451 5nach6_14.12.25_Vier Ps 27
Neulich flatterte mir ein Weihnachtsgruß ins Haus. Darin dieses Gedicht:
Vier Kerzen
Eine Kerze für den Frieden,
die wir brauchen,
weil der Streit nicht ruht.
Für den Tag voll Traurigkeiten
eine Kerze für den Mut.
Eine Kerze für die Hoffnung
gegen Angst und Herzensnot,
wenn Verzagtsein unsren Glauben
heimlich zu erschüttern droht.
Eine Kerze, die noch bliebe
als die wichtigste der Welt:
eine Kerze für die Liebe,
voller Demut aufgestellt,
dass ihr Leuchten den Verirrten
für den Rückweg ja nicht fehlt,
weil am Ende nur die Liebe
für den Menschen wirklich zählt.
“Rainer Maria Rilke” stand drunter.
Das Gedicht sprach mich unmittelbar an. „Das wäre doch auch etwas für ein adventliches 5nach6!“, dachte ich. Also – googeln, damit ich den Text auch in den Laptop bekomme.
Unversehens stieß ich auf eine Diskussion um die Urheberschaft des Gedichts. Es ist definitiv nicht von Rilke – sondern von Elli Michler. Aber wer um alles in der Welt ist Elli Michler? Nie gehört. Das Internet befragen.
Elli Michler wurde am 12. Februar 1923 in Würzburg geboren. Das war das Jahr der höchsten Inflation und eine politisch unruhige und wirtschaftlich schlechte Zeit. Dennoch verlebte Elli … eine glückliche und behütete Kindheit. Doch bereits als Schülerin musste sie die Auflösung ihrer Klosterschule durch die Nazis miterleben, …
Sie legte zunächst ihr soziales Pflichtjahr ab und wurde anschließend kurz nach Beginn des zweiten Weltkrieges, … in einem Würzburger Industriebetrieb dienstverpflichtet.
Nach sechs Jahren des Schreckens und der stumpfsinnigen Arbeit, nach Luftkrieg und Zerstörung ihrer geliebten Heimatstadt kam für die bildungshungrige Elli Michler durch die freiwillige Mitarbeit beim Wiederaufbau des Würzburger Universitätsbetriebs die entscheidende Wende ihres Lebens.
In dieser Zeit begegnete sie auch dem Mann, der ihre große Liebe werden sollte: einem aus Kriegsgefangenschaft Entlassenen und Heimatvertriebenen aus Breslau, der in Würzburg unter primitivsten Verhältnissen sein Studium aufnahm und den sie drei Jahre später heiratete, nachdem sie selbst in dieser schwierigen Zeit ihr Studium als Diplom-Volkswirtin … abgeschlossen hatte.
… Erst nach der körperlichen und seelischen Anspannung, die aus der Betreuung der alt gewordenen Eltern und deren Tod resultierte, schrieb Elli Michler Gedichte über das, was sie bewegte, und begann entsprechend auch erst spät mit ihrer Veröffentlichung, durch die sie einen unerwartet großen Erfolg errang, der bis heute fortdauert.
Warum gehe ich so ausführlich auf die Autorin ein? Nun, sie ist Zeitgenossin unserer Eltern, für manche vielleicht der Großeltern. Was hat sie, was haben diese Menschen alles erlebt! Inflation, Nazi-Diktatur, Krieg und Zerstörung, Zerstörung materieller und seelischer Art, Wiederaufbau, Kalter Krieg … Leben und dichterisches Werk hängen bei Elli Michler offensichtlich ganz eng zusammen.
In ihren Texten beschäftigt sich die Autorin mit zeitlosen Themen, die … wesentlich sind: Liebe, Ängste und Sehnsüchte, Werden und Vergehen, Sinnfindung für das Leben. … Eine Flut von begeisterten Leserbriefen bezeugt den Erfolg ihrer Gedichte ebenso wie die hohe Gesamtauflage ihrer Bücher. …
Viele Menschen suchen nach stimmungsvollen und lebensbejahenden Texten, die von Ehrlichkeit, Tiefe und Lebensreife zeugen. Durch lebensnahe und verständliche Gedichte bietet Elli Michler gerade in unserer heutigen Zeit eine besonders wichtige Lebenshilfe.
Sie hat die Gabe, im Alltäglichen das aufzuspüren, was wirklich im Leben zählt, es in eine auf das Wesentliche verdichtete literarische Form zu bringen und in einer klaren, einfachen, … auszudrücken, so dass sich die Leser mit ihren Texten identifizieren können. Dadurch hat sich Elli Michler einen sicheren Platz unter den erfolgreichsten Lyrikerinnen unserer Zeit errungen.
(https://medienwerkstatt-online.de/lws_wissen/vorlagen/showcard.php?id=19524&edit=0)
Eine Kerze für den Frieden, / die wir brauchen, / weil der Streit nicht ruht.
Wie wahr, wie schrecklich wahr! Bringt uns eine Kerze für den Frieden dem Ende von Krieg und Gewalt näher? Sind das nicht Träumereien?
Die Träumer in DDR gingen 1989 … zuerst in die Kirche und dann auf die Straßen, einen totalitären Staat zu stürzen - allein mit Kerzen und Gebeten. Sie ließen sich schlagen. Sie ließen sich beschimpfen. Sie nahmen Nachteile am Arbeitsplatz auf sich. Sie ließen sich einsperren. Aber sie ließen sich nicht zur Gewalt hinreißen, auch dann nicht, als sie gewonnen hatten, nach dem 9. November. … "Wir hatten alles geplant, wir waren auf alles vorbereitet, aber nicht auf Kerzen und Gebete", so sagte Horst Sindermann, der damalige Präsident der Volkskammer.
Wieso hat hier funktioniert, was nach der Meinung von Realpolitikern … gar nicht hätte funktionieren können? … Was uns Christen immer wichtig war: Frieden schaffen ohne Waffen, ohne Gewalt – das war plötzlich keine Theorie mehr. Hier bei den Menschen in der damaligen DDR wurden die Visionen Wirklichkeit. Dabei wusste auch die Friedensbewegung im Westen, dass sich Gewaltverzicht nicht automatisch rechnet. Den Beweis hatten nur wenige Monate vorher die Chinesen geliefert. Deren Militär hatte keine Hemmungen, auf dem sogenannten "Platz des Himmlischen Friedens" gewaltlose junge Menschen zu verletzen und zu töten. (20 Jahre friedliche Revolution – EKD)
Zünden wir also die Kerze für den Frieden an und tragen wir sie hinaus in die Welt.
Für den Tag voll Traurigkeiten / eine Kerze für den Mut.
In der adventlichen Glitzerwelt unserer Tage geht eine Kerze völlig unter. Aber wenn ich z.B. freitags um kurz vor sechs Uhr in unserer dunklen Kirche – bevor ich das Licht anmache – eine Kerze am Adventskranz entzünde, ist es erstaunlich, welche Leuchtkraft sie in der Finsternis entwickelt.
Advent ist ein „Noch-nicht“. Advent kennt die Dunkelheiten, die Traurigkeiten und Ängste und will mittendrin und dagegen ein Zeichen setzen, ein Hoffnungsschimmer, ein Mutmacher sein – bevor der weihnachtliche Glanz ausbricht.
Zünden wir die Kerze für den Mut an und tragen wir sie hinaus in die Welt.
Eine Kerze für die Hoffung
gegen Angst und Herzensnot,
wenn Verzagtsein unsren Glauben
heimlich zu erschüttern droht.
Theologisch ist der Advent eine Zumutung. Denn er verspricht nichts Fertiges. … Die Ankunft Gottes geschieht nicht in einer geordneten Welt, sondern in einer fragilen, brüchigen und zerrissenen. Nicht nach dem Ende der Gewalt, sondern mitten in ihr. Die biblische Hoffnung setzt nicht auf Abstand von der Welt, wie sie ist, sondern auf Nähe zur Welt, wie sie ist. … Gott kommt nicht trotz der Dunkelheit, sondern in sie hinein.
Die Geburt Jesu … ist die radikale Entscheidung, die Welt ernst zu nehmen. So, wie sie ist. Unübersichtlich. Verletzend. Überfordernd. Vielleicht ist das der Gedanke, der den … Advent trägt: Erlösung beginnt nicht dort, wo alles bereit und gut ist. Sondern dort, wo Menschen kaum noch Kraft haben, aufrecht zu bleiben … Stress. Erschöpfung. Ein dünnes Nervenkostüm ...
Aber vielleicht ist innere Unruhe kein Hindernis. Vielleicht ist sie ein Zeichen von Beteiligung. Ein Zeichen dafür, dass uns etwas nicht egal ist. Advent verlangt keine heile Innenwelt. Er beginnt genau da, wo Menschen merken, dass sie das, was geschieht, nicht einfach wegstecken können.
Hoffnung im Advent ist kein Happy End. Sie ist eher ein schmaler Gedanke, eine flackernde Flamme: Vielleicht bleibt die Nacht nicht für immer. Vielleicht kommt etwas Helles, Warmes – auch wenn ich es noch nicht fühlen kann. (SinnVoll – der neue Newsletter von evangelische-zeitung.de)
Zünden wir also die Kerze für die Hoffnung an und tragen wir sie hinaus in die Welt.
Eine Kerze, die noch bliebe
als die wichtigste der Welt:
eine Kerze für die Liebe,
voller Demut aufgestellt,
dass ihr Leuchten den Verirrten
für den Rückweg ja nicht fehlt,
weil am Ende nur die Liebe
für den Menschen wirklich zählt.
Es gibt in der Schule Unterrichtssituationen, die man nicht planen kann – und im Religionsunterricht schon gar nicht. Und meistens sind es in solchen Situationen nicht die Schüler/innen, sondern die Lehrkräfte, die auf eine Frage erstmal keine Antwort wissen.
Eine dieser Situationen will ich schildern. Religion in meiner 10. Klasse. Wir hatten über Perspektiven für die Zeit nach der Schule gesprochen: Ausbildung und Arbeit, Freundschaften, Liebe, Familie, Freizeit … Bis eine Schülerin fragte: „Und was soll das alles?“
Sie stellte in ihren Worten die Sinnfrage. Ich fragte also erstmal zurück: „Meinst du, warum wir das alles machen, was der Sinn von unserem Leben ist?“ „Ja, genau!“, antwortete sie und schaute mich erwartungsvoll an.
Ich spürte die neugierige Spannung, die plötzlich in der Luft lag. Die Schüler/innen wollten jetzt – zwei Minuten vor dem Pausenklingeln – eine konkrete Antwort. Kein Geschwafel über die lebenslange Sinnsuche, kein theologisches Gedankengebäude. Etwas Griffiges war gefragt, etwas, was man sich merken und mitnehmen konnte.
Plötzlich kam mir der berühmte Vers aus dem 1. Brief an die Korinther in den Sinn: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen (1Kor 13, 13). Und ich schrieb an die Tafel: L E B E N
Und dann fügte ich mit roter Kreide zwischen dem L und dem E ein großes, dickes I ein. So wurde aus LEBEN LIEBEN. Und dann klingelte es.
Natürlich musste dieser Gedanke in den nächsten Stunden weiter ausgeführt werden. Aber fürs Erste gab es eine handfeste Antwort und eine Perspektive.
Zünden wir also die Kerze für die Liebe an und tragen wir sie hinaus in die Welt.
Nehmen wir das Kinderkirchenlied ernst:
Tragt in die Welt nun ein Licht
Sagt allen: "Fürchtet euch nicht"
Gott hat euch lieb, Groß und Klein
Seht auf des Lichtes Schein
Gebet
Wir sind dankbar, liebender Gott.
An unserem Adventskranz
können wir jetzt schon immer mehr Lichter entzünden.
Und an Weihnachten dürfen wir die Geburt Jesu feiern -
Und mit ihm das Licht.
Gott, du selbst bist Mensch geworden –
als Licht der Welt.
Das ist unser Glauben und unsere Hoffnung,
dass dein Licht auch unsere Dunkelheit erhellt,
Trost gibt, Frieden bringt, Freude schenkt.
Darum bitten wir dich. Amen.