Freitags 5nach6 -

11. August 2023

353 5nach6 11.08.2023                     Ps 126

„Ihr müsst fort. Morgen!“

Die Unsicherheit war kaum auszuhalten gewesen. Schon seit Wochen hatten sie auf die klärenden Worte gewartet. Jetzt waren sie ausgesprochen: „Ihr müsst fort. Morgen!“

Fort … Mein Gott! Damit haben sie nicht gerechnet! Wohin? Was würde sie am Ziel erwarten? Was könnte unterwegs passieren? Worauf sollten sie sich einstellen? Was sollten sie mitnehmen? Und was würden sie alles verlieren?!

„Ihr müsst fort. Morgen!“

Ganze vier Worte, die ihr Leben verändern würden. Radikal. Nichts mehr würde sein wie bisher. Wie sollte es weitergehen?

So oder so ähnlich müssen sich die Israeliten gefühlt haben, als ihnen Soldaten den Befehl des Königs weitergaben: „Ihr müsst fort. Morgen!“

587 v.Chr. war der König Nebukadnezar aus dem Gebiet des heutigen Irak in Juda einmarschiert, dem südlichen Teil des heutigen Israels. „Dabei wurde … auch Jerusalem erobert und der Tempel zerstört. Damals war es üblich, die Oberschicht eines besiegten Volkes in das Land zu verschleppen, das den Krieg gewonnen hatte. So wurden die Königsfamilie, die hohen Beamten, Priester, Gelehrten und Handwerker aus Israel nach Babylon gebracht … Weil die Israeliten keinen Tempel mehr hatten, wurden ihre religiösen Bräuche und Schriften für sie immer wichtiger … 50 Jahre später wurde das babylonische Reich von den Persern erobert. Im Jahr 538 v.Chr. erlaubte der persische König Kyros den Verbannten, nach Jerusalem zurückzukehren.“ (M.Landgraf, Die Bibel elementar, Stuttgart, 2010, S. 93f)
Deportation hatte als Mittel der Unterwerfung … eine lange Tradition. Die anschließende Neuansiedlung fremder Bevölkerungsgruppenführte zum Abbruch ortsansässiger Tradition (O.Betz u.a., Hg., Calwer Bibellexikon, Suttgart, 2003, S.337) – also geht es um Identitätsverlust eines Volkes und natürlich auch einzelner Frauen, Männer und Kinder. Das war nicht nur Folge dieser Verschleppungen, sondern auch Absicht.

Auf diesem Hintergrund müssen wir Ps 126 sehen und verstehen. Das Aufbrechen aus bedrückenden Situationen im hoffnungsvollen Vertrauen auf den Beistand Gottes gehört sozusagen zum Erbgut des Judentums. Denken wir nur an die Wanderung Abrahams aus dem Gebiet des heutigen Irak in das heutige Israel, an Wüstenwanderung der in Ägypten versklavten Israeliten zurück in ihre Heimat.

Und was hat das, was hat Ps 126 mit uns zu tun?

Heidi Hein, Diakonin in der Propstei Gandersheim-Seesen, bringt es in ihrem Wort zum Sonntag (Seesener Beobachter, 05.08.23) auf den Punkt: Über so viele Jahrhunderte haben die Psalmen mit ihrem Lob und ihrer Klage die Menschen in allem begleitet, was sie so sehr beschäftigt: Fragen nach dem Woher und dem Wohin des Lebens, der Umgang mit Konflikten, Sorgen …, Verzweiflung in ungewissen Zeiten, in all dem wenden sich Menschen mit worten der Psalmen an Gott … unzähligen Menschen haben sie Worte geliehen in sprachlosen Zeiten.
Eine Möglichkeit, Zuversicht zu bewahren, ist es, sich an gute Zeiten und Ereignisse zu erinnern. Das ist der Weg, den viele Psalmen in der Bibel immer wieder nutzen. Gerade die Psalmen, die in Unglückszeiten entstanden sind, erzählen immer wieder von den Begebenheiten, in denen Gott half. So erinnern die Betenden sich selbst und Gott daran, wie gut die Rettung tut.  
Frank Muchlinsky Fastenbrief Zuversicht Woche 8: „Wir werden sein wie die Träumenden“ | 7 Wochen Ohne (evangelisch.de)

Na, dann schauen wir mal, welchen Ertrag das Gotteswort Ps 126 uns bringen kann …

STILLE

Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. 2 Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein.
Der Psalmbeter hat sich und hat Gott nicht aufgegeben! Diese Zeilen machen Mut zum Träumen! Von dem, was uns fesselt, gefangen hält, in unseren Lebensmöglichkeiten einengt, können wir erlöst werden!

 

4 HERR, bringe zurück unsre Gefangenen, wie du die Bäche wiederbringst im Südland.
Wenn wir aus unserem gewohnten Leben herausgerissen werden wie die verschleppten Israeliten, wenn wir in unserer Identität, im Kern unserer Persönlichkeit, in unserem Leben bedroht sind, dann dürfen wir uns vertrauensvoll an Gott wenden: Bring uns zurück.

5 Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.
Die Tränen der Trauer, der Wut, der Verzweiflung, der Erschöpfung dürfen geweint werden! Sie lösen das dahinter stehende Problem, die Sorgen und Ängste zwar nicht auf, aber sie bringen sie nach außen, so dass sie mich innerlich nicht mehr total ausfüllen.
Und – so erstaunlich das auch klingen mag – unter Tränen bin ich nicht mehr gelähmt, sondern kann - wenn auch nicht alle - so doch gewisse Gewohnheiten beibehalten: säen, Grundlagen dafür schaffen, dass etwas werden kann.
Das Säen steht einfach für die Arbeit, die selbst dann zu tun ist, wenn wir Dinge in unserem Leben durchmachen, die uns zum Weinen bringen. 
Das Feld kann nicht warten, bis unsere Trauer vorüber und alle unsere Probleme gelöst sind. Wenn wir im nächsten Winter zu essen haben wollen, dann müssen wir jetzt aufs Feld gehen und die Saat aussäen, ob unter Tränen oder nicht.
Das säen schafft nicht nur Voraussetzungen für ein Weiterleben, es lenkt auch ab und es ist ein Erfolgserlebnis – „das kann ich trotz allem“ – das mich stärken und mir Hoffnung schenken kann.  
Der Psalm gibt einen Zuspruch für Menschen, die durch schwere und traurige Zeiten gehen. Der Psalmdichter denkt an einen Menschen, der durch ein Tal der Tränen geht, weil sein Leben gerade hart ist und schmerzt. Dennoch geht dieser Mensch an seine tägliche Arbeit, auch unter Tränen. Dieser Mensch mag das Gefühl haben: „Mir ist jetzt überhaupt nicht nach Säen zumute, ich könnte wegen jedem bisschen weinen, ich würde am liebsten nur noch die Decke über den Kopf ziehen und mich verkriechen.“ Aber er weiß: „Die Früchte werden nicht auf mich warten, bis mir nach Säen ist.
Es gibt gute Dinge, die zu tun sind, ob das Leben gerade leicht oder schwer ist, und diese Dinge haben gute Folgen. Sie zu unterlassen, wenn es uns schlecht geht, wird unsere Situation nicht besser machen.

Und wenn es gar nicht geht, empfehle ich Ihnen Texte – wie den von Manfred Hausmann. Er möchte wie eine alte Kirche sein für Trostsuchende. Natürlich kann man auch in einer Kirche – z.B. in unserer St.Johanniskirche – Trost suchen und finden …

Trost

Ich möchte eine alte Kirche sein,
voll Stille, Dämmerung und Kerzenschein.
Wenn du dann diese trüben Stunden hast,
gehst du herein zu mir mit deiner Last.
Du senkst den Kopf, die große Tür fällt zu.
Nun sind wir ganz alleine, ich und du.
Ich kühle dein Gesicht mit leisem Hauch,
ich hülle dich in meinen Frieden auch,
ich fange mit der Orgel an zu singen. . .
Nicht weinen, nicht die Hände heimlich ringen!
Hier hinten, wo die beiden Kerzen sind,
komm, setz dich hin, du liebes Menschenkind!
Ob Glück, ob Unglück, alles trägt sich schwer.
Du bist geborgen hier, was willst du mehr?
Ich möchte eine alte Kirche sein
voll Stille, Dämmerung und Kerzenschein.
Wenn du dann diese trüben Stunden hast,
gehst du herein zu mir mit deiner Last.

Gebet:

“Tränen, ich fühle euch.
Täglich fließt ihr über mein Gesicht
und wollt mir sagen,
es habe ja alles keinen Sinn
und ich solle mich am besten verkriechen.
Aber da gibt es ein Feld zu besäen!
Ich habe gute Dinge zu tun
und ich nehme jetzt meinen Beutel
und gehe säen.
Tränen, wenn ihr mir heute
übers Gesicht strömen möchtet,
dann müsst ihr eben mitkommen.
Tränen,
ich sage euch im Vertrauen auf Gott:
ihr werdet nicht für immer bleiben.
Auch wenn ich es noch nicht fühle
oder sehe, aber ich glaube,
dass meine Arbeit
eine fröhliche Ernte einbringt
und euch in Freude verwandelt wird.
Gott,
dein Wort durchdringt den Panzer,
mit dem ich meine Seele schütze
vor dem Schmerz
zu großer Hoffnung
und zu großer Liebe.
Du öffnest
den Schleier
aus Trauer und Wut,
der sich auf meine Augen gelegt hat
und mir den Blick trübt
für Möglichkeiten.
Du rührst an
meine vergrabene Sehnsucht,
dass sich Tränen in Lachen,
Kummer in Freude
und Tod in Leben
verwandeln mögen.
Lass mich fassen,
was ich höre
und lass mich erhoffen,
was noch wie ein Traum erscheint.
Herr, unser Gott, erbarme dich unser!

Sylvia Bukowski