443 5nach6_03.10.25_Diakonie 4 Fit für Hilfe Ps 71
Begrüßung
Votum: Wir sind nicht allein. Wir sind verbunden
- mit Gott, in dem alles Leben und Sterben gut aufgehoben ist
- mit Jesus Christus, der Leben und Liebe zusammengebracht hat
- mit dem Heiligen Geist, in dem Gott uns nahe bleibt.
Psalm 71 / Ansprache
Ehrenamtliche hört man bisweilen klagen: „Wenn man der Kirche – und hier kann man auch einsetzen dem Verein, der Feuerwehr, der Partei usw. – den kleinen Finger reicht, greift sie gleich nach der ganzen Hand!“
Ehrenamtliche werden manchmal ganz schön, besser gesagt: ganz schön schlimm, ausgenutzt und überfordert. Stress oder gar Burn-out im Ehrenamt, das kommt vor. Nicht ohne Grund gibt es Beratungsangebote für Ehrenamtliche, werden Hauptamtliche angehalten, wertschätzend und achtsam mit den Ehrenamtlichen umzugehen, und bekommen Ehrenamtliche den Rat „Du musst lernen, auch einmal ‚nein‘ zu sagen!“
In der Liebe kann es ähnlich sein, vor allem in der Nächstenliebe, der helfenden Liebe zu anderen.
Vor vielen Jahren las ich ein Liebesgedicht von Bertolt Brecht. Bei Liebesgedichten sagt man ja oft schnell „Och, wie romantisch“. Bei dem folgenden Gedicht war meine erste Reaktion: „Was soll das denn?“
BERTOLT BRECHT, Morgens und abends zu lesen (um 1933/34)
Der, den ich liebe
Hat mir gesagt
Dass er mich braucht.
Darum
Gebe ich auf mich acht
Sehe auf meinen Weg und
Fürchte von jedem Regentropfen
Dass er mich erschlagen könnte.
Es hat eine Weile gedauert, bis ich begriffen hatte, was Brecht meinte. Gerade weil ich jemanden liebe, ihm helfen möchte, muss ich auf mich achten, auf mein leidliches Wohlergehen, damit ich überhaupt in der Lage bin, für den anderen da zu sein!
Der Barmherzige Samariter wird gutes Schuhwerk angezogen haben und sich gegen die brennende Sonne geschützt haben, sonst wäre er zu erschöpft gewesen, um dem Überfallenen zu helfen.
Stephanus wird gut gefrühstückt haben, bevor er zu seiner helfenden Runde in die Gemeinde aufgebrochen ist. Und er wird froh gewesen sein, wenn er hinterher noch jemanden zum Reden gehabt hatte, angesichts der Probleme und der Leiden, denen er auf seinem Rundgang zu den Bedürftigen begegnet war.
Schon der Zisterzienser-Abt Bernhard von Clairvaux (um 1090 – 1153) wusste um das Problem. Er stellte sich einen Brunnen mit mehreren Schalen vor und riet:
SCHALE DER LIEBE (gekürzt)
Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale,
nicht als Kanal, der fast gleichzeitig empfängt und weitergibt,
während die Schale wartet, bis sie gefüllt ist.
Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen Schaden weiter.
Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen, …
Zuerst anfüllen und dann ausgießen.
Die gütige und kluge Liebe ist gewohnt überzuströmen, nicht auszuströmen...
Ich möchte nicht reich werden, wenn du dabei leer wirst.
Wenn du nämlich mit dir selber schlecht umgehst, wem bist du dann gut?
Wenn du kannst, hilf mir aus deiner Fülle; wenn nicht, schone dich.
So kann man auch als Helfer/in ein erschöpftes Durchhängen vermeiden.
Beim Stichwort „Durchhängen“ fällt mir immer Elia ein. Im Auftrag Gottes hat er sich gemüht, ja, auch Blut klebt an seinen Händen. Und seine Feinde haben Rache geschworen. Im 1 Könige 19, 1-8 (gekürzt) hören wir über ihn.
„3 Da packte Elija die Angst und er floh, um sein Leben zu retten.“ 4 Er wanderte einsam einen Tag lang in die Steppe hinein. Dann setzte er sich unter einen Ginsterstrauch. »HERR, ich kann nicht mehr«, sagte er. »Lass mich sterben! « 5 Dann legte er sich unter den Ginsterstrauch und schlief ein. Aber ein Engel kam, weckte ihn: »Steh auf und iss!« 6 Als Elija sich umschaute, entdeckte er frisches Fladenbrot und einen Krug Wasser. Er aß und trank und legte sich wieder schlafen.7 Aber der Engel des HERRN weckte ihn noch einmal und sagte: »Steh auf und iss! Du hast einen weiten Weg vor dir!« 8 Elija stand auf, aß und trank und machte sich gestärkt auf den Weg zum Berg Gottes.
Gott weiß: Stärke braucht Stärkung! Barmherzigkeit anderen gegenüber braucht auch Barmherzigkeit mir gegenüber.
Und Jesus wusste das auch. „Du sollst Gott und deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Matthäus 22,39 und Markus 12,31). Theologen sprechen bei diesen Bibelstellen vom Doppelgebot der Liebe: Gott und den Nächsten lieben. Dem geht voraus, dass ich mich von Gott geliebt weiß. Und deshalb kann ich auch – unabhängig von jedem Egoismus und Narzissmus – mich selbst „lieben“. Wie soll ich denn auch zur Liebe fähig sein, wenn ich schon an Achtsamkeit, Wertschätzung und Barmherzigkeit mir selbst gegenüber scheitere?!
Wie kann ich barmherzig sein? Barmherzigkeit ist nicht nur ein altes, es ist auch ein großes Wort. Schnell bringt man es in Verbindung mit den „Großen“ der Barmherzigkeit – Mutter Teresa, Albert Schweitzer. Wenn das unsere Messlatte für unsere Barmherzigkeit ist, überfordern wir uns. Es gibt Barmherzigkeit nicht nur in den großen Scheinen der herausragenden Taten, es gibt sie auch im Kleingeld des Alltags. Barmherzigkeit light, Barmherzigkeit to go.
Barmherzigkeit ist eine höchst individuelle, persönliche Sache. Es gibt keine Regeln oder Muster. Ich muss den Nächsten in seiner Bedürftigkeit erkennen und erkennen, welche Möglichkeiten in mir liegen. Wichtig ist, dass nicht nur die Vernunft die Barmherzigkeit bestimmt, sondern dass auch das Herz mitspielt, das eigene Gefühl, aber auch das einfühlsame Hineinversetzen in den andere.
Barmherzigkeit tut nicht dem Nächsten gut, sondern auch mir. Wir kennen das aus der Adventszeit: Man hatte da diese eine Geschenk-Idee, stellt sich vor, wie der andere sich freuen könnte – und hat zunächst da und später an der Freude des Beschenkten. Mit der verschenkten Barmherzigkeit ist es nicht anders.
Sie spekuliert auch nicht darauf, dass etwas zurückkommt. Sie ist uneigennützig. Und sie schafft keine Abhängigkeiten, sondern will möglichst Hilfe zur Selbsthilfe sein.
Jesus rät: Hütet euch, eure Gerechtigkeit (und Barmherzigkeit) vor den Menschen zu tun, um von ihnen gesehen zu werden; … Wenn du Almosen gibst, posaune es nicht vor dir her, wie es die Heuchler … tun, um von den Leuten gelobt zu werden! … Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine Rechte tut, damit dein Almosen im Verborgenen bleibt; und dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten (Mt 6,1-6.16-18).
Der Worte – zum Thema „Diakonie“ – sind nun erst einmal genug gewechselt. Ich schließe mit Erich Kästner: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!
Gebet (Nach: EG 418 Brich mit dem Hungrigen dein Brot)
Gott, lass uns den Hunger unserer Mitmenschen / nach Brot und Gerechtigkeit sehen,
uf dass wir teilen und für Gerechtigkeit eintreten.
Lass uns die Sprachlosigkeit der Verstummten hören,
auf dass wir sie ermutigen, wieder ihr Wort zu ergreifen
Lass uns den Schmerz der Traurigen spüren, / auf dass wir etwas finden, was sie tröstet.
Lass uns für die Heimatlosigkeit und Einsamkeit unserer Mitmenschen offen werden,
auf dass sie uns nicht verloren gehen.
Vaterunser / Segen
Und nun segne uns der barmherzige Gott. / Er bewahre uns / und die, die uns nahe sind,/ in seiner Liebe. Amen.