441 5nach6_19.09.25_Diakonie 2 Barmherziger Samariter Ps 71
Der Barmherzige Samariter
Zwischen Jericho und Jerusalem liegt der weg der Barmherzigkeit.
Er ist steil und mühsam und unbequem, dieser weg der Barmherzigkeit.
Da hat eine Räuberbande einen Mann umstellt und bedroht,
bald lag er am Straßenrande, geschlagen, beraubt und halbtot.
Hört, wie er schreit auf dem Weg der Barmherzigkeit!
2. Da kam ein Priester geschritten auf dem Weg der Barmherzigkeit.
und dann einer von den Leviten auf dem Weg der Barmherzigkeit.
Sie konnten nicht länger verweilen, der Mann tat ihnen zwar leid,
doch sie mussten zum Tempeldienst eilen, und der Tempel, der Tempel war weit. Keiner hat Zeit auf dem Weg der Barmherzigkeit.
3. Doch die Hilfe war gar nicht ferne auf dem Weg der barmherzigkeit.
Denn einer kam der half gerne auf dem weg der barmherzigkeit.
Ob die anderen ihn auch verlacht‘n, weil er ein Samariter war,
ihn kümmerte nicht was sie dachten, er machte Barmherzigkeit wahr.
Er war schon weit auf dem Weg der Barmherzigkeit.
4. Zwischen Lebensanfang und -ende liegt der weg der Barmherzigkeit.
Und man braucht bereite Hände auf dem Weg der Barmherzigkeit.
Sag, willst du vorübergehen? Sag, lässt du den andern allein?
Sag, willst du die Not nicht sehen? Wem kannst du der Nächste sein?
Komm, sei bereit, geh den Weg der Barmherzigkeit.
Moderator/in (M): Guten Abend, liebe Hörerinnen und Hörer. Hier ist wieder St. Jokratius - ihr Kirchenfunk im Ambergau mit der Sendereihe „ Alte Bekannte - neu entdeckt“. Heute sind wir im Gespräch mit dem barmherzigen Samariter. Sie erinnern sich an dieses Gleichnis, das Jesus erzählt hat? Lukas 10, 25-37.
Ein Schriftgelehrter fragt Jesus, nach dem ewigen Leben. Jesus antwortet mit der Frage, was im Gesetz geschrieben steht, und der Schriftgelehrte zitiert: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben …, und deinen Nächsten wie dich selbst." Der Schriftgelehrte fragt dann: "Und wer ist mein Nächster?"
Daraufhin erzählt Jesus das Gleichnis
Ein Mann wird von Räubern ausgeraubt und halbtot liegen gelassen. Ein Priester und ein Levit (Tempeldiener), gehen an dem Opfer vorbei. Ein Samariter kommt zu dem Mann, sieht ihn, verbindet ihn, legt ihn auf sein eigenes Tier, bringt ihn zu einer Herberge und kümmert sich um ihn. Am nächsten Tag gibt er dem Wirt Geld, damit er sich weiter um den Mann kümmert. Wenn er mehr Geld brauche, werde er es ihm bei seiner Rückkehr
Jesus fragt den Schriftgelehrten, wer von den dreien sich wie ein Nächster des Überfallenen verhalten hat. Der Schriftgelehrte antwortet: "Der, der barmherzig an ihm gehandelt hat." Jesus schließt mit den Worten: "So geh hin und handle genauso!"
Und heute ist er bei uns zu Gast, der barmherzige Samariter.
Guten Abend, Herr …
Samariter (S): Mein Name ist Aaron.
(M): Schon komisch, dass ich Sie hier mit Namen ansprechen kann. Eigentlich sind Sie ja nur eine erfundene Person, die Jesus sich für sein Gleichnis ausgedacht hat.
(S): Schon richtig, aber in den „Nachwirkungen“ seines Gleichnisses bin ich wirklich geworden. Wie viele Menschen haben sich an mir ein Beispiel genommen – im Arbeitersamariterbund, dieser großen Hilfsorganisation der Arbeiterbewegung. Ja, und eben auch bei Ihnen in der Kirche, z.B. im Diakonischen Werk.
(M): Stimmt! Aber zurück zu Ihnen. Warum hat sich Jesus denn ausgerechnet einen Samariter ausgedacht? Was ist überhaupt ein Samariter?
(S): Wollen Sie die lange oder die kurze Fassung?
(M): Lieber die kurze.
(S): Die Juden haben religiöse Entwicklungen gemacht, die wir nicht mitgemacht haben. Wir halten sie für Fehlentwicklungen - und sagen das auch. Aber wir sind eine Minderheit und die anderen haben das Sagen. Das lassen sie uns spüren. Sie verachten uns! Und Jesus wollte deutlich machen: Die, die ihr verachtet, haben vom Gebot der Nächstenliebe u.U. mehr verstanden als ihr! Obwohl ihr immer so große Stücke auf euch haltet!
(M): Ah, interessant!
(S): Jesus wollte deutlich machen: Über alle religiösen Unterschiede hinweg gibt es Übereinstimmungen, gibt es einen Grundbestand an allgemeingültigen Wahrheiten. Die Hilfe für Menschen in Not gehört dazu – egal ob Jude, Christ, Muslim, Buddhist …
(M): Oh, Sie sprechen von Religionen, die Sie zu Ihrer Zeit noch gar nicht kennen konnten! Ist hier künstliche Intelligenz im Spiel?
(S): Nein, schlichte Menschlichkeit. Die ist zeitlos und allgemein.
(M): Hatten Sie denn keine Angst, etwas falsch zu machen? Und außerdem: Die Räuber hätten doch zurückkommen und auch Sie noch ausrauben können.
(S): Natürlich. Ich bin kein Arzt und ich hätte mich gegen eine Räuberbande kaum wehren können. Dass der Mann an einem Fehler von mir gestorben wäre, war eine Möglichkeit. Aber – ohne mein Eingreifen wäre er mit Sicherheit gestorben. Und die Räuber hätten mich auch überfallen können, wenn ich gleich weitergegangen wäre. Risiko eben.
(M): Stichwort “weitergegangen“. Haben Sie die beiden anderen gesehen, die an dem Verletzten vorübergegangen sind? Skandal, oder?
(S): Ich habe niemanden gesehen. Jesus wollte sicher deutlich machen, dass auch bei frommen Menschen Anspruch und Wirklichkeit auseinanderfallen können. Die beiden werden ihre blinden Flecken oder aus ihrer Sicht vielleicht sogar gute Gründe gehabt haben. Ich weiß auch nicht, wie ich mich einen Tag früher oder einen Tag später verhalten hätte. Für Jesus sind die beiden in seiner Erzählung wichtig. Für mich nicht.
(M): Reden wir über das Opfer, den Menschen, dem Sie geholfen haben. Kannten Sie ihn. War er ein Samariter wie Sie?
(S): Nein, weder noch. Er war mir fremd. Aber er war ein Mensch wie ich – und er war in Not. Das hat mir gereicht. Das muss doch auch reichen, oder?
(M): Bleiben wir bei Ihnen. Ich hätte ja vielleicht das Nötigste getan, aber Sie haben das Opfer auch noch in ein Rasthaus gebracht. Außerdem haben Sie dafür bezahlt, dass er sich dort auskurieren konnte. Da sind Sie ziemlich weit gegangen!
(S): Wenn Hilfe nicht nachhaltig ist, ist sie keine Hilfe. Wenn ich ihn verbunden und dann liegengelassen hätte, wäre er lediglich ein paar Stunden später gestorben.
(M): Was meinen Sie mit „nachhaltig“? Das ist ja auch so ein Begriff, der nicht aus Ihrer Zeit stammt. Bei uns steht er unter dem Verdacht, „links-grün“ zu sein.
(S): Damit kann ich nichts anfangen. Nachhaltig ist für mich, was über den Augenblick, über die Gegenwart hinaus dem Leben dient. Das bedeutet für mich auch, dass wir nicht – wie in meinem Fall – auf das helfende Handeln eines einzelnen Menschen setzen können. Einzelne Hilfe kommt schnell an gewisse Grenzen, vor allem dann, wenn die Notlage nicht auf einem Zufall beruht, sondern in den Verhältnissen einen Hintergrund hat.
(M): Verhältnisse? Meinen Sie die staubige und unbefestigte Straße zwischen Jericho und Jerusalem?
(S): Nein. Es war ja bekannt, dass auf diesem Weg Räuberbanden ihr Unwesen treiben. Das wusste auch das Opfer. Er hieß übrigens Moshe, Feigenhändler aus Jericho.
(M): Er hätte doch einen anderen Weg nehmen oder jemanden schicken können!
(S): Ja, aber man kann nicht jeder Notlage aus dem Weg gehen. Ja, er hätte auch Vorsorge treffen und sich bewaffnen, einen Sicherheitsmann mitnehmen oder sich mit anderen zusammentun können. Aber ob das gegen eine ganze Räuberbande geholfen hätte?
(M): Oder er musste auf fremde Hilfe hoffen, auf einen Menschen wie Sie. Das ist allerdings eine unsichere Sache. Sie hätten auch einen Tag später unterwegs sein können.
(S): Genau. Es herrschen auf dem Weg grundsätzlich räuberische Verhältnisse. Das meinte ich vorhin mit dem Begriff „Verhältnisse“. Deshalb heißt nachhaltige Hilfe auch, dass man dort ansetzt und etwas organisiert. Eine Polizeiaktion gegen Räuber, Polizeistationen in gewissen Abständen oder Begleitschutz für Reisende. Oder Gespräche mit den Räubern. Wer weiß, vielleicht waren es ja Räuber aus Armut?
(M): Jetzt treten Sie aber ganz schön in den Hintergrund mit ihrer großartigen persönlichen Hilfsbereitschaft!
(S): Ja, die bleibt wichtig, aber sie reicht oft nicht aus. Es sind ja vorher und hinterher noch andere Reisende überfallen worden, einige haben sogar ihr Leben verloren! Wenn die Verhältnisse von Grund auf, also in den Strukturen lieblos und lebensfeindlich sind, dann müssen sie geändert werden. Oder mindestens muss auch die Hilfe eine Struktur bekommen, muss irgendwie organisiert werden.
(M): Ich habe das Gleichnis über Sie schon oft gehört, vielleicht zu oft, um es ganz zu verstehen. Ich habe es bis jetzt immer sehr persönlich genommen … Ich habe mich z.B. ziemlich verunsichert gefühlt, wenn ich mich gefragt habe „Wer wärest du eigentlich in der Geschichte gewesen?“ Der Samariter? Oder auch einer der ganz geschäftig Vorübergehenden? Und wenn ich mal zum Opfer werde, würde ich mir wünschen, jemand wie Sie stünde mir bei … – Ich habe in dem Gleichnis auch immer den Auftrag gehört „Guck dich um, sieh hin, dann siehst du, wer deine Hilfe braucht – und dann hilf!“
(S): Daran ist auch nichts falsch. Ich denke, das hat Jesus auch beabsichtigt. Es ist nur eine verkürzte Sichtweise, denke ich. Denn – wie gesagt - auf dem Weg zwischen Jericho und Jerusalem wurden davor und danach immer wieder Reisende überfallen.
(M): Übertragen auf unsere Verhältnisse würde das ja bedeuten, dass neben aller persönlicher Vorsorge und dem Hoffen auf nette und hilfsbereite Mitmenschen noch mehr geschehen muss. Denn das ist ja erstmal noch nichts Strukturiertes oder Organisiertes. Obwohl es ja schon privat geknüpfte Netzwerke, Selbsthilfegruppen und Initiativen gibt.
(S): Genau! Was für jeden einzelnen Christen gilt – Sie haben es vorhin gesagt: „Guck dich um, sieh hin, dann siehst du, wer deine Hilfe braucht – und dann hilf!“ – das gilt natürlich auch für die Gemeinschaft der Christen, die Kirche: „Guck dich um, sieh hin, dann siehst du, wer deine Hilfe braucht – und dann hilf!“ Und die Kirche hat ganz andere Möglichkeiten als Sie allein.
(M): Also, was Sie alles wissen, sogar die Kirche kennen Sie! Naja, und Kirche macht ja einiges – Diakonisches Werk zum Beispiel. Wenn ich da nur an die Kindergärten, Beratungsstellen, Pflegedienste und Seniorenheime denke. Familien sind ja längst nicht mehr Versorgungs- und Fürsorge-Einheiten über mehrere Generationen wie das früher war. Da kümmerten sich die erwachsenen Kinder um die Mutter, wenn sie nicht mehr allein zurechtkam. Heute wohnen die Kinder in Hamburg und die Mutter in Bockenem.
(S): Oder Brot für die Welt. Klar, der Nächste wohnt nicht nur nebenan, es gibt auch den fernen Nächsten. Die Welt ist heute so sehr miteinander verknüpft! Altkleider aus Europa ruinieren das Textilhandwerk im globalen Süden, unser dorthin exportierter Müll vergiftet da Menschen.
(M): Herr Aaron, das war ein interessantes Gespräch mit Ihnen. Ich danke Ihnen sehr, gewiss auch im Namen unserer Hörer/innen.
(S): Immer wieder gerne!
Gebet (nach: EG 418 Brich mit dem Hungrigen dein Brot)
Gott,
Lass uns den Hunger unserer Mitmenschen
nach Brot und Gerechtigkeit sehen,
auf dass wir teilen und für Gerechtigkeit eintreten.
Lass uns die Sprachlosigkeit der Verstummten hören,
auf dass wir sie ermutigen, wieder ihr Wort zu ergreifen
Lass uns den Schmerz der Traurigen spüren,
auf dass wir etwas finden, was sie tröstet.
Lass uns für die Heimatlosigkeit und Einsamkeit unserer Mitmenschen offen werden,
auf dass sie uns nicht verloren gehen.