt der Mensch in seiner Brust. Es kommt darauf an, welchen er füttert.

Oder – wie ein Kabarettist es neulich formulierte: Wenn der Krieg der Vater aller Dinge ist, ziehe ich eben zu meiner Mutter.   

 

Gebet: (Ökumenisches Friedensgebet 2022, nach: Seesener Beobachter, 25.02.22)

Gütiger Gott, wir sehnen uns danach,
miteinander in Frieden zu leben.
Wenn Egoismus und Ungerechtigkeit überhandnehmen,
wenn Gewalt zwischen Menschen ausbricht,
wenn Versöhnung nicht möglich erscheint,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.
Wenn Unterschiede in Sprache, Kultur oder Glauben uns vergessen lassen,
dass wir deine Geschöpfe sind und
dass du uns die Schöpfung als gemeinsame Heimat anvertraut hast,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.
Wenn Menschen gegen Menschen ausgespielt werden,
wenn Macht ausgenutzt wird, um andere auszubeuten,
wenn Tatsachen verdreht werden, um andere zu täuschen,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt ...
Schenke uns mutige Frauen und Männer,
die die Wunden heilen,
die Hass und Gewalt an Leib und Seele hinterlassen.
Lass uns die richtigen Worte, Gesten und Mittel finden,
um den Frieden zu fördern …
lass unsere Stimmen laut vernehmbar sein
gegen Gewalt und gegen Unrecht. Amen.

Nachträglicher Denkanstoß:

Gemeinsames Wort der Nagelkreuzzentren Hiddensee, St. Marien Stralsund, Ev. Kirchengemeinde Krummin-Karlshagen-Zinnowitz, verabschiedet auf ihrem Treffen am 11.03.2022 in Kloster auf Hiddensee
Beginnend mit dem Friedensgebet am Freitag, den 11. März, 18 Uhr in der Inselkirche fand eine Begegnung von Mitgliedern der Nagelkreuzgemeinden Hiddensees, Stralsund und Usedom statt. Den Teilnehmenden war es wichtig, angesichts Krieges in der Ukraine nicht zu schweigen, sondern als Vertreter der Nagelkreuzgemeinden das folgende Wort öffentlich auszusprechen:

 

„VATER VERGIB!“

Mit tiefem Entsetzen und voller Trauer nehmen wir den Angriffskrieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin und seiner Gewährsleute gegen das Land und die Menschen der Ukraine wahr.
Unser Mitgefühl gilt den unzähligen Opfern dieser barbarischen Tat. Wir denken an all die Menschen, die aus ihrem gewohnten Leben herausgerissen sind, die ihr Leben oder ihr Zuhause verloren haben, die auf die Flucht geraten sind, die als Soldaten in den Krieg hineingetrieben wurden. Wir denken an die Alten und die Jungen, an die Mütter und Kinder, an die Väter und jungen Männer und Frauen, wir denken an Ukrainer und Russen.

Allmächtiger Gott, gekreuzigter Herr, Heiliger Geist, zu Dir beten wir und rufen Dich an. Stehe den Leidtragenden bei. Beende den Wahn. Lass Frieden werden.

 

Dankbar sehen wir die große Hilfsbereitschaft der vielen Menschen in ganz Europa, die ihre Herzen und Türen öffnen für die, die nun Schutz bei uns suchen.
Wir sind dankbar für die Besonnenheit und Klarheit, mit der sich politische Führer in der ganzen Welt bemühen, diesen Krieg nicht eskalieren zu lassen und ihn einem Ende zuzuführen.
Wir sind dankbar für die breite Bereitschaft der Menschen in unserer Gesellschaft, für dieses Ziel auch eigene Opfer zu bringen.

 

Allmächtiger Gott, gekreuzigter Herr, Heiliger Geist, zu Dir beten wir und rufen Dich an. Öffne Wege, die zu Versöhnung und Heilung führen. Schenke Einsicht und Mut, solche Schritte zu wagen. Lass uns Menschen erkennen, was wir wirklich zum Leben brauchen.

 

Unfassbar ist es für uns, dass die Grundfesten der gewachsenen Friedensordnung – in der Europäischen Sicherheitscharta 1999 erneut bekräftigt – zwischen den Völkern Europas so mutwillig und willkürlich niedergerissen wurden.
Wir sehen die Herausforderung, in Europa und in unserer Welt eine neue Sicherheitsarchitektur zu errichten.
Wir erkennen an, dass die Demokratie wehrhaft sein muss. Und doch sind wir erschrocken darüber, wie schnell und einhellig die Lösung auf diese Herausforderung in militärischer Aufrüstung und Stärke gefunden zu sein scheint.
Wir lehnen den Glauben ab, dass mehr Waffen dauerhaft Frieden schaffen. Die Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung halten wir bleibend für gültig. Diese Überzeugung ist in den Zeiten des Kalten Krieges gewachsen und hat zum Frieden geführt. Gerade die Erfahrungen der letzten Tage, die uns die atomare Bedrohung der Welt in neuer Weise gezeigt haben, bekräftigen uns in der Forderung: Es ist alles Erdenkliche zu tun, was das Vertrauen zwischen den Völkern wachsen lässt.
Wir sind dankbar für alle in diese Richtung zielenden Bemühungen der letzten Jahrzehnte und weigern uns, sie nun nachträglich für einen Irrweg zu halten.

Allmächtiger Gott, gekreuzigter Herr, Heiliger Geist, zu Dir beten wir und rufen Dich an.

 

Diese Welt liegt in Deinen Händen. Bewahre sie und lehre uns als Deine Kinder friedlich miteinander zu leben.

 

Das Nagelkreuz ist in Zeiten des Krieges, voll schwerer Not, Unrecht und Gewalt geschaffen, um uns Menschen daran zu erinnern, dass wir alle aus der Vergebung Gottes leben und selbst aufgerufen sind, einander zu vergeben.

Wir stimmen ein in das Gebet: „Vater vergib!“