355 5nach6 26.08.2023 Trost zulassen Ps 126
Von Paulus stammt einer der ganz bekannten Grundsätze des Christentums: „Einer trage des anderen Last.“ (Gal 6,2)
Da scheint sie besonders durch, die Aufforderung zur Nächstenliebe: Man sieht sie geradezu vor Augen, die bemühten Christen, wie sie sich umsehen nach den anderen, um ihnen irgendeine Last abzunehmen. Und das ist aller Ehren wert und gottgefällig – bis zu einem gewissen Punkt.
Die Pfarrerin Kristina Augst schreibt zu diesem Satz:
Mir fällt sofort ein Gegen-Satz, eine Widerrede, ein: „Wenn jeder an sich selber denkt, ist auch an jeden gedacht.“ Im ersten Moment wirkt dieser Satz überzeugend. Dahinter steht das Bild des erwachsenen Menschen, der am besten selber weiß, was für ihn oder sie gut ist. … Aber letztlich befindet sich dieser Mensch mit allen anderen in einer ständigen Auseinandersetzung darüber, wer am besten seine eigenen Interessen durchsetzen kann. Das kann sehr einsam machen. Das kann sehr gnadenlos werden.
Dagegen nun Paulus: „Einer trage des anderen Last.“ Eben nicht jeder für sich, sondern miteinander. Wenn wir gemeinsam die Lasten tragen, kommen wir viel weiter (Leistungsvorteil der Gruppe!). Wer Hilfe braucht, bekommt sie. Wenn mir die Last zu schwer wird, kann ich etwas davon abgeben.
Aber was ist, wenn ich nicht Lasten übernehme, sondern Lasten abgeben muss?
Ich denke an einen Urlaub vor ein paar Jahren in Schottland. Ich wollte mit einer Gruppe wandern gehen. Nach einer Erkrankung ging es mir wieder besser und ich wollte die letzte Wanderung unbedingt mitmachen. Aber unterwegs wurde mir klar: Es geht noch nicht. … Das Gefühl war schrecklich. Ich hielt die anderen auf.
Es stand zur Diskussion, dass wir alle umkehren mussten, weil mich die Reiseleiterin nicht allein zurücklassen wollte. Dann nahm man mir meine Lasten ab. Mein Rucksack wurde geleert. Jede nahm etwas daraus in ihren Rucksack.
So ging es weiter, es ging nicht gut, aber es ging. Nur meine Beschämung, die konnte mir keine abnehmen, an der hatte ich weiter zu tragen. Ich fiel den anderen wahrhaftig zur Last.
Irgendwann kam mir dann genau dieser Satz in den Sinn: „Einer trage des anderen Last.“ Und ich begann mich zu fragen, warum wir diesen Satz immer nur in die eine Richtung bedenken. Nämlich, dass es gut und christlich ist, die Lasten der anderen mitzutragen.
Vielleicht lässt sich dieser Satz ja auch so hören, dass es gut und christlich ist, sich tragen zu lassen! Nicht, um die anderen auszunutzen. Nicht, um auf Kosten der anderen zu leben.
Aber dann, wenn es nötig ist, dann darf ich das Schwere abgeben, ablegen, loswerden. Und zwar ohne beschämt zu sein. Ohne mich schuldig oder minderwertig zu fühlen. Sondern weil es zum Leben dazu gehört, dass wir manchmal tragen und manchmal getragen werden. Weil es zum christlichen Menschenbild dazugehört, dass wir nicht immer stark und kompetent sein müssen. Wir dürfen auch mal schwach und überfordert sein.
In unserer Gesellschaft ist sehr verbreitet die Idealvorstellung von einem Menschen, der stark und gesund ist, sich und sein Leben im Griff hat, der seine Interessen selbstbewusst und erfolgreich vertritt und schon gar nicht irgendjemandem zur Last fällt.
Paulus denkt anders über den Menschen … Bei ihm geht es auch um Verletzlichkeit und Ohnmacht, um Menschen, die bedürftig und auf andere angewiesen sind. Und die darum auf sich und andere achten. … Beides ist zutiefst christlich: zu helfen und die eigene Hilfsbedürftigkeit anzuerkennen. (1)
Eigene Hilfsbedürftigkeit anerkennen, nicht nur auf andere, sondern auch auf sich achten? Das fällt uns schwer …
Aber nicht nur uns modernen Menschen fällt das schwer, auch dem mittelalterlichen Papst Eugen III.
Papst Eugen III. lebte im 12. Jhdt. In einem Brief an ihn schrieb sein Lehrer, der Abt und Kirchenlehrer Bernhard von Clairvaux
„… Ich fürchte, dass du eingekeilt in deine zahlreichen Beschäftigungen, keinen Ausweg mehr siehst und deshalb deine Stirn verhärtest; … Es ist viel klüger, du entziehst dich von Zeit zu Zeit deinen Beschäftigungen, als dass sie dich ziehen und dich nach und nach an einen Punkt führen, an dem du nicht landen willst. Wenn du dein ganzes Leben und Erleben völlig ins Tätigsein verlegst und keinen Raum mehr für Besinnung vorsiehst, soll ich dich da loben? Dafür lob ich dich nicht.
Ich glaube, niemand wird dich loben, der das Wort Salomons kennt: „Wer seine Tätigkeit einschränkt, erlangt Weisheit.“ (Sir 38,25) Und bestimmt ist es der Tätigkeit selbst nicht förderlich, wenn ihr nicht die Besinnung vorausgeht.
Wenn du ganz und gar für alle da sein willst, nach dem Beispiel Jesu, der allen alles geworden ist (1Kor 9,22), lobe ich deine Menschlichkeit, aber nur, wenn sie voll und echt ist.
Wie kannst du aber voll und echt Mensch sein, wenn du dich selbst verloren hast? Auch du bist ein Mensch. Damit deine Menschlichkeit allumfassend und vollkommen sein kann, musst du also nicht nur für alle anderen, sondern auch für dich selbst ein aufmerksames Herz haben. … Wenn also alle Menschen ein Recht auf dich haben, dann sei auch du selbst ein Mensch, der ein Recht auf sich selbst hat. …
Wie lange noch schenkst du allen anderen deine Aufmerksamkeit, nur nicht dir selber! Ja, wer mit sich selbst schlecht umgeht, wem kann der gut sein?
Denk also daran: Gönne dich dir selbst. Ich sag nicht: Tu das immer. Ich sage nicht: Tu das oft, aber ich sage: Tu es immer wieder einmal. Sei wie für alle anderen auch für dich selbst da, oder jedenfalls sei es nach allen anderen. (2)
1 Kristina Augst, Lasten abgeben, in: D.Joachim (Hg.), Kurz – Andachten und geistliche ImpulseFrankfurt/M., 2022, 223f
2 Susanne Niemeyer, Brot und Liebe, Leipzig, 2022, S.159
Gebet
Herr mache mich zum Werkzeug deines Friedens – umgekehrte Perspektive!!!!!
Gebet für den Frieden (nach: Franz von Assisi)
Herr, schenke mir deinen Frieden,
dass ich geliebt werde,
dass mir verziehen wird,
dass meine Konflikte ein gutes Ende finden,
dass ich mit der Wahrheit durchdringe;
dass meine Zweifel in deinem Geschenk des Glaubens vergehen;
dass ich in meinen Verzweiflungen Hoffnung schöpfen kann;
dass ich Licht sehe inmitten aller Finsternisse;
dass meine Kümmernisse in Freude verwandelt werden.
Herr, hilf, dass ich getröstet werde;
dass ich auf Verständnis stoße;
dass dereinst erwache zum ewigen Leben.