Freitags 5nach6 - Schwere Zeiten 4

29. Juli 2022

311 5nach6 29.07.2022_Schwere Zeiten                               Ps 8

Quelle: Matthias Hülsmann, Omas Welt und die Welt von morgen – Theologisch-biografische Notizen zur Nachhaltigkeit, in: Religionspädagogisches Institut Loccum, Loccumer Pelikan – Religionspädagogisches Magazin für Schule und Gemeinde, 2/2022, S.24ff, Zitate kursiv.

Sie erinnern sich an Oma Hülsmann? Sie zählt zusammen mit dem jungen David und Hagar zu den sog. „kleinen Leute“, die aber mit unscheinbaren Ideen und Mitteln Großes bewirken, weil sie Gott auf ihrer Seite haben. Ihr Enkel erzählt davon in einem Zeitschriftenaufsatz, aus dem ich Ihnen einiges vortragen möchte.

 

Das Schwein

Früher war nicht alles besser. Meine Oma hat zwei Weltkriege und drei Geburten überlebt. Und das Leben auf dem Bauernhof war kein Urlaub. Ich habe selbst noch als Kind Unkraut gehackt und als Jugendlicher Strohballen geschleppt. Unsere Kühe waren den Winter über im Stall angekettet und die Ferkel wurden ohne Betäubung kastriert. Im Schuppen standen Kanister mit E 605 und Schachteln mit Rattengift.

Als ich ein Kind war, nahm mich meine Mutter eines Abends mit in den Schweinestall. Sie stieg in die Schweinebox und streichelte das Schwein. Dann sagte sie leise in entschuldigendem Ton zu dem Tier: „Und morgen wirst du geschlachtet, damit wir etwas zu essen haben.“ Sie wusste, dass wir Menschen auf Kosten von anderen Lebewesen leben. Und sie wollte uns Kindern diese hohe Wertschätzung von Lebensmitteln weitergeben. Am nächsten Tag kam dann der Schlachter mit seinem Bolzenschussgerät. 

Meine Mutter war eine fromme Frau. Das Gebot der Sonntagsheiligung (Gen 5,14) war ihr wichtig: „Am siebten Tag ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Rind, dein Esel, all dein Vieh.“ Sie behandelte die Kühe und Schweine als Geschöpfe Gottes, die ihr zum Lebensunterhalt anvertraut waren. Und sie achtete darauf, dass am Sonntag nicht auf den Feldern gearbeitet wurde – Kühe melken, Schweine füttern ausgenommen.


Die Menschen

Als meine Oma geboren wurde, lebten rund 1,5 Milliarden Menschen auf der Erde.6 Gegenwärtig leben rund acht Milliarden Menschen auf unserem Planeten. Innerhalb von drei Generationen hat sich die Weltbevölkerung also mehr als verfünffacht! Zum Vergleich: Als jüdische Gelehrte das göttliche Gebot in Gen 1,28 aufschrieben: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und macht sie euch untertan“, da lebten rund 100 Millionen Menschen auf der Erde.

Jahrtausendelang hatten die Bewohner dieses Planeten das Gefühl, in einem grenzenlosen Raum zu leben. Die Welt war leer und das Gebot „Vermehrt euch und füllt die Erde!“ war gut und sinnvoll. Die Natur war für die Menschen unerschöpflich und das Gebot „Macht euch die Erde untertan!“ war lebenswichtig, um nicht von Hitze und Kälte vernichtet zu werden. War ein See leergefischt, ein Wald gerodet, das Wild gejagt, dann wich man in andere Regionen oder Länder oder Kontinente aus.

Heute leben wir in einer vollen Welt. Unser jahrtausendealtes Bewusstsein von einer riesigen Welt stimmt nicht mehr mit der Realität überein. Unser Planet, seine Ressourcen und seine Regenerationsfähigkeit, seine Fähigkeit, sich zu erneuern, sind begrenzt. Deshalb ist wirtschaftliches Wachstum keine Lösung, sondern Teil des Problems.


Der Bildschirm

Meine Oma ist nie geflogen, mein Vater auch nicht; er war nur einmal in seinem Leben im Ausland – 1942 in Russland. Unsere Kinder waren bereits als Schülerinnen im Austausch in den USA und in anderen Ländern. Die Zahl der Flugpassagiere hat sich zwischen 2006 und 2019 verdoppelt; im Jahr 2019 befanden sich statistisch betrachtet in jedem Moment rund elf Millionen Menschen in der Luft.  

Unser Ressourcenverbrauch steigt, weil immer mehr Menschen immer mehr konsumieren. Als meine Oma ihren 80. Geburtstag feierte, besaßen wir ein Auto, mehrere Fährräder und als Informationsquellen eine Tageszeitung, einen Schwarz-Weiß-Fernseher mit drei Programmen, einen Rundfunkröhrenempfänger und ein Telefon mit Wählscheibe.
Heute besitzt jedes unserer Familienmitglieder mehrere internetfähige Bildschirmgeräte.


Der Wald und die Nachhaltigkeit

Als meine Oma 25 Jahre alt war, lebte sie im Deutschen Reich unter Kaiser Wilhelm II. Als Luisa Neubauer 25 Jahre alt war, verklagte sie die Regierung der Bundesrepublik Deutschland vor dem Bundesverfassungsgericht – und gewann! Das BVG verpflichtete die Bundesregierung, eine wirkungsvollere Klimapolitik zu betreiben, um die Freiheiten künftiger Generationen nicht unangemessen einzuschränken.

Generationengerechtigkeit bedeutet, dass künftige Generationen ein Recht auf die gleichen Lebensmöglichkeiten haben, die wir heute für uns selbst in Anspruch nehmen. Unser gegenwärtiger Ressourcenverbrauch, die Umweltzerstörung und unsere Schuldenpolitik beschränken aber die Handlungsfreiheit künftiger Generationen in hohem Maße. 
Bereits 2013 führte der evangelische Theologe Wolfgang Huber diesen Gedanken der Generationengerechtigkeit … aus. Er machte deutlich, dass christliche Nächstenliebe die Verantwortung für die noch Ungeborenen miteinschließt. 

Das wusste auch schon meine Oma. Auf dem Bauernhof trug schon immer die Elterngeneration die Verantwortung dafür, dass der nächsten Generation dieselben Lebensmöglichkeiten zur Verfügung standen. Im Wald darf man nur so viel Holz schlagen, wie auch wieder nachwächst. Es ist kein Zufall, dass der Begriff Nachhaltigkeit ursprünglich aus der Land- und Forstwirtschaft stammt. Diese generationenübergreifende Verantwortung für die langfristigen Folgen des eigenen Handelns ist in der Landwirtschaft nicht neu. Neu ist allerdings, dass sich die Reichweite unseres Handelns vergrößert hat. Die Nutzung der Atomenergie und die Endlagerfrage haben die Zeiträume
– auch für drohende Gefahren - vervielfacht. Das gilt auch für andere Formen des Mülls, Plastikmüll in den Meeren und der Nahrungskette zum Beispiel.

 

Dadurch wird die Fürsorge für die Erde als Lebensraum für zukünftige Generationen zur großen Herausforderung. Hans Jonas hat bereits 1979 in seinem Buch „Das Prinzip Verantwortung“ … bereits gefordert: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Dauerhaftigkeit echten menschlichen Lebens auf Erden.“9


… Aschenbecher und Zigaretten

Omas Ehemann – mein Opa – starb, bevor ich geboren wurde. Ich kenne ihn nur von einem Foto, auf dem er eine Zigarre in der Hand hält. Mein Vater hat auch geraucht. Rauchen war damals völlig normal. Ein Aschenbecher in der Wohnung war notwendig und selbstverständlich.


Heute sind die Nichtrauchenden in der großen Mehrheit. Für diesen Bedeutungswandel des Rauchens lassen sich mehrere Ursachen erkennen. 

Erstens übt
der soziale Druck einen großen Einfluss auf den einzelnen Menschen aus; wer nur von Nichtrauchenden umgeben ist, dem vergeht die Lust am Rauchen. 

Zweitens ist Rauchen ungesund und unvernünftig; rund 121.000 Todesfälle pro Jahr in Deutschland sind unmittelbar auf das Rauchen zurückzuführen. 

 

Drittens erinnert der Gesetzgeber alle Rauchenden an die gesundheitlichen Schäden durch die vorgeschriebenen Abbildungen auf jeder Zigarettenpackung. 

Viertens hat der Gesetzgeber Tabakwerbung weitestgehend verboten. 

Und fünftens sprechen auch
wirtschaftliche Gründe gegen das Rauchen, denn der Staat nimmt zwar jährlich rund 14 Milliarden Euro an Tabaksteuer ein, aber das Rauchen verursacht knapp 100 Milliarden Euro volkswirtschaftliche Kosten allein durch Arbeitsausfälle und Krankheiten.11 


Ein Fazit für mehr nachhaltiges Leben

Es gibt keinen Weg zurück in Omas Welt; wir leben im 21. Jahrhundert. Aber es führen unterschiedliche Wege in die Welt von morgen. Zwischen ihnen können wir uns entscheiden und dadurch etwas verändern. Es ist durchaus möglich, dass der gesellschaftliche Wandel auch Bereiche wie Fortbewegung, Ernährung, Energieerzeugung und Nachhaltigkeit ergreift, wenn die beim Beispiel des Rauchens genannten Faktoren wie soziale Norm, vernünftige Einsicht, staatliche Gesetzgebung und volkswirtschaftlicher Gewinn ihre Wirkung entfalten. Aber Veränderungsprozesse … lassen sich nicht vorhersagen. 

Ein Mädchen, das in Schweden mit einem Pappschild im Regen steht, kann eine weltweite Bewegung auslösen, muss es aber nicht. Greta Thunberg … und Fridays for Future sind hoffnungsvolle Beispiele. Sie
steht in einer Reihe mit dem jungen David, Hagar und Oma Hülsmann. Ein Sprichwort bringt es auf den Punkt: Wenn viele kleine Leute an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können sie das Gesicht der Welt verändern. Und Regierungen und Konzerne zum Handeln bewegen – und jeden einzelnen, auch von uns.

 

(Gebet: Goldschmidt, Denn du bist unser Gott – Gebete, Texte und Impulse für die Gottesdienste des Kirchenjahres, Neukirchen, 2018, S.294)