405_06.12.24_Advent 2_Nikolaus
Quellen: (1) T.Willms, Zwischen Stern und Stall, Neukirchen-Vluyn, 2026, S.85
(2) S.Niemeyer, Wichtelgeschenk, in: dies., Der Stolperengel, Freiburg, 2024, S.41-44 (Zitate kursiv)
Heute ist Nikolaustag! Dabei gibt es viele, die alle Tage Nikolaustag haben: Nico, Nicole, Nicolette, Nicola, Nick, Niki, Klaus, Klaas haben ihn jeden Tag! Ihr Name geht zurück auf unseren Nikolaus. Die Verbreitung dieser Vornamen steht für die Beliebtheit dieses kath. Heiligen. Noch vor St. Martin ist St. Nikolaus auch in evangelischen Kreisen wohl der bekannteste Heilige. Das liegt vor allem natürlich an dem reichlich vorhandenen Brauchtum, das sich um ihn rankt.
Aber – die mit Süßem gefüllten Stiefel sind nicht das Einzige, was Nikolaus ausmacht. Dahinter steckt eine Vielzahl von Legenden, in denen deutlich wird: Nikolaus bringt mit seinen Gaben durchaus Licht in das Leben von Menschen, die im Dunkeln leben müssen. Und damit ist Nikolaus eine hervorragende Adventsfigur!
Die Schriftstellerin Tina Willms erinnert sich:
Ein Dezembermorgen im Supermarkt. Am Ende einer langen Schlange stehe ich vor der Kasse und übe mich in Geduld. Eine ältere Frau … hinter mir seufzt … „Im Dezember muss man Zeit mitbringen“, sage ich. Der Mann vor mir ergänzt: „Und dazu ist noch Montag, da ist es immer voll.“ Er ist groß, vollbärtig und hat einen Knopf im Ohr …
Endlich ist dieser Mann an der Reihe. Er beginnt, seinen Wagen auszupacken. „Bei mir kann es dauern“, sagt er. Nikoläuse und Schokoherzen, Marzipankartoffeln und Mandarinen wandern auf das Kassenband. Leckereien in Hülle und Fülle.
„Na, Sie haben wohl eine Großfamilie“, lacht die Frau an der Kasse. Er entgegnet: „Nein, das ist für meine Leute. Ich packe Tüten zum Nikolaus für sie.“ Ein Nikolaus also. Mit Rauschebart und Knopf im Ohr.
Es wird nicht klar, wer „seine Leute“ sind. Mitarbeiter/innen einer Firma, ehrenamtliche Helfer/innen, Bewohner/innen einer sozialen Einrichtung, Kunden bei einer Tafel … In jedem Fall ist er ein Nachfolger jenes Mannes, der im 4. Jhdt. als Bischof von Myra in der heutigen Türkei wirkte und von dem viele Legenden erzählen. … Einmal habe er Korn vermehrt, heißt es …, um es an Arme zu verteilen.
Dass wir einander am Todestag von Nikolaus beschenken, geht wohl auf folgende Legende zurück:
Nikolaus erfuhr von einem Mann, der in Armut geraten war und nun seine drei Töchter in die Prostitution schicken wollte. Daraufhin soll der Heilige in drei aufeinander folgenden Nächten jeweils einen Goldklumpen durchs Fenster ins Haus geworfen haben … So bewahrte er die Jungfrauen vor dem schlimmen Schicksal. … (1)
Parallel zur Nikolaus Geschenk-Tradition gibt es das sog. Wichteln. Bei diesem eigentlich nordischen Brauch überrascht man einander mit kleinen Geschenken, die der Legende nach eben von den skandinavischen Wichteln stammen. Vorab verabredet man gewisse Regeln. Sonderformen des Wichtelns sind das Motto-Wichteln zu einem bestimmten Thema oder das sog. Schrottwichteln, eine – aus meiner Sicht - degenerierte Form, die das ursprüngliche Motiv ins Gegenteil verkehrt.
Susanne Niemeyer hat damit so ihre Erfahrungen gemacht, ganz lausige Erfahrungen und eben keine nikolausige Erfahrungen …
Es ist der 1. Dezember, als der Schreckenssatz jeder Adventszeit fällt: „Lasst uns wichteln!“ … Wichteln ist eine Tradition direkt aus der Hölle. Denn die Hölle ist kein loderndes Feuer … Die Hölle ist ein Kabinett aller Wichtelgeschenke unter fünf Euro, und jedes einzelne musst du kennen, lieben, nutzen und hegen …
Am Nikolaustag soll es soweit sein. Wichteln mit Glühwein, Schokoladen-Fondue und den besten Weihnachtshits auf Spotify. … Das einzig akzeptable Wichtelgeschenk, das ich kenne, ist eines, das man essen kann. Das steht wenigstens nicht rum. Doch verzehrbare Geschenke sind nicht erlaubt. …
„Aber fünf Euro!“, wende ich unter Aufbringung meiner letzten Kräfte ein, „was kriegt man denn heute noch für fünf Euro?“
„Ach, man kann doch so niedliche Sachen basteln!“ bekomme ich zur Antwort. Es gibt Leute, die können aus drei Büroklammern und etwas Heißkleber eine Krippenlandschaft zaubern. Ich gehöre definitiv nicht dazu.
Ich bin die, die kurz Ladenschluss im Drogeriemarkt auf eine Eingebung der Originalität hofft. Aber die Originalität hat bereits Feierabend. Also kaufe ich vier Kerzen, die kann man immer gebrauchen. Am Ausgang gibt es sogar Weihnachtspapier … und so wird aus einer Packung Haushaltskerzen ein Geschenk.
Und genau das ist ja das Gemeine: Von außen sehen sie entzückend aus … Du glaubst, du bekommst wer weiß was … und dann musst du so tun, als ob das Fünf-Euro-Ding von Katrin genau das ist, was in deiner Wohnung noch fehlt.
Ich erscheine also am Nikolaustag pünktlich um 17 Uhr. Der Glühwein ist heiß, die Schokolade blubbert und ein halbes Dutzend liebevoll verpackter Geschenke wartet darauf, entpackt zu werden. Wider besseres Wissen ertappe ich mich bei dem Gedanken: „Ach, wie schön!“
Ich öffne mein Geschenk als Letztes. Es ist ein Ei. Natürlich kein echtes. Das könnte ich wenigstens braten. Es ist ein eiförmiges Plastikteil, das man auf den Tisch hauen kann. Dann beginnt es zu leuchten und ein schnörkeliger Sinnspruch wird sichtbar: „Weihnachten ist, wenn man trotzdem strahlt.“ Ich bin sprachlos. „Ist das nicht lustig?! Hab ich sofort an dich gedacht!“
Ich bleibe sprachlos, lächle tapfer und überlege, wie ich das Ding entsorgen kann. Zum Beispiel könnte ich es auf dem Heimweg einfach in der U-Bahn liegen lassen … Vielleicht würde es ein Flaschensammler mitnehmen, um in Mülleimer zu leuchten. … Allerdings würde der Flaschensammler bald merken, dass das funzlige Licht keine Taschenlampe ersetzt, und das Ei direkt in den Müll werfen wollen.
Das würde er aber wegen der Batterie nicht tun. Stattdessen würde er vorschriftsmäßig zum nächsten Sammelcontainer gehen, der jedoch wie immer voll ist. Also stellte er das Leucht-Ei daneben.
Dort würde es die vierjährige Emma-Sophie entdecken und unbemerkt von ihrem gerade ein YouTube-Video schauenden Vater einstecken und mit in den Kindergarten nehmen.
In der Kita würde man ihr das Ei abnehmen, weil elektrische Mitbringsel verboten sind. Das Ei wanderte in die Fundkiste, wo es bis zum 22. Dezember liegen bleiben würde. Am Tag vor Weihnachten erhielte der Praktikant die Aufgabe, die Fundkiste zu entrümpeln. Dieser wäre notorisch knapp an Geld und Ideen, würde das Leucht-Ei entdecken und denken: „Oh, wie praktisch! Wenn das nicht ein Geschenk für meine Tante ist!“
DIE TANTE BIN ICH!
Es gibt kein Entkommen. Weihnachten ist, wenn man trotzdem strahlt. (2)
Tja, dann vielleicht doch lieber die gute alte Nikolaustradition. Man bekommt etwas geschenkt ohne jede Vorleistung oder Gegenleistung, ohne bestimmte Bedingungen erfüllen zu müssen – einfach aus Liebe heraus. Da sind wir dann schon wieder hoch theologisch: Der gefüllte Nikolausstiefel ist so etwas wie die Liebe Gottes in klein.
Gebet: (nach T.Willms, ebd., S.87)
Gott,
schenke uns,
dass wir verschont bleiben vom sauertöpfischen Blick des Geizes
und von der Verkniffenheit eines Mundes,
der behauptet,
alles im Leben sei selbst verdient.
Schenke uns,
dass wir eintreten in charmanten Kreislauf des Schenkens,
der beiden ein Licht ins Gesicht zaubert –
dem Gebenden und dem Empfangenden.