424 5nach6_11.04.25_7 W ohne Panik 7 Ps 23
Unter der Überschrift der Fastenzeit „Luft holen – 7 Wochen ohne Panik“ heißt es für diese Woche „Ruhe finden“. Wie wichtig in dieser aufgeregten Zeit!
Der Bibeltext dazu beleuchtet genau dieses Wechselspiel von Aufgeregtheit und Ruhe:
35 Und am Abend desselben Tages sprach er zu ihnen: Lasst uns ans andre Ufer fahren. 36 Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm. 37 Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde. 38 Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen? 39 Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme! Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille. 40 Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? (Mk 4, 35 – 40)
Bei Wundererzählungen ist ja die erste Frage immer: „Hat er oder hat er nicht? Ist das so gewesen?“ Dann wir daran Glaube festgemacht – und schon ist man in einer Sackgasse. Historisches und naturwissenschaftliches Denken treten in Konkurrenz oder Widerspruch zu der Frage, wie eine biblische Erzählung bei der Lebensbewältigung beitragen kann. Weiter führt die Frage: „Warum und für wen ist diese Erzählungen aufgeschrieben – und bis heute wirksam?“
In einem Kommentar zum NT ist zu lesen (vgl. K.Berger, Kommentar zum Neuen Testament, Gütersloh, 2011, S.130 u. 156f): Das Markus-Evangelium ist etwa 45 n.Chr. geschrieben worden. Der Verfasser war sicher kein Zeitzeuge Jesu. Er schrieb für Juden und andere Menschen, die sich für Person und Botschaft Jesu begeisterten. Ganz wichtig: In der Welt dieser frühen Christen/innen ging es auf gefährlichste Weise drunter und drüber – wie auf dem Boot. Sie mussten nämlich mit lebensbedrohlicher Verfolgung durch die fromme jüdische Elite und durch die römischen Besatzer rechnen.
Die Szene knüpft an an die Erfahrungswelt der Fischer am See Genezareth. Dessen gefährliche Fallwinde waren allen bekannt. Das – zumal bei Dunkelheit und Sturm – bedrohliche Meer ist seit den Psalmen Bild für die Gefährdung menschlichen Lebens in der Welt. Als verfolgte und bedrohte religiöse Minderheit fühlen sich die Christen der damaligen Zeit mit Sicherheit unmittelbar angesprochen. Und in allem Aufruhr, in aller Gefahr ist Gott in Jesus die Ruhe selbst. „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, so hat der Theologe Dietrich Bonhoeffer gedichtet. Ich komme auf ihn zurück.
Die Welt ist aus den Fugen. Das beschreibt die Bibelstelle. Wellen, Windwirbel von allen Seiten. Das Wasser dicht am Boot. Und Jesus? Ist die Ruhe selbst, verschläft die Panik um ihn herum. Selbst als die anderen ihn wecken, lässt er sich von deren Aufregung nicht anstecken. Mit einer Handbewegung und zwei Wörtern besänftigt er Wind und Meer. – Die Welt ist aus den Fugen. … Wie kann ich trotzdem innerlich ruhig bleiben – und damit handlungsfähig? Mir hilft, mich zu besinnen …
(Martin Vorländer in: Ev. Verlagsanstalt -Hg.- Fastenkalender Luft holen! Sieben Wochen ohne Panik, Leipzig, 2024, Tag 3. April)
Mich besinnen, um Ruhe und Handlungsfähigkeit zu bewahren oder neu zu erlangen. Besinnen … Wer sich besinnt, der erinnert sich an etwas oder jemanden, er nimmt die gegenwärtige Situation wahr, bedenkt sie, denkt nach, er lässt grübelnd die Gedanken schweifen, richtet seine Gedanken aber auch über die Gegenwart hinaus auf die Zukunft.
Also, besinnen wir uns und erinnern uns zunächst. Ich möchte heute erinnern an Dietrich Bonhoeffer. Ich tue das nicht zum ersten Mal. Heute aber in Erinnerung an seine Ermordung durch die SS im KZ Flossenbürg am 9. April 1945, und zwar auf persönlichen Befehl von Hitler.
Ausgehend von seinem Tod möchte ich erinnern an sein Leben. (vgl. Volker Weidermann, Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag, in: DIE ZEIT, 27.03.25, S.50f, Zitate kursiv):
Die Zeiten sind nicht gut. Viele Menschen spüren eine tiefe Unsicherheit in ihrem Leben. Die Welt scheint getrieben von dunklen Mächten und die Menschen sind Getriebene einer großen Angst. Das Gefühl, nichts mehr selbst in der Hand zu haben, ausgeliefert zu sein, ohne festen Grund das Leben zu bestreiten. Es fehlt eine existentielle, lebensbewahrende Geborgenheit, ein gutes Sich-aufgehoben-Fühlen, Trost. Dieses Wachliegen in der Nacht, wenn man ungeschützt den Gespenstern und den Sorgen und Ängsten ausgeliefert ist. … wir sind hilflos im Meeresstrudel der immer schlechteren Nachrichten …
In dieser allgemeinen und vor allen persönlichen Lage schreibt Bonhoeffer die Zeilen „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag!“
Bonhoeffers Gedicht bietet kein Entkommen aus dieser Lage. Aber es enthält eine sonderbare Kraft. …
Bis heute wird das Gedicht, vor allem die letzte Strophe, bei so vielen Taufen, Hochzeiten und auf fast jeder christlichen Beerdigung gesungen, oft auch von nicht-christlichen Trostsuchern. Ein Lied, das sich … kaum abzunutzen scheint. Von dem eine innere Kraft auszugehen scheint … Eine Unerschütterlichkeit ist darin. Wer das Lied singt und hört, der wird für eine Weile getragen ...
Aus seiner grundsätzlichen Gegnerschaft zum nationalsozialistischen Regime hatte Bonhoeffer von Beginn an kein Geheimnis gemacht. Schon 1933 hatte er in einer Radiosendung gesagt: „Führer … die sich selbst vergotten, verspotten Gott.“
Als auch die Kirchen begannen, den sog. Arierparagrafen umzusetzen und Menschen mit jüdischen Vorfahren aus ihren Ämtern zu entfernen, protestierte Bonhoeffer heftig.
Schon 1934 schreibt er in einem Brief an Mahatma Gandhi, den gewaltlosen Kämpfer gegen die britische Kolonialherrschaft in Indien:
Europa und Deutschland leiden unter einem gefährlichen Fieber und sind dabei, sowohl die Selbstkontrolle als auch das Bewusstsein für das zu verlieren, was sie tun. Die heilende Kraft für alle menschliche Bedrängnis und Not, nämlich die Botschaft Christi, enttäuscht immer mehr nachdenkliche Menschen auf Grund der gegenwärtigen Verfassung der Kirche … Die große Maskerade des Bösen hat alle ethischen Begriffe durcheinandergewirbelt – also alle Begriffe, die mit gutem und bösem, lebensdienlichem und lebensfeindlichem Denken und Handeln zu tun haben. Dass das Böse in der Gestalt des Lichts, der Wohltat, des geschichtlich Notwendigen, des sozial Gerechten erscheint, ist für unsereinen verwirrend.
Für Bonhoeffer war christliche Religion überhaupt nur dann von Belang, wenn sie hinaustrat aus den Kirchen und wirksam wurde in der Welt.
1939 hätte er die Möglichkeit gehabt, in den USA zu bleiben. Aber er lehnte ab.
Die Lage in Deutschland lasse ein Fernbleiben nicht zu. Seine Theologie der Weltlichkeit – der tätigen Wirksamkeit des Glaubens in der Welt – sollte sich in seiner eigenen Herkunftswelt bewähren.
Bonhoeffer schließt sich der Bekennenden Kirche an. Die Bekennende Kirche (BK) war eine Oppositionsbewegung evangelischer Christen gegen Versuche einer Gleichschaltung von Lehre und Organisation der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) mit dem Nationalsozialismus. Die Bekennende Kirche bildete auch eigene Pastoren aus, z.B. im Predigerseminar Finkenwalde. Das Seminar leitete Bonhoeffer von 1935 – 37.
Als Teil der Widerstandsgruppe um Admiral Canaris … half Bonhoeffer, den Umsturz vorzubereiten. 1943 wurde er verhaftet – noch vor dem Attentat auf Hitler.
1944, im Gefängnishof Tegel, wurde Bonhoeffer von einem Mitgefangenen gefragt, wie er es als Christ und Theologe verantworten könne, aktiven Widerstand gegen Hitler zu leisten.
Er antwortete im Beisein der Aufseher mit einem Bild: Wenn ein betrunkener Autofahrer mit hoher Geschwindigkeit den Kurfürstendamm herunterrase, könne es nicht nur die Aufgabe des Pfarrers sein, die Opfer des Wahnsinnigen zu beerdigen und deren Angehörige zu trösten; es sei wichtiger, dem Betrunkenen das Steuerrad zu entreißen. (Zum 75. Todestag von Dietrich Bonhoeffer - DOMRADIO.DE)
Unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muss neu geboren werden aus diesem Beten und diesem Tun. (zit. nach N.Hermannsdörfer, Engagement aus Glauben, in: EZ 06.04.25, S. 3)
Gebet: statt eines Gebetes ein Gedicht,
Ausatmen
Wenn der Abend kommt
und die Stille sich
über das Land senkt,
dann nimm dir Zeit
für dich selbst.
Atme die Unruhe
des vergangenen Tages aus,
und schicke deine Sorgen
und alles, was dir Angst macht,
empor zu den Sternen,
die dich vom Himmel her
mit leisem Glänzen grüßen.
Atme das Schweigen
der Bäume ein
und fülle dich,
Atemzug um Atemzug
mit der Ruhe
der Nacht,
bis deine Seele
Frieden
gefunden hat.
Christa Spilling Nöker