Freitags 5nach6 - Nach Karfreitag und Ostern

22. April 2022

300 5nach6 22.04.2022_ Nach Karfreitag und Ostern              Ps 118

Erinnern Sie sich noch? Boney M? „At the Rivers of Babylon“? Das war ja nichts anderes als eine eigenwillige Vertonung von Ps 137.

Jerusalem war 586 v.Chr. zerstört worden. Als Gefangene wurden die Einwohner nach Babylonien verschleppt. Was ihnen blieb, war ihr Glaube. In bewegenden Klageliedern brachten sie ihre Not vor Gott. „An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion (unsere Heimat) dachten.“ Auch der Prophet Jeremia, der mit seinem Volk nach Babylon gegangen war, klagte Gott sein Leid (Klgl 1 i.A.).

1,1Ach, wie einsam ist sie geworden, die Stadt, die voller Menschen war. … 2 Sie weint bitterlich in der Nacht, … Ihre Nachbarn ließen sie im Stich … 3 Viele Bewohner … leben jetzt unter fremden Völkern, doch Ruhe und Frieden finden sie nicht. Vor ihren Verfolgern sind sie nicht sicher, … 5Ihre Gegner haben die Oberhand gewonnen, … 6Die Stadt hat ihren Glanz verloren, … 7Jerusalem denkt zurück an bessere Tage, … Dann fiel ihr Volk dem Feind in die Hände, und niemand war da, der zu Hilfe kam. Die Feinde sahen zu und lachten, als es mit der Stadt zu Ende ging. … So übermächtig ist jetzt der Feind. …11Alle Bewohner der Stadt seufzen, verzweifelt suchen sie etwas zu essen … 13Aus der Höhe schickte der Herr Feuer herab, der Schmerz brannte mir in den Gliedern. … Entsetzlich hat er mich zugerichtet, für alle Zeit blutet mir das Herz. …16 Über Jerusalems Unglück muss ich weinen, ... Ich habe niemanden, der mich tröstet. Keiner bringt mir den Lebensmut zurück. Meine Kinder wurden entsetzlich zugerichtet. ... 17Jerusalem erhebt flehend die Hände empor. Doch niemand ist da, der sie tröstet. … Hört doch, all ihr Völker! Seht, welchen Schmerz ich ertrage! … 19Ich rief nach denen, die mich liebten. Doch sie ließen mich im Stich. Meine Priester und meine Ältesten, die kamen ums Leben in der Stadt. Vergebens suchten sie etwas zu essen. Sie wollten doch nur am Leben bleiben. 20Sieh, Herr, wie angst mir ist! ... Es zerreißt mir das Herz im Leib, ... Draußen raubt mir das Schwert die Kinder, im Haus kommen sie um vor Hunger. … 22Bring die bösen Taten der Feinde vor dein Gericht und ziehe sie dafür zur Rechenschaft! … Ach, ich muss immer nur seufzen, und mir blutet das Herz.

Welch ein Leid! Am Karfreitag in der letzten Woche mischten sich die Klagen der Israeliten und Jeremias mit den Worten Jesu: Mein Gott, mein Gott! Warum hast du mich verlassen?!“ Und das Echo hallte wieder in den zerstörten Orten in der Ukraine, in Kiew, in Mariupol und an zu vielen anderen Orten der Welt… Welch ein Leid!

Zu allen Zeiten und in allen Kulturen haben Menschen sich die Frage gestellt: Woher kommt das Leid? Warum fügen Menschen einander so ein Leid zu?

Jeremia hatte mit Blick auf Jerusalem eine klare Antwort: „Denn der Herr selbst stürzte sie ins Unglück als Strafe für ihre vielen Vergehen“ (Klgl 1,5). Und in der sog. Urgeschichte, in der erzählt wird, dass Kain seinen Bruder Abel erschlug, nennen die Priester, die das 1. Buch Mose geschrieben haben, einen weiteren Grund: Das Gefühl, zu kurz zu kommen, nicht anerkannt zu sein, führt zu Eifersucht und letztlich zu Mord und Totschlag. Man sieht Herrn Putin förmlich als Nachahmungstäter …

Auch die griechische Götterwelt hat eine Antwort (nach: Wikipedia): Der Dichter Hesiod erzählt: Der Göttersohn Prometheus hat den Göttern das Feuer gestohlen und den Menschen gebracht. Aus Rache für diesen Diebstahl lässt Göttervater Zeus die verführerisch schöne Pandora erschaffen. Er gibt ihr eine Büchse mit, die alle Übel der Welt, aber auch die Hoffnung enthält. Pandora soll die Büchse den Menschen schenken mit der klaren Ansage, dass sie die Büchse unter keinen Umständen öffnen dürfen. Hermes – nein, nicht der Paketdienst, sondern der Götterbote - bringt Pandora zu Epimetheus, dem Bruder des Prometheus. Prometheus als der „vorher Bedenkende“ warnt ihn davor, Geschenke des Zeus anzunehmen. Doch Epimetheus (der „nachher Bedenkende“) schlägt die Warnung in den Wind und heiratet Pandora. Er öffnet die Büchse, die Zeus Pandora gegeben hat. Daraufhin entweichen aus ihr alle Laster ... Von diesem Zeitpunkt an eroberte das Schlechte die Welt. Zuvor hatte die Menschheit keine Übel, Mühen oder Krankheiten und auch den Tod nicht gekannt. Aber bevor auch die Hoffnung aus der Büchse entweichen kann, wird diese wieder geschlossen. So wird die Welt ein trostloser Ort.

Manchmal ist es interessant, durch die Brille einer anderen Weltanschauung, Kultur oder Religion auf das Eigene – diesmal Karfreitag und Ostern - zu blicken; z.B. durch die Brille des Juden Jeremia und des Griechen Hesiod.

Die Büchse der Pandora, das ist die Möglichkeit in jedem Menschen, anderen Böses anzutun und unsägliches Leid zuzufügen. Wehe uns und - vor allem - wehe anderen, wenn wir diese Büchse in uns öffnen. Da mischen sich dann das Weinen und die Schmerzensschreie der weggeführten Jerusalemer, des gekreuzigten Wanderpredigers auf Golgatha mit dem Weinen und den Schmerzensschreien der Frauen, Männer und Kinder in Kiew, Butscha und Mariupol und an vielen, zu vielen anderen Orten der Welt.

Es scheint, als ob das Böse unaufhörlich und heillos aus dieser Büchse der Pandora herausquillt oder – christlich gewendet – als ob wir in einer Karfreitags-Dauerschleife festhängen - wie in der Warteschleife eines Telefonanschlusses.

Dabei können wir es ja besser wissen. Christen/innen sind ein bisschen wie Prometheus, der Vorausdenkende, der, der über das Jetzt hinaus denken kann. Wir können doch um Ostern wissen! Jeden Tag und nicht nur am ersten Sonntag nach dem ersten Frühjahrs-Vollmond! Wir können wissen, dass da Hoffnung ist – mitten in allem Leid.

Und wir erleben es, jeden Tag! Z.B. wachsen mitten im Leid der Flüchtlinge aus der Ukraine Zeichen der Nächstenliebe.

Halten wir die Büchse der Pandora offen. Stellen wir uns dem, was da an Übel und Leid herausströmt! Wir können das Böse, das Übel nicht unter dem Deckel halten und in der ständigen Angst leben vor dem, was uns da droht.

Wir können das Kreuz von Karfreitag in die Büchse der Pandora klemmen. Wir können dem Übel, dem Leid ins Auge sehen, es manchmal getrost tragen oder uns ihm sogar entgegenstellen. Wir können mitten in dem Übel, das aus der Büchse, aus uns, aus dieser Welt herausquillt, sogar Hoffnung suchen - und finden! Mehr noch: Wir können aus dieser Hoffnung heraus das Übel lindern, ihm Liebe entgegensetzen und es so ein Stück weit bekämpfen.

Nichts wird dadurch einfach »wieder gut«. Aber es wird anders. Und darin liegt Kraft. Und so möchte ich an die Auferstehung glauben: dass sie nicht einfach die Wunden, das Übel, das Leid verschwinden lässt, ... Nicht erst, wenn alles perfekt ist, beginnt diese Auferstehung. Sie beginnt jetzt und schließt alles Verwundete mit ein. Ja, »durch« die Wunden hindurch geschieht Auferstehung, entsteht Verbundenheit, lasse ich mich berühren. …

Auferstehung scheint auf – jetzt und hier –, wenn ich mich … berühren lasse von dem, was geschieht; wenn ich Zweifel nicht beiseite räume; wenn ich niemandem sage »wird schon wieder«, sondern »ich bin bei dir und höre dich«; wenn ich anderen und auch mir selbst vergeben kann; … wenn ich meine Sehnsucht und meine Träume nicht gänzlich der Nützlichkeit opfere, sondern dem leisen »was wäre, wenn« folge; wenn ich im Unvollkommenen auch schon das Vollkommene ahne – und hoffnungsvoll handelnd darauf zugehe. (Jan Frerichs OFS, in: andere zeiten e.V., anders handeln Newsletter #12: Doch. Ostern!

Ostern ist kein Geschenkpaket in dem Sinne, dass es nur schöne Überraschungen enthält.  Ohne das Kreuz ist es nicht zu haben. Wir müssen – und wir können – im Leid gegen das Leid „anhoffen“, „ankämpfen“, „anlieben“ … weil uns die Botschaft von der Auferstehung dazu befähigen kann.

Es ist uns schließlich die letzte Erfüllung der Hoffnung verheißen, die Erfüllung der Hoffnung, dass wir von dem Bösen erlöst werden, dass der Tod nicht das letzte Wort behält.

Es ist uns verheißen, dass Gott 4 jede Träne abwischen wird von ihren Augen. Es wird keinen Tod und keine Trauer mehr geben, kein Klagegeschrei und keinen Schmerz. …« (Offenbarung 21,4). Um das – wenn auch vielleicht nur bruchstückhaft – zu erleben, müssen wir nicht erst sterben!

So können wir mit Paulus jubeln und lachen: »Der Tod ist vernichtet! Der Sieg ist vollkommen! Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ (1Kor 15,54f).

Gebet: (Ökumenisches Friedensgebet 2022, nach: Seesener Beobachter, 25.02.22)

Gütiger Gott, wir sehnen uns danach,
miteinander in Frieden zu leben.
Wenn Egoismus und Ungerechtigkeit überhandnehmen,
wenn Gewalt zwischen Menschen ausbricht,
wenn Versöhnung nicht möglich erscheint,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.
Wenn Unterschiede in Sprache, Kultur oder Glauben uns vergessen lassen,
dass wir deine Geschöpfe sind und
dass du uns die Schöpfung als gemeinsame Heimat anvertraut hast,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.
Wenn Menschen gegen Menschen ausgespielt werden,
wenn Macht ausgenutzt wird, um andere auszubeuten,
wenn Tatsachen verdreht werden, um andere zu täuschen,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt ...
Schenke uns mutige Frauen und Männer,
die die Wunden heilen,
die Hass und Gewalt an Leib und Seele hinterlassen.
Lass uns die richtigen Worte, Gesten und Mittel finden,
um den Frieden zu fördern …
lass unsere Stimmen laut vernehmbar sein
gegen Gewalt und gegen Unrecht. Amen.