437 5nach6_22.08.25_Heimat 3 Ps 23
Quelle: Fulbert Steffensky, Heimathöhle Religion, Stuttgart, 2015, S.80-83, Zitate kursiv.
Heimat finden in einer Beziehung. Bei der Witwe Ruth, die ihre ebenfalls verwitwete Schwiegermutter Naomie nicht allein lassen will, hatten wir das kennengelernt
Diese enge persönliche Beziehung war gleichzeitig eine „Unterwegs-Gemeinschaft“, denn die beiden Frauen begaben sich zurück in Naomis Heimat Bethlehem. Sie wollten an einem Ort beisammen sein. Ruth wollte auch mit den ihr fremden Menschen dort zusammenleben und ihren Glauben teilen
Und so eine Beziehung können wir, wenn es gut läuft, in einer Kirchengemeinde finden, in der wir uns beheimatet fühlen.
So hatte ich am letzten Freitag aufgehört. Heimat finden in der Kirche(ngemeinde)? Habe ich da den Mund etwas zu voll genommen?
Ich erinnere mich an Hermann van Veen und einen Text, der mir damals (1974) aus der Seele gesprochen hatte. Der niederländische Liedermacher bezweifelte, dass selbst Gott Heimat finden könnte in der Kirche! Schon 1974 schrieb er seine „Geschichte von Gott“:
… Gott dachte: Vor dem Essen werd' ich mir noch kurz die Beine vertreten. Und er lief den Hügel hinab zu jenem Dorf. von dem er genau wusste, dass es da lag.
Und das Erste, was Gott auffiel, war, dass da mitten im Dorf während seiner Abwesenheit etwas geschehen war, was er nicht erkannte. Mitten auf dem Platz stand eine steinerne Masse mit einer Kuppel und einem Kreuz, das pedantisch nach oben wies.
Und Gott rannte mit Riesenschritten den Hügel hinab, stürmte die monumentale Treppe hinauf und befand sich in einem unheimlichen, nasskalten, halbdunklen, muffigen Raum.
Und dieser Raum hing voll mit allerlei merkwürdigen Bildern, viele Mütter mit Kind mit Reifen überm Kopf und ein fast sadistisches Standbild von einem Mann an einem Lattengerüst. Und der Raum wurde erleuchtet von einer Anzahl fettiger, gelblich-weißer Substanzen, aus denen Licht leckte.
Er sah auch eine … Menge kleiner Kerle herumlaufen mit dunkelbraunen und schwarzen Kleidern und dicken Büchern unter müden Achseln, die selbst aus einiger Entfernung leicht moderig rochen.
»Komm mal her! Was ist das hier?«
»Was ist das hier! Das ist eine Kirche, mein Freund. Das ist das Haus Gottes.«
»Aha ... Wenn das hier das Haus Gottes ist. Junge, warum blühen hier dann keine Blumen, warum strömt dann hier kein Wasser und warum scheint dann hier die Sonne nicht, Bürschchen?!«
»... Das weiß ich nicht.«
»Kommen hier viele Menschen her?«
»Es geht in letzter Zeit ein bisschen zurück.«
»Und woher kommt das deiner Meinung nach? Oder hast du keine Meinung?«
»Es ist der Teufel. Der Teufel ist in die Menschen gefahren. Die Menschen denken heutzutage, dass sie selbst Gott sind und sitzen lieber auf ihrem Hintern in der Sonne.«
Und Gott lief fröhlich pfeifend aus der Kirche auf den Platz. Da sah er auf einer Bank einen kleinen Kerl in der Sonne sitzen. Und Gott schob sich neben das Männlein, schlug die Beine übereinander und sagte: »... Kollege?! (Quelle: Herman van Veen, bearbeitet)
Ja, schon rein äußerlich lässt manche Kirche keine Heimatgefühle aufkommen. Und dann kommen noch andere Punkte hinzu. Aber darauf will ich jetzt nicht eingehen – es soll ja um Heimat gehen, Heimat, Beheimatung in der Kirche.
Ich erinnere mich an Fulbert Steffensky, von mir geschätzter Theologe, Ehemann der früh verstorbenen Theologin Dorothee Sölle. Hatte der nicht … Ein Gang zum Bücherregal. Tatsächlich! Steffensky, Heimathöhle Religion, so heißt das Buch und darin ein Aufsatz mit der gleichen Überschrift. Oh, nur vier Seiten. Wäre vielleicht etwas für 5nach6!
Ich fange an zu lesen und komme mit dem Text ins Gespräch … Gleich der erste Satz …
Die Grundtexte des christlichen Glaubens sind nicht sehr heimatfreundlich.
Ja, die herumziehenden Israeliten im AT, der Wanderprediger Jesus, der weltreisende Paulus, darüber hatten wir ja auch hier gesprochen.
Man wird nie ganz ein Hiesiger sein, weder in dem Land noch in den Kirchen, in denen wir leben.
Letztlich heimatlos in Königsdahlum und St.Johannis? Ja, schon, aber … Das kann auf Dauer nicht alles sein. Erst in der Zukunft des Jenseits Heimat finden?! Ah, das sieht Steffensky auch so:
In reinen Transiträumen – also wie in einem Bahnhofswartesaal – kann man nicht leben, lieben, bauen und atmen. Das Recht auf bergende und wärmende Höhlen wird uns niemand absprechen. Ich frage, mit welcher Wärme mich meine Heimathöhle Religion birgt.
Kommt jetzt ein unkritisches Loblied auf die Kirche? Nein.
Übrigens könnte ich leicht aufzählen, wo sie mich im kalten Regen stehen lässt, aber das ist nicht mein Thema …
Wo also gibt mir meine Religion Geborgenheit? … Ich erwähne zuerst die Sprache, die ich dort vorgefunden und gelernt habe.
Naja. Theologenchinesisch als Heimat? Geborgenheit in einem Deutsch, das z.T. mehrere Jahrhunderte alt ist, soll Geborgenheit schenken? Sprachlich ist in der Kirche noch Luft nach oben, denke ich. Was meint Steffensky denn?
Es sind die großen Texte und Lieder, die ich in meiner Höhle finde, Lieder der Trauer, der Schuld, der Vergebung, der Hoffnung, des Dankes, der Verzweiflung und des Trostes.
Da hat er Recht! Psalm 23! Unsere Liturgie hier bei 5nach6! Rö 8: Nichts kann uns trennen von Liebe Gottes! 1 Joh 4: Wer in der Liebe ist, der ist in Gott und Gott in ihm. Oder manches Lied aus unserem Gesangbuch und auch aus den Taizé-Andachten! Und doch braucht es immer wieder „Übersetzungen“ in unser Leben hinein!
Und was schenkt Steffensky noch Geborgenheit in der Kirche und ihrer Sprache?
Die Geschichten meiner Heimathöhle … Ich liebe sie wegen ihrer rotzigen Frechheit, mit der sie Götzen und die falschen Wichtigkeiten verlachen. Ich nenne nur die ironische Erzählung vom reichen Kornbauern, der glaubt, sein Leben sichern zu können, indem er sich Scheunen baut für seinen angehäuften Reichtum, und der vergessen hat, dass er sterblich ist. … Die Einforderung des Rechts für die Rechtlosen ist aufsässig. Es gibt nicht viele Höhlen, in denen solche Geschichten erzählt werden.
Ja, da ist etwas dran. Amos 5,24: "Es ströme aber wie Wasser das Recht und wie ein nie versiegender Bach die Gerechtigkeit". Dieser Satz des Propheten ist ein Aufruf Gottes, dass Gerechtigkeit und Recht wie ein unaufhaltsamer Wasserstrom sein sollen, der nie versiegt und alle Lebensbereiche durchdringt.
Der Satz "Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen" (Mt 26, 52) bedeutet, dass Gewalt, die durch den Einsatz von Waffen entsteht, letztendlich zu Gewalt und Tod führt. Die Aussage ist eine Ermahnung, Gewalt zu vermeiden und Konflikte friedlich zu lösen.
Und es ließe sich noch viel mehr finden! Ja, darin steckt Beunruhigendes für manch Reiche und Mächtige! Das provoziert!
Dass diese Religionshöhle ein Fuchsbau der Heimat sein kann, erfährt man zudem nicht durch kluges Nachdenken … sondern durch Handeln. Denken allein kann nie überzeugen, wenn es vom Handeln getrennt ist.
Ja! Kästner: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! Steffensky bleibt bei der Sprache:
Zum Beispiel werde ich die Schönheit eines Psalms nur erkennen, wenn ich zu seinem Beter werde. … Der Glaube ist auch deshalb schwer geworden, weil er diese selbstverständliche religiöse Praxis verloren hat und weil er sich nicht mehr in Gewohnheiten ausdrückt; in der Gewohnheit des Betens; in der Gewohnheit, religiöse Zeiten zu respektieren (das Tanzverbot an Karfreitag soll aufgehoben werden!); in der Gewohnheit, die Texte der eigenen Tradition zur Kenntnis zu nehmen, in der Gewohnheit des Gottesdienstes.
Genau. Das ist übrigens eines der „Geheimnisse“ von 5nach6. Die Gewohnheit. Es fällt eigentlich nie aus. Das war und ist uns im Kirchenvorstand wichtig. Der Termin ist im Gedächtnis des Dorfes weitgehend verankert. Wer regelmäßig kommt, richtet sich den Freitag so ein. Es gibt gewohnte Abläufe und vertraut gewordene liturgische Texte.
In den Gewohnheiten … genieße ich nicht nur die Vertrautheit und Wärme dieser Höhle, ich erzeuge sie auch gemeinsam mit anderen. Natürlich können Gewohnheit blind machen, verdummen, besonders wenn sie diktiert und nur äußerlich vollzogen werden.
Gut, also die Sprache, die Erzählungen des Glaubens können Heimat schaffen - und die Eingewöhnung in ein Handeln, so dass die Worte nicht folgenlos bleiben, sondern Gestaltungskraft im Leben bekommen. Wobei kirchliches Handeln natürlich mehr sein muss als die Ausübung von Gewohnheiten!
Aber das ist noch nicht alles. Steffensky schreibt weiter:
Meine Religionshöhle ist mir auch heimatlich, weil ich ihre Wärme mit anderen teile. Ich bin dort im Glaubensgasthaus meiner lebenden (und auch) meiner toten Geschwister. Die Toten haben mir die Psalmen vorgewärmt … Die Geschwister, mit denen ich sie im Gottesdienst bete, stützen meine brüchige Stimme. Der Glaube ist schwer, und ich kann seine Last nicht allein tragen. Ich muss es auch nicht.
Abschließend wird Steffensky konkret und untersucht die Kirche noch genauer auf ihre Fähigkeit zur Beheimatung der Menschen. Er macht das in einem aussagekräftigen Bild.
Nein, ich bin in dieser Kirche nicht ganz zuhause. Es ist uns nicht versprochen, irgendwo ganz zuhause zu sein. Kirche ist eine Art Rohbau jener Heimat, die wir erwarten. Vielleicht sieht man im Rohbau mehr als im schönen, fertigen und abgeschlossenen Haus. Man sieht im Rohbau, was noch fehlt und was noch nicht da ist. (Wie gut, dass wir im Kirchenvorstand eine Bauexpertin haben!) Und so verweist er mich … auf die andere Stadt, in der alle Tränen abgewischt sind und „wo der Tod nicht mehr sein wird, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz“ (Off 21,4). Bis dahin sind alle Heimaten mehr Unterstände, Schutzhütten für Wanderer, aber wenigstens das sind sie.
Reicht das, um die Frage nach der Heimatfähigkeit von Kirche zu beantworten?
Mehr kann man allgemein wohl nicht sagen. Nun, dann muss es eben persönlich werden: Meine „Heimat Kirche St.Johannis Königsdahlum“. Nächstes Mal.