448 5nach6_14.11.25_Volkstrauertag Ps 69
Quellen: 1 M.Helfer, Die Bagage, München, 2021, S.81f
2 A.Baumann, Ein großes Wort, in Ev. Zeitung, 09.11.25, S.3
3 R.Funk (Hg), Erich Fromm – Humanismus in Krisenzeiten, München, 2025, S. 120f
- ebd., S.139 - 150
Erinnern und Trauern am Volkstrauertag respektiert die Würde der schmerzlich vermissten Menschen. Erinnern und Trauern am Volkstrauertag, ohne aus dem Verlust der schmerzlich vermissten Menschen zu lernen, verletzt ihre Würde. Was können wir aus unserer Trauer lernen? Matthias Claudius soll uns deshalb durch die Andacht tragen. Wir kennen seine Lieder „Wir pflügen und wir streuen“ und „Der Mond ist aufgegangen“. Das „Kriegslied“ mit den berühmten Anfangsworten „’s ist Krieg!“ von 1778 ist auch von ihm.
`s ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede Du darein!
’s ist leider Krieg – und ich begehre,
Nicht (mit)schuld daran zu sein!
Selten ereigneten sich so viele Kriege zeitgleich wie in unseren Tagen – grausam, leidvoll. Es scheint, als wäre die Welt außer Rand und Band. Und wo kein Krieg herrscht, beobachten wir eine Verrohung der Sprache, Militarisierung der Politiker, Brutalisierung der Medien, insbesondere der sog. „sozialen Medien“ des Internets. Es gibt eine unheimliche Mischung von besorgter Erwartung, Angst, Kriegslüsternheit, ja, Gewaltgeilheit. Und auf so verschiedene Weisen sickert Gewalt in unseren Alltag, so dass wir uns schleichend an sie gewöhnen.
Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blass,
Die Geister der Erschlag‘nen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?
Die Schriftstellerin Monika Helfer schildert in ihrem Roman „Die Bagage“ die Heimkehr des Familienvaters Josef. Im 1. Weltkrieg darf er für einige Tage auf Urlaub nach Hause.
Auf einmal redete Josef drauflos. Aber nur eine kurze Weile. Als hätte man einen Wasserhahn aufgedreht und gleich wieder abgedreht. … Im Bett, nah bei seiner Frau, fiel es Josef schwer, nicht an die Männer zu denken, die zwei aus dem Dorf, die erschossen worden waren …
Sein Körper war kalt. Als wäre bis tief drinnen nichts Warmes, als wäre sogar das Blut im Herzen kalt. Er war der Übriggebliebene, er sollte ein schlechtes Gewissen haben. Sagte er. Viel mehr sagte er über den Krieg nicht.
„Und, hast du?“, fragte sie.
„Wenn’s nach mir gegangen wäre, würde es den Krieg nicht geben“, sagte er. …
„Warum heißt es eigentlich ‚im Feld gefallen‘?“, fragte sie …
„Das haben sich die da oben so ausgedacht“, sagte er. Man sage … ‚gefallen‘, als ob das Sterben da draußen ein bloßes Hinfallen wäre. Einfach hinfallen habe zumindest er niemanden gesehen. Er könnte Sachen erzählen, wie man da draußen stirbt. Keine Rede von einem bloßen Hinfallen. … Und schon war der Wasserhahn wieder abgedreht.
Wenig später erzählt Josef wieder.
Wenn man diesen Wahnsinn einmal gesehen habe. Wenn man das Lazarett einmal gesehen habe. Jeder wolle ins Lazarett. Weil sich jeder denkt, dort gibt es Betten mit frischer Wäsche. Und eine Badewanne. … Aber wenn einer erstmal dort sei, wolle er lieber wieder zurück ins Feld. … Wenn man einmal den Gestank im Lazarett gerochen habe. Wenn man die Arme gesehen habe und die Beine. Die herumliegen. Als hätte sie einer vergessen. Die liegen einfach herum.
Wenn wack‘re Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten und mir fluchten
In ihrer Todesnot?
Anouschka Baumann, Schülerin einer 12. Klasse in Berlin schreibt:
… So viel Frieden, der nicht mehr ist. In der Welt, vor unserer Haustür, auf den Straßen und Plätzen, vor allem in den Herzen.
Viele von uns ruhen nicht mehr in sich. Das war mal anders. Für mich als Kind zum Beispiel. Frieden war da. Einfach so. Vielleicht ist es das, wonach ich am meisten Sehnsucht habe. Weil Chaos, Gewalt, Zerstörung und das viele Töten etwas mit uns machen, auch wenn es uns nur mittelbar betrifft. Wir gewöhnen uns daran und bald beißen wir wieder zufrieden in unser täglich Brot. Christus, die frohe Botschaft aus dem Konfiunterricht – was war das alles nochmal? … 2
Was die frohe Botschaft aus dem Konfiunterricht war, fragt die Schülerin. Wir wissen es:
Der Satz „Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen“. Das sagt Jesus zu Petrus, als dieser während der Gefangennahme Jesu ein Schwert zieht (Mt 26, 52). Er verdeutlicht, dass Gewalt zwangsläufig zu weiterer Gewalt und gewalttätiges Handeln zur Selbstzerstörung führt.
Was die frohe Botschaft aus dem Konfiunterricht war, fragt die Schülerin. Wir wissen es:
Der Aufruf „Suche Frieden und jage ihm nach“ stammt aus Psalm 34,15 und und ruft auf, aktiv nach Frieden zu streben, indem man das Böse meidet und Gutes tut. Dies erfordert das Einüben von Zuhören, Vergeben und dem Überwinden von Vorurteilen, sowie das Streben nach einer umfassenden Heilung in allen Lebensbereichen.
Was die frohe Botschaft aus dem Konfiunterricht war, fragt die Schülerin. Wir wissen es:
Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. (Lk 1,79)
Wenn tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?
Aber wie kann Friede werden? Was ist überhaupt Friede? Erich Fromm, Psychoanalytiker und Philosoph, schreibt: Das Wort ‚Friede‘ wird in einem doppelten Sinn gebraucht: einmal im Sinne von Nicht-Krieg oder Nicht-Anwendung von Gewalt … (oder) Friede als ein Zustand der brüderlichen Harmonie aller Menschen.
Die letzte Vorstellung hat ihren ersten … Ausdruck in dem prophetischen Konzept der messianischen Zeit gefunden, einer Zukunft, in der die Menschen miteinander und … auch mit der Natur in Harmonie leben, und zwar nicht nur in einem Zustand … der Nicht-Gewalt, sondern auch sehr ausdrücklich in einem Zustand der Nicht-Angst, also in einem Zustand, den man nur als den der höchsten Entwicklung des Menschen bezeichnen kann: den Zustand der vollen Entfaltung seiner Vernunft und seiner Liebesfähigkeit.3
Ich höre es schon: naiv, gefährliche Träumerei, unrealistisch … Aber E.Fromm schreibt es schon richtig: Es ist die Friedensvorstellung des Messias. Aber für uns Christen ist das Jesu Christus, der zur Feindesliebe aufgerufen hat! Der Aufruf, die Feinde zu lieben, ist eine zentrale Aussage von Jesus in der Bergpredigt (Mt 5:38-48). Er fordert, nicht nur seine Nächsten, sondern auch seine Feinde zu lieben und für Verfolger zu beten.
Wenn Hunger, böse Seuch und ihre Nöten
Freund und Feind ins Grab
Versammelten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich' herab?
So ist es. Mit Blick auf das Wettrüsten – auch mit atomaren Waffen - zzt. des sog. Kalten Krieges schreibt E.Fromm: Zum ersten Mal in der Geschichte kann selbst der siegreiche Krieg jene Ziele, zu deren Erreichung man Kriegsmittel benützt, nicht mehr sichern, weil er in der Selbstzerstörung endet.
…
Doch Friede schaffen, Fried' im Land' und Meere:
Das wäre Freude nun!
Ihr Fürsten, ach! wenn's irgend möglich wäre!!
Was könnt Ihr Größers thun?
Und wie kommen wir hin zu dem Frieden, der vom harmonischen Zusammenleben von Menschen und von Menschen mit der Natur träumt?
Auch hier weiß E.Fromm Rat, obwohl er glaubt, dass die Chancen für den Frieden sehr gering sind. Aber … man muss handeln und planen, solange es überhaupt noch eine reale Möglichkeit dafür gibt. (139)
Es muss das Ziel der Friedensstrategie … sein, die Niederlage des Gegners zu vermeiden. … Wenn man … versucht, den Gegnern möglichst viele Niederlagen beizubringen, dann führt das nur … dazu, dass sich die Politik des Gegners verhärtet … Die einzige Strategie des Friedens ist die Anerkennung der wechselseitigen Interessen (140) …
Es geht letztlich darum, die Vision einer Gesellschaft zu zeigen, die menschenwürdig ist … in der der Mensch nicht passiv ist, sondern aktiv an ihr teilnimmt, in der der Mensch nicht bürokratisch verwaltet wird, in der er nicht gelangweilt ist. … (142) Es geht um die Bewusstmachung (und Bekämpfung) dessen, worunter die meisten Menschen leiden, nämlich unter ihrer Angst, ihrer Isolierung, ihrer fast unerträglichen Entfremdung. … Was wir im Augenblick brauchen, ist eine Atempause, in der die Menschheit zur Besinnung kommen kann … (150)4
Und so eine Atempause – im Kleinen – will 5nach6 sein. Lasst uns in diese Atempause hinein Gott um seinen segensreichen Frieden bitten:
Gebet: Komm, Herr, segne uns
Komm, Herr, segne uns, dass wir uns nicht trennen,
sondern überall uns zu dir bekennen.
Nie sind wir allein, stets sind wir die Deinen.
Lachen oder Weinen wird gesegnet sein.
Keiner kann allein Segen sich bewahren.
Weil du reichlich gibst, müssen wir nicht sparen.
Segen kann gedeihn, wo wir alles teilen,
schlimmen Schaden heilen, lieben und verzeihn.
Frieden gabst du schon, Frieden muss noch werden,
wie du ihn versprichst uns zum Wohl auf Erden.
Hilf, dass wir ihn tun, wo wir ihn erspähen -
die mit Tränen säen, werden in ihm ruhn.
Komm, Herr, segne uns, dass wir uns nicht trennen,
sondern überall uns zu dir bekennen.
Nie sind wir allein, stets sind wir die Deinen.
Lachen oder Weinen wird gesegnet sein.