Freitags 5nach6 - Diakonie

05. September 2025

439 5nach6_05.09.25_Diakonie                                 Ps 71

Manchmal stößt man auch als Lehrer an Grenzen. Eine unvergessliche Situation war vor vielen Jahren in meiner 7. Klasse im Religionsunterricht. Da kam es besonders häufig zu solchen Grenzsituationen, weil die Schüler/innen dort mehr Fragen stellten als in anderen Stunden. Und da kam wieder so eine: „Herr Gräbig, wie sieht eigentlich Gott aus?

Diesmal hatte ich Glück. Es klingelte zur großen Pause. „Darüber sprechen wir in der nächsten Reli-Stunde“, sagte ich schnell, denn ich hatte Aufsicht auf dem Schulhof. Was hätte ich auch auf die Schnelle antworten sollen?

Am gleichen Tag war eine neue Schülerin in die Parallelklasse gekommen. Verloren stand sie allein auf dem Schulhof. In einiger Entfernung standen meine Mädchen mit ihren Kameradinnen aus der Nachbarklasse. Neugierig beäugten sie die „Neue“ und tuschelten miteinander. Die neue Schülerin spürte das natürlich und wirkte sehr verunsichert. Marianne aus meiner Klasse war das offensichtlich zu blöd. Zielstrebig ging sie auf die neue Schülerin zu und verwickelte sie in ein Gespräch. Es war zu sehen, wie die „Neue“ sich entspannte.

In der folgenden Stunde hatte ich Deutsch in meiner Klasse.

Ich begann so: „Noch mal zur Frage von vorhin. ‚Wie sieht Gott aus?‘ Also, in der großen Pause, vorhin auf dem Schulhof, da hatte Gott eine gewisse Ähnlichkeit mit Marianne.“ Nachdem sich das erste Staunen – und Gelächter – gelegt hatte, konnten wir gut herausarbeiten, dass es nicht um eine äußere Ähnlichkeit, sondern um eine ähnliche Haltung und ein ähnliches Verhalten ging. Gott ist – unter anderem - die liebevolle Zugewandtheit, wie Marianne sie an den Tag gelegt hatte.  

Das wusste schon der Verfasser des 1. Johannesbriefes. Er wird dem Evangelisten Johannes zugeschrieben und ist etwa 110 n.Chr. entstanden. „Wer in der Liebe ist, der ist in Gott und Gott in ihm.“ So steht es im 1. Joh 4,16.

Aber laut Jesus ist Gott nicht nur im liebevoll Zugewandten erkennbar, nein, auch in dem, der liebevolle Zuwendung braucht! „Was ihr dem Geringsten meiner Geschwister getan habt, das habt ihr mir getan.“ Der Ausspruch stammt aus dem Matthäusevangelium (Mt 25,40) Der Vers betont, dass die Liebe zu den Mitmenschen direkt mit der Liebe zu Christus verbunden ist und dass das Handeln an den Hilfsbedürftigen als Handeln an Jesus verstanden wird. 

Dieser Gedanke hat Wellen geschlagen, Kreise gezogen, nicht nur in die Theologie hinein, auch in die Welt der Kunst!

So schreibt der Theologe Fulbert Steffensky:

 In den drei großen Religionen, im Judentum, im Christentum wie auch im Islam ist Barmherzigkeit ein Grundname Gottes. … Ist Barmherzigkeit einer der Hauptgesichtszüge Gottes, dann wird dies zur Aufforderung an den Menschen, barmherzig zu sein.  … „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzog ist!“ heißt es bei Lukas (6,36) … An den Menschen sollen die Gesichtszüge Gottes sichtbar werden … Nach dem Bild Gottes ist der Mensch geschaffen, behauptet unsere Tradition. Das heißt nicht, dass Gott aussieht wie der Mensch (siehe Marianne!), sondern dass der Mensch handeln soll wie Gott. Die Ebenbildlichkeit Gottes wird zum Gesetz des Handelns (und zum Garanten der Menschenwürde!). (F.Steffensky, Orte des Glaubens, Stuttgart, 2017, S.7f)

Dieses Handeln ist „zuallererst eine Sache des Sehens und Hinsehens. Gefühl und Tat kommen zusammen. Dieses Sehen und Handeln kommt aus dem Mitgefühl, wenn die Not des anderen zu Herzen geht … Barmherzigkeit erweist sich als eine Konkretisierung der Osterhoffnung und schließt als Wort und Tat Lebensräume auf. (P.Deselaers, Barmherzigkeit – Herzenssache Gottes, in: E.Ballhorn u.a. Hg., 42 große Wörter – Schlüssel zur Botschaft der Bibel, Gütersloh, 2024, S.36)

Die Überlappung dieser theologischen Position in die Welt der Kunst wird deutlich in folgender Zeichnung des Künstlers Oskar Kokoschka.

Schon im Jahr 1945 – zum Ende des 2. Weltkriegs - ließ der Künstler Oskar Kokoschka in den Londoner U-Bahnen ein Plakat anbringen.

Darauf zu sehen war ein Christus, der sich vom Kreuz herabbeugt und einer Schar von Kindern seine Hand hinhält. Eines berührt mit dem Mund seine Hand.

„In Erinnerung an die Kinder Europas, die an Kälte und Hunger sterben müssen“ war auf dem Kreuz in englischer Sprache zu lesen. (Auf diesem Bild ist es ein spanischsprachiges Replikat)

Wir hatten Besuch, unter anderem Agnes, eine ehemalige Kollegin meiner Frau. Agnes ist Hobby-Künstlerin. Sie brachte uns dieses Stück mit.

Ein Stück Borke mit einem zur Seite abzweigenden kleinen Aststück. Dieses Stück hatte sie so bearbeitet, dass daraus ein Kreuz entstanden war.

Das Besondere daran: Der Querbalken wölbt sich nach vorn, so dass er aussieht wie zwei Arme, die sich dem Betrachter liebevoll öffnen.

Hier findet sich die bereits oben erwähnte Aussage wieder: Jesus ersteht auf, wo sich jemand liebevoll seinem Mitmenschen zuwendet. Ein ganz besonderes Verständnis von Auferstehung! Die Kirchen haben diesen Gedanken nicht nur aufgenommen und gepredigt. Sie setzen ihn auch um!

Bei den kath. Geschwistern in großen Hilfswerken wie der Caritas mit dem Schwerpunkt in Deutschland oder Misereor und Adveniat, die sich dem fernen Nächsten zuwenden, der in Not ist.

Die Ev. Kirche kennt das Diakonische Werk, das sich auf vielfältige Weise der Mitmenschen annimmt, die Hilfe benötigen. Und mit Brot für die Welt haben wir auch ein Hilfswerk, dass sich der Notleidenden in der Welt annimmt.

Im September haben wir die Woche der Diakonie. Diesmal steht sie unter dem Motto „Jede/r braucht mal Hilfe. Irgendwann.“ Die Anlässe sind unterschiedlich … mal besteht konkreter Beratungsbedarf oder die Notwendigkeit, kurzfristig eine Pflegelösung für sich oder Angehörige zu finden. Manchmal reicht auch ein offenes Ohr oder eine offene Hand – die man dann hoffentlich in der Nachbarschaft, im persönlichen Umfeld oder bei uns in Kirche und Diakonie findet …“ (Diak. Werk Nds., Jede/r braucht Hilfe. Irgendwann – Materialheft, Hannover, 2025, S.4)

Deshalb wollen wir die nächsten Freitage bei 5nach6 auch der Diakonie widmen. Ich sage bewusst „wir“, weil Conny Hartung und ich als Diakonieausschuss unseres neuen Kirchenvorstandes zusammenarbeiten. Da wir auch anderen davon berichtet haben, kann es sein, dass wir vielleicht einige Gäste begrüßen können und die Andachten ein wenig länger dauern.  

Gebet (Nach EG 418 Brich mit dem Hungrigen dein Brot)

Gott,

Lass uns den Hunger unserer Mitmenschen

nach Brot und Gerechtigkeit sehen,

auf dass wir teilen und für Gerechtigkeit eintreten.

Lass uns die Sprachlosigkeit der Verstummten hören,

auf dass wir sie ermutigen, wieder ihr Wort zu ergreifen

Lass uns den Schmerz der Traurigen spüren,

auf dass wir etwas finden, was sie tröstet.

Lass uns für die Heimatlosigkeit und Einsamkeit unserer offen werden,

auf dass sie uns nicht verloren gehen.

 

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St. Johannis Königsdahlum